Breaking the waves.... of normalisation
Die "Normalisierungsdiskurse" und Überwachungstechniken der Postmoderne
Leadershipen, people-managen und sozial verungleichen, Psychopathologie der Leadership, Kiss the Ring and the Frog, People-raten
Identitätsparanoia als Kern des reflexivmodernen Psy-Komplexes
Veridiktion und Geständniszwang
Jouissance/terreur, le visage noire du jouissance, People Broken
Das SPK
Bürgerschaftliches Engagement revised
Bei genauerer Betrachtung stellen sich seine Argumentationen und Aufrufe vollends widersprüchlich dar. Einerseits sieht Keupp, einer seiner entschiedensten Propagandisten, sehr wohl, dass die Berufs- und Sozialwelt durch die forcierte Kapitalisierung zunehmend prekärer, unsicherer wird. Meint daraufhin aber allen Ernstes, dass dies mit einer „Identitätsfindung im bürgerschaftlichen Engagement”2 kompensiert werden könnte. Anstatt hier den Hebel anzusetzen um eine wirklich solidarische Gesellschaft zu fordern.
Das Bundesverfassungsgericht hat 2019 ein Grundsatzurteil gefällt, dass die "Hartz lV Leistungen" nicht über 30% als Sanktion gekappt werden dürfen. Alles andere verstösst gegen das Grundgesetz, dh. die Menschenwürde, die ja bekanntlich unantastbar sei. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass die staatliche Institution des Jobcenters seit ihrem Bestehen dagegen verstoßen hat !!! Wie mit unterschiedlichem "Klientel" innerhalb einer Gesellschaft umgegangen wird, kann besonders an den Maßnahmen des Jobcenters studiert werden. Obwohl das Jobcenter lange gegen das Grundgesetz verstieß, wird es keine Sanktionen für die Verantwortlichen geben. Wenn allerdings sogenannte "Kunden" nicht alle Auflagen und Forderungen des Jobcenters erfüllen, greifen Sanktionen, die sie sofort am ohnehin schon ziemlich knapp bemessenen Budget, dh. am eigenen Leib spüren. Ein für alle ausreichendes "Bürgergeld", würde hier die Menschenrechtsproblematik beenden.
Die Menschen werden nach wie vor in einen Statuskampf gezwungen, in dem viele es schon als enormen Erfolg verbuchen, wenn sie nicht mehr ”Hartzer” sind. Wenn sie es ”schaffen” einen sozusagen schlecht bezahlten, kündbaren, entfremdenden Leiharbeitsplatz zu ergattern. Hauptsache sie sind nicht mehr mit dem Amt oder dem Jobcenter konfrontiert. Dann geht die Suche weiter, denn wer will schon in einen schlechten unterbezahlten, mit äußerst unbefriedigenden Arbeitsbedingungen belasteten Job länger arbeiten ? Die Unsicherheit respektive die Anstrengung, die damit einhergeht, einen irgendwie besseren, d.h. privilegierteren Job zu ergattern, nimmt sich als mindestens so enervierend aus, wie aus Hartz IV rauszukommen. Wobei privilegiert sich durch die Höhe des Entgelts und dem Grad der möglichen Selbstverwirklichung resp. Nichtentfremdung bemisst. In den Durchschnittsjobs, die die meisten angeboten bekommen, geht es nur darum überhaupt einen solchen zu bekommen. Einen Job der möglichst unbefristete Rahmenbedingungen ausweist, Selbstverwirklichung kann man/frau hier knicken. Diese ist nur bei einer geringen Anzahl von akademischen Ausbildungen möglich, um deren Stellen ein erbitterter Anpassungs/Kampf geführt wird.
Lasst den Kuchen, lasst die Sahne, folgt der roten Fahne.
Warum diese doch sehr auffällige Auslassung ?
Warum mochte er nicht mehr daran erinnern, dass das Gros der damals politsch aktiven 68er eine Form von kommunitärer oder kommunistischen Räterepublik anstrebte ?
Stattdessen fügt er an, dass sie als frühe 68er eher autoritär gewesen seien, jetzt aber zur demokratischen Reife gefunden haben. "Erwachsen seien sie geworden", darauf geht er zu den Inhalten der aktiven Bürgergesellschaft über und beginnt damit wieder das Bürgertum zu zementieren. Hier verzerren sich jedoch schon die Perspektiven. In einem vorherigen Aufsatz zur Dialektik der 68er8 habe ich dargelegt, dass die Forderungen der frühen politisch aktiven 68er nach einer sozialistischen respektive kommunistischen Räterepublik aus einem bis dahin nie dagewesenen gemeinschaftlichen demokratischen Diskussions- und vehementen Protestzusammenhang hervorgingen. Eine gelebtere demokratischere und bestimmt auch anstrengendere Politzeit hat es im Nachhinein in der BRD nicht mehr gegeben. Wenn also etwas mit aktiver gelebter und demokratischer Kultur assoziiert werden kann, dann diese Zeit. Man braucht gar nicht so zu tun als ob dort in der Studentenbewegung Demokratiedefizite vorhanden waren, die erst heute gelebt werden könnten. Vielmehr stimmt das Gegenteil. Die 68er sind durch diverse Anpassungsmetamorphosen gegangen, die aufzuschlüsseln sicher Spannung verspricht. Interessanterweise ist die BRD seit den 80 ern, als gerade 68er die Verwaltungshoheit übernahmen, in einen demokratischen Dornröschenschlaf gefallen, mit zunehmender Politikverdrossenheit, die sich evtl. erst vor Kurzem wieder aufzulösen scheint. In dem Moment als die arrivierten 68er in Rente gingen und ihre Stellen räumten. (Aber noch ist nicht entschieden, ob in der aktuellen liquid modernity nicht doch die Politikverdrossenheit und damit die Neue Rechte gewinnt.) Der Sachverhalt des demokratischen Dornröschenschlafs bedarf einer breiten Diskussion und deutet auf die Willfährigkeit der 68er hin, dem ,,Anpassungsdruck des Systems" Folge geleistet zu haben, ihren eigenen Karrieren zuliebe. Ursprünglich aber sind sie angetreten diesen Anpassungsdruck kritisch zu entlarven, anzuprangern und möglichst abzuschaffen.
Im zweiten Teil des Blogs wird der Fokus auf diesen Anpassungsdruck des Systems gelegt und wie er die arrivierten 68er umdrehte und dazu veranlasste neue stramme postmoderne Dispositive zu kreieren, die nicht nur von der Dialektik der 68er zeugen, sondern wie sie die nachfolgenden Generationen, um in ihrer frühen Sprache zu bleiben, selbst in den Systemzwang einführten, den sie zuvor vehement kritisierten.
Citoyen und Bourgeois
Neben seiner eigenen Identifikation mit den 68ern führt Keupp noch an, dass er Bürgergesellschaft eher vom Citoyen herleitet und nicht von dem Bourgeois-Begriff. Bourgeois stehe ganz klar für Profitstreben nach dem eigenen Vorteil. Diesen Teil des Bürgertums kritisiert er, wie fast jeder in den Ex-68er Milieus. Der interessante, vorbildliche Bürger sei der Citoyen. Ein Begriff den vor allem Rousseau definierte, einer der theoretischen Protagonisten der Französischen Revolution. Aber man sollte sich über die Geschichte und ihren Prozess keine Illusionen machen. Das Beglückendste der Französischen Revolution könnte sich in ihrer Parole erschöpfen. Schon das Glamouröse gibt bei längerer Reflexion ernsthaft zu bedenken ob Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit wirklich so harmonisch zu verbinden. Freiheit und Gleichheit sind Forderungen die sich eigentlich widersprechen. Es ist eine Parole die ihrer enormen Aura schon rein logisch kaum gerecht werden kann, weil sie letztlich als eine riesen Projektionsfolie diente, aus der jeder herauslesen kann, was er will. Das andere Symbol, zugleich bitterste Realität in einem, das besonders einige philosophische Traktate ausführlich thematisierten, das ähnlich stark und wirksam für die Französische Revolution einstand, verkörperte die Guillotine. Mit ihr setzten die rivalisierenden Gruppen innerhalb der Citoyens ihre Macht durch. Es kämpften Jakobiner und Sansculotten gegen Girondisten bzw. vice versa und alle gegen Adel und Monarchisten. Allein im Jahr des Terrors 1793/94 mit dem Attentat auf Marat, das mit der Hinrichtung Robespierres und Dantons endete, senkte sich ca. 16500 Mal das Fallbeil. Jahre davor und danach rollten noch vor dem Pariser Rathaus unzählige Köpfe. Insgesamt kann man diese Zahl vervierfachen. Viele Opfer wurden unter Ausrufung einer Parole Rousseaus guillotiniert: „Wer den allgemeinen Willen nicht folgen will, den zwingen wir zur Freiheit.”9 Wobei es en detail in den späteren Revolutionsjahren kaum mehr um den allgemeinen Willen ging, sondern bereits um einzelne rivalisierende Interessen, die mörderisch durchgesetzt wurden. Wie volatil und zum Teil willkürlich die Entscheidungen von Bürger-Komitees getroffen wurden, kann man an einer kleinen Fußnote der Geschichte ermessen. Marat stellte in vorrevolutionärer Zeit einem Gremium der Akademie de Science sein Forschungsprojekt vor. Neben der Royal Society in London war die Akademie de Science in Paris die zentrale Institution für die universale Wissenschaftsevolution. Marats Projekt wurde als nicht förderungswürdig beschieden. Diesem Gremium gehörte einer der renommiertesten Chemiker seiner Zeit an, Lavoisier. Marat hätte seine Forschungen ohne finanzielle Unterstützung betreiben müssen, was nicht möglich, zudem für ihn einen schmerzhaften Lebensperspektivwechsel bedingte. Als sich in revolutionärer Zeit die Machtverhältnisse änderten, er politisch großen Einfluss gewann, ließ er mit ein paar anderen Eiferern die Akademie de Science schließen, weil sie angeblich nicht den allgemeinen Willen diente. Lavoisier wurde hingerichtet, da er angeblich Repräsentant des Ancien Regime sei.10
Freilich wirft die französiche Revolution auch ein Licht auf den Prozess der greift als die alt hergebrachte, ständische Feudalherrschaft fiel, d.h. wie gewaltsam sie alte Ordnungen brach. Es ist schwer vorstellbar, dass alleine der Citoyen eine solche Dynamik entfaltete. Die Unzufriedenheit reüssierte in fast allen Schichten. Die französische Revolution bezog ihre Dynamik verstärkt durch die aufstrebende Bourgeoisie, deren manufakturiellen und industriellen Produktivkräfte/-instrumente drängten schon längst über die vorhandenen Produktionsverhältnisse hinaus, in der Maske des Citoyen witterte sie nun ihre Chance.
Hannah Arendt verglich in ihrer Studie Über die Revolution 12 die amerikanische mit der französichen. Während die amerikanische, die sie zu verklärend zeichnet, “nur” auf die Etablierung eines formaldemokratischen Systems abzielte, das sich auf den politischen Bereich und seine Architektur beschränkte, verfolgte die französische ein viel weitgehenderes Anliegen. Schon zu Beginn waren die materiellen Nöte der Bevölkerung ausschlaggebend, die schon seit Beginn des 18.Jahrh. zunehmend bedrückender wurden. Im Verlaufe der Revolution, die sich über ein Jahrzehnt ereignisreicher Jahre hinzog, rückte nach Arendts und dem inzwischen allgemeinen Historikerkonsens, die Frage der adäquaten Versorgung immer deutlicher in den Vordergrund. Wie konnte es bewerkstelligt werden, dass die Bevölkerung keine materielle oder gar Hungersnot mehr leiden musste. Diese Frage und die Versuche sie zu lösen bestimmte auch die nachfolgenden zwei Jahrhunderte. Die russische Revolution prägte dieses Anliegen am meisten.
Anders als die amerikanische, die dem Bürger eine nur ihm vorbehaltene Privatsphäre zubilligte in der der Staat nichts zu suchen hatte, inhärierte der französischen die Dynamik auch vollends in die sozialen und persönlichen Belange der Bevölkerung einzugreifen, wenn es sein musste. Eine Notwendigkeit die ganz Europa zu bestimmen begann. Arendt sympathisiert zwar mit der Republik der Citoyens als einen Raum der Freiheit zur Politik unter Gleichen, doch hat sie vollends die reale Entwicklung vor Augen, die den Staaten unter dem Souverän des Kapitals widerfuhr. Nämlich Politikmanagement oder Staatmachen als Management, Verwaltung und Kontrolle/ managerial control der Bevölkerung durch die Experten des nach innen und außen aggressiven imperialen Staates im Dienst des expandierenden Kapitals.
Diese Entwicklung ist nach Arendt in der Gestalt des moralisierenden "Gerechtigkeitsfanatikers" Robespierres schon angelegt, der die Armut vermittels der Expansion des verwaltenden Staates in die bürgerliche Gesellschaft durch Umverteilungen, Überwachungen, Kontrollen und Liebesdienste, die vermeintlich für "Gerechtigkeit" und Humanität (voluntee general) sorgen, auf der Grundlage des Kapitalismus tilgen wollte. Statt dass der Konflikt dort ausgetragen, wo er hingehörte, nämlich in der bürgerlichen Gesellschaft als politisch im Sinne von Arendt auszutragender Klassenkonflikt, wurde er gewissermaßen "verstaatlicht", d.h. verkehrt und umdefiniert zu einem durch Staatseingriffe wie Kontrollen regulierbaren bloßen "Verteilungskonflikt".
Als sei die Verteilung der Armut und des Reichtums nicht das innerhalb gewisser Spielräume notwendige Resultat der Produktionsverhältnisse, die die Menschen nur als politische verändern können. Sie hält die Form in der diese Spaltung durch den bürokratischen Staat teils bearbeitet, teils in einem ideologisch zugedeckt wird-.nämlich, dass das Klassenbewusstsein, die Politik und der Wille zur Emanzipation, die Intention auf kollektive Freiheit, verschüttet und die Voraussetzungen für die die klassenkämpferische, politische Revolution die zur Räterepublik hätte führen können, verloren gegangen sind - für eine verkehrte tragische Entwicklung.
Deshalb kritisiert sie die Rolle der Sozialstaatspartei SPD und der Gewerkschaften, auch des Stalinismus in der UdSSR. Demgegenüber verteidigt sie Rosa Luxemburgs theoretische praktische Interventionen, die für Arendt das richtige politische Handeln verkörperten. Arendt ist dem Citoyen zwar gewogen, der im emphatischen Sinn Politik macht, für die er sich als angeblich Freier selbstverständlich nicht bezahlen lässt, weil er sie nicht als in Dienst gestellte Arbeitsleistung versteht. Nie werden soll, weil das ihrem republikanischen Sinn diametral widerspräche. Aber ebenso sieht sie den entpolitisierten (deutschen) Citoyen, der im Dienste des heimlichen Souveräns Kapital staatlich verwaltet, überwacht, straft, Wohltaten verteilt, manchmal auch Gewalt ausübt, d.h. "gestaltet", um die Ausgeschlossenen bei der Stange zu halten. Die Geschichte offenbarte, dass zwischen dem Bourgeoise und dem Citoyen meistens ein Interessenvertretungs-, Dienstleistungs- respektive Angestelltenverhältnis herrschte und nur minimale Nichtidentiät. Insofern im "Citoyen" auch der Vorschein des Besseren steckt, das mit der bürgerlichen Demokratie zwar versprochen (s. GG) aber in ihr nicht eingelöst werden kann, so dass der Citoyen unter den gegebenen Bedingung zur Ideologie verkommt. Deshalb die Forderung von Marx an die Bewegungen der Emanzipation, den Citoyen aus der Abstraktion im Staat zurückzunehmen und Verhältnisse zu schaffen, in denen die Menschen im wirklichen Leben als gesellschaftliche (politische) Individuen miteinander verkehren können. Das hieße für Arendt: Räterevolution und Errichtung einer Rätedemokratie.
Die Geschichte nahm bekanntermaßen einen anderen Verlauf. Im Westen reüssierte die Bourgeoisie verstärkt wieder seit den 80 er Jahren des 20.Jh. und schuf nie geahnte Reichtumsdisparitäten. Weniger als 0,1 % der Weltbevölkerung, genau 0,000000001% gehören 50 % des gesamten Reichtums (Oxfamstudie 2017), d.h. 8 Superreichen.
Die Entwicklung einer toughen bourgeoisen Managerkaste zwecks Profitmaximierung im 19. Jh. bewirkte zeitgleich heftige Veränderungen in der Gouvernementalität der Bevölkerung. Im Folgenden werden die Hauptentwicklungslinien dieser Veränderungen skizziert, die mit neuen Disziplinar- und Lagerpraxen einhergingen.
Für das katholische Christentum des Mittelalters galt das Anhäufen von Reichtümern, damals noch viel dezidierter als heute, als eine Art Todsünde. Der Katholizismus bildete ein Hindernis für das ungezügelte Anhäufen von Reichtümern. Mit ihm war kaum eine, schon gar keine radikalisierte, Verwertung des Werts möglich. Dies dürfte einmal mehr erklären, warum der Protestantismus mit seiner Ethik im Westen so üppig reüssierten, und nach Max Weber sich als Geist des Kapitalismus etablierten. Der Protestantismus mit seiner individuellen Pietäts- und Leistungsethik stellte den geistigen Überbau, damit die kapitalistische Vergesellschaftung ein zunehmend engmaschigeres Netz um die ökonomische Bemessungsgrundlage der Tauglichkeit der menschlichen Existenz zur Arbeit legen konnte. Für die aufstrebende, machtbewusste Manufaktur/Bourgeoisie stellten sich folgende Herausforderungen. Sie benötigte eine große industrielle Reservearmee, um die Löhne niedrig halten zu können, zwecks Profitmaximierung. Die Elendsmassen sahen sich nun einer, ihren Lebensbedingungen widersprechenden, gesteigerten Arbeits- , Leistungs- als auch technischen Fortbildungsdynamik ausgesetzt. Mehrere Theoretiker ua. Robert Kurz betonten, dass seit der Renaissance bis ins 19. Jahrhundert hinein in diesem Umfang kaum gekannte vagabundierende Armutsheere Stadt und Landschaft der nördlichen Hemisphäre prägten. Das erste große Anwachsen der Massenarbeitslosigkeit, der Armut und Vagabunden verursachte die forcierte Konkurrenz der Sklavenhalter auf dem Weltmarkt und brutale Vertreibungsaktionen der Feudalherren besonders in England, die Platz für ihre profitorientierte Großschafzucht benötigten. Bauern, Knechte und Landbewohner waren von den Adeligen weit weniger gefragt. Sie bedingten einen großen Bevölkerungszuwachs in den Städten, vor allem in London. Sie bildeten die Millionenarmee von Arbeitslosen, ”Lumpenproletariern”/sammlern und Bettlern, die in ausufernden Slums (Schlammvierteln) die ersten Megacities formten. Mit der ersten industriellen Revolution (ca. 1780-1840) der Dampfmaschine und der mechanischen Webstühle kam die zweite große Welle der Massenarbeitslosigkeit, die das gesamte Textilhandwerk umkrempelte. Zu dem Heer der ehemaligen Bauern kamen die Elendsmassen der arbeitslosen ehemaligen Schneider und Textilhandwerker; und durch die Konkurrenz auf den Märkten breitete dieser Prozess sich in großem Maßstab auch in ganz Europa aus. "Aber nur ein Teil der Arbeitslosen fand im entstehenden Fabriksystem eine neue Existenz" unter Konditionen, "die jeder Beschreibung spotten". Die vertriebenen Menschen mussten sich um jeden Preis verkaufen, wurden mit indiskutablen Arbeitsformen und -normen konfrontiert. "Neben den halbsklavischen Landarbeitern, Bettlern, Vagabunden, Insassen der Arbeits- und Armenhäusern entstand eine neue Kategorie von arbeitenden Armen: das Fabrikproletariat", oft mit einem über 16-Stunden Arbeitstag. Marx sprach noch von der „buntscheckigen Welt des Mittelalters”, die sich komplett auflöste.
Foucault wählte dieses Zitat als enigmatischen Beginn seiner großen Studie über das Schicksal des Wahnsinns in der Aufklärungsepoche. Ausdruck dessen war, dass der Wahnsinn zu Beginn der Neuzeit zunehmend instrumentalisiert wurde, indem er jetzt als Schreckgespenst am Horizont der bürgerlichen Gesellschaft auftaucht, mit dem all diejenigen identifiziert wurden, welche nicht der Arbeitstauglichkeitsnorm entsprachen.
„Selbst die Diät der Gefängnisse ist durchgehend besser, so daß die Bewohner des Arbeitshauses häufig irgendein Vergehen absichtlich sich zuschulden kommen lassen, um nur ins Gefängnis zu kommen. Denn auch das Arbeitshaus ist ein Gefängnis, wer sein Quantum Arbeit nicht bot, bekommt nichts zu essen, wer herausgehen will, muß erst um Erlaubnis bitten, die ihm je nach seinem Betragen oder der Meinung, die der Inspektor davon hat verweigert werden kann .(…)
Die Aufklärung, die weit rigorosere Rationalisierungsmechanismen hervorbrachte, sah auch viel extensivere Anpassungsmechanismen für das Heer der Freigesetzten, Arbeitslosen und Vagabunden vor.
In der Strafgesellschaft fasst Foucault die drastische Antwort der Monarchie auf Damiens zusammen:
"Auf diese Geste hat die politische Macht mit der Zurschaustellung ihres gesamten Strafarsenals geantwortert. Man kann sich eine der ungeheuerlichsten Szenen des Todes in Erinnerung rufen: die Damiens, der zunächst zu einer ansehnlichen Geldbuße verurteilt, dann gerädert wurde, dem man die Gliedmaßen mit Eisenstangen zertrümmert, dem man die Brust aufgeschnitten, auf dessen Wunden man glühend heißes Wachs gegossen hat, der dann gevıerteilt wurde und dem man die Gelenke durchtrennte, der verbrannt und dessen Asche schließlich in alle Winde verstreut wurde."19b
Vor allem anderen hat "der Souverän gezeigt, was er mit dem Körper eines Menschen machen konnte, als er auf ihm Zeichen seiner Anwesenheit hinterließ." Die Vierteilung Damiens verkörperte "die letzte große persönliche Konfrontation zwischen dem König und dem Volk auf der Bühne des Schafotts- vor dem 21. Januar (1793), an dem die Konfrontation andersherum verlief: an diesem Tag wurde der seiner ganzen Souveränität beraubte König dem Markenzeichen einer egalitären Strafe unterworfen: der Enthauptung, der einstigen Strafe für den Adel, die zu einer Strafe für alle geworden war."19c
Gegen Mitte des 19 Jhs. wird die Todesstrafe jedoch im öffentlichen Raum unsichtbar.
Zwar wird die Todesstrafe in Europa noch bis Mitte des 20 Jhs. hinter Gefängnismauern von der Öffentlichkeit streng abgeschirmt stark reduziert beibehalten.
Aber was von der Antike an, über das Mittelalter, bis über die französische Revolution hinaus gängige, öffentliche, spektakuläre, souveräne Strafpraxis, ist auf einmal gleichsam von Geisterhand verschwunden. In nur 100 Jahren fand der dynamisierte Übergang zur Disziplinarmacht statt. Denn gegen Mitte des 19. Jh. kommt diese Form der öffentlichen Henkerei plötzlich nicht mehr vor.
Auch mit Vagabunden und Armen wird anders verfahren. Sie liefen nicht mehr so schnell Gefahr auf leichtere Vergehen die Todesstrafe zu erhalten. Zudem wird zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht mehr wahllos eingekerkert oder in Lager eingewiesen. Es kristallisierten sich Gefängniskomplexe heraus, die eindeutig für Straftaten und "Kriminelle" zuständig waren. Andererseits die Freigesetzten und Vagabunden in die Workhouses einwiesen und forciert differenzierten. Auch hier lässt sich ein Datum mit Symbolkraft herausfiltern, das als Ausgangspunkt jenes verfeinerten modernen Überwachungsapparates gilt. Par excellence realisiert in Benthams Panopticum Architektur des Gefängnisses, dessen Plan 1787 fast zeitgleich mit der Französischen Revolution zusammenfiel. Jener “Idealtyp einer Strafanstalt", schreibt Wolfgang Welsch, der für viele andere Gefängnisse, Überwachungs- und "Besserungsanstalten" Vorbild wurde:
Zunehmend unerheblich wird, ob tatsächlich ein Wächter im Beobachtungsposten anwesend ist. Die Architektur der von außen undurchsichtigen Glasscheiben wirkt als ein graues unerbittliches Röntgenauge, das erheblichen Psychoterreur ausübt. Denn sobald der Häftling nun aus seiner Zelle blickt, blickt er auf eine blickdichte graue Glasscheibe, die ihn selbst roboteralienhaft anzuschauen scheint. Der Blick des großen Anderen wird System. Derart beobachtete Inhaftierte verinnerlichen ihre permanente Überwachung, sie verfolgt sie seitdem nicht nur bis in ihre (Alp-)Träume. Die Disziplinarmacht wird ihr Denken, Fühlen, ihren Habitus, ihre Hexis, nicht nur die Art ihrer Bewegung, sondern ihren ganzen Bewegungsapparat neu definieren. Man glaubte sich auf dem neuesten Stand der Anpassung und surveillance. Sie repräsentierte aber noch lange nicht die Virulenz einer engmaschiger webenden Vernetztheit postmoderner, digitaler Big Data Multidimensionalität. Einer ausgefeilten algorithmisierten, liquiden Sozialinquisitorik, die dazu überging das Verhalten im realen Leben statistisch zu erfassen wie marketing orientiert zu verwerten.
Die Theoretiker des Nationalsozialismus haben seine extremen Lagersysteme und Selektionsmechanismen, sicherlich berechtigt, für ihn spezifisch und historisch beispiellos beschrieben. Aber gerade Foucault zeigte in seinen Werken22a ( die Macht der Psychiatrie, die Anormalen, Überwachen und Strafen, die Strafgesellschaft, Theorien und Institutionen der Strafe) für die europäische Neuzeit auf, u.a. in dem Kapitel aus Wahnsinn und Gesellschaft, die goße Gefangenschaft, wie heute nur Agamben: Die Dialektik der Moderne reüssierte nicht nur in diesem spezifischen Verbrecherregime sondern beruhte für die gesamte Neuzeit auf einer Big Brother- Lagerpraxis, hinter der sich eine verdichtende Strafgesellschaft formierte.
In seinen Vorlesungen zur Strafgesellschaft zitiert Foucault einen französischen Abgeordneten zu einer Debatte, die 1831 zur Ausgestaltung des Strafgesetzes stattfand. Der Redebeitrag ist nicht nur selbstredend, sondern auch interessant weil er anschließend auf seine Gesellschaftskonzeption zu sprechen kommt:
"Die Strafgesetze, die zum Großteil für die eine Klasse der Gesellschaft gedacht sind, sind von der anderen gemacht. Sie gelten für die gesamte Gesellschaft, das gebe ich zu; keinem Menschen wird zugesichert, immer ihrer Unerbittlichkeit zu entgehen; aber trotzdem ist wahr, dass fast alle Straftaten, vor allem bestimmte Delikte, von dem Teil der Gesellschaft begangen werden, dem der Gesetzgeber nicht angehört. Dieser Teil unterscheidet sich in seinem Bewusstsein, seinen Sitten uns seiner ganzen Lebensweise jedoch nahezu vollkommen von dem anderen. Um also Gesetze zu machen, die auf ihn zugeschnitten sind, müsste der Gesetzgeber, wie mir scheint, vor allem vergessen, was er selbst ist,(...), und sich darum bemühen herauszufinden, welche Wirkung das Gesetz nicht auf ihn selbst hat, sonder auf das ganz anders gelagerte Bewusstsein des Volkes, für das er arbeitet." 22b
Foucault konstruierte eine dynamische, realistische Gesellschaftskonzeption. Interessant stellt sich dar, dass er in den Vorlesungen zur Strafgesellschaft antagonistische Klassen als Bedingung für gesellschaftliche Machtkämpfe angibt. Aber für ihn kämpfen nicht nur Klassen gegeneinander, sondern er sieht einen verallgemeinerten Bürgerkrieg Aller gegen Alle die Konflikte durch/ziehen. Er schärfte die Sinne für die oft durch Regularien verstellten Kämpfe um Macht und Einfluss. Für ihn spielten sich die entscheidenden Machtkämpfe zwischen gesellschaftlich arrivierten Privilegierten ab, die um Macht- und Entscheidungspositionen kämpf(t)en und versuch(t)en sie zu behalten und all den anderen Nichtprivilegierten, die von diesen Entscheidungen betroffen sind. Dabei den Kürzeren ziehen und evtl. versuchen für sie ungünstige Entscheidungen zu revidieren oder den Entscheidungsträger zu bekämpfen. Zwar stellt sich nicht einfach dar ohne entsprechende familiäre Protektion/Ressourcen eine einflussreiche Machtposition zu erringen, aber noch viel schwieriger ist es sie zu behalten:
"Die tagtägliche Machtausübung muss man als einen Bürgerkrieg betrachten können: Macht auszuüben ist eine bestimmte Art, Bürgerkrieg zu führen, und all die Instrumente, die Taktiken, die man hier ausmachen kann, müssen in den Begriffen des Bürgerkriegs zu analysieren sein. Auch in Form von Allianzen zwischen Gruppen, die an der Macht sind, oder zwischen Günstlingen der Macht."22c
Das Disziplinarsystem wurde hauptsächlich für die Unterprivilegierten entworfen, damit sie nicht gegen ihre schlechten bis unwürdigen Lebensbedingungen aufbegehren. Denn die Armutsheere stellten eine reales Bedrohungspotenzial für alle Privilegierten dar. Sie hatten kaum etwas zu verlieren, Delinquenten wurden deshalb schon bei kleineren Delikten übermäßig hart bestraft. Indem die Strafgesetzgebung die Armutsheere ins Visier nahm, schuf sie versträrkt den Kriminellen als Rechtsfigur, der "gegen die Gesellschaft Krieg führt."
In der famosen Zusammenfassung der Herausgeber von Theorien und Institutionen der Strafe (Suhrkamp 2017) wird erwähnt, dass Foucault kein Anti-Marxist war, wie oft unterstellt. Dieses Urteil kam einerseits durch die von seinen Interpreten wahrgenommene strukturalistische Theorieform zustande, die er stets bestritt. Andererseits trug die scharfe Auseinandersetzung mit Sartre dazu bei. Nur ein Vorwurf Sartres in den 68er Studentenunruhen, die gerade in Paris ziemlich heftig gerieten, hieß, dass Foucault das letzte Bollwerk der Bourgeoisie wäre. Foucaults gleichermaßen lakonische wie aberwitzige Antwort lautete: "Wenn ich das letzte Bollwerk der Bourgeoisie bin, dann gnade ihr Gott !" Die Klassenanalyse hatte für Foucault durchaus eine Berechtigung. Sie war jedoch zu verfeinern und zu ergänzen. In der orthodoxen Form konnte sie nicht liefern, was Foucault mehr interessierte. Nämlich wie Macht und Machtverteilung aufrechterhalten respektive modifiziert wird, dh. wie sie über Klassenkampf und Lohnsklaverei hinaus, ganz realiter funktioniert. Die Analyse des Justizsystems, seiner Rechtsprechung, Strafverfolgung und seiner Repressionsmechanismen schienen ihm hier vielversprechender. (Siehe auch Katharina Pistor, Der Code des Kapitals, Wie das Recht Reichtum und Ungleichheit schafft, Suhrkamp, 2020)
Die Entwicklungslinie der multiplen Konsequenzen der Ausdifferenzierung des Strafsystems, wie die Anstrengungen der Zähmung des Kriminellen zeichnete Foucault deshalb in den Vorlesungen zur Strafgesellschaft (Suhrkamp,1972-73) nach:
"Es gibt eine Art Element -Verbrechen- Gesellschaftsfeindlichkeit, Verbrecher-Gesellschaftsfeind, das weder ein theoretisches Element noch ein institutionelles oder praktisches Element ist, sondern das Wechselelement, das Verbindungselement zwischen diesen beiden' Serien, der einen, die zu der Vorstellung führt, dass der Kriminelle gegen die Gesellschaft Krieg führt, und der anderen der Beschlagnahme der Strafjustiz durch die monarchische Macht. Dieses Element übernimmt die Funktion eines Wechslers zwischen diesen beiden Serien, und es wird während des gesamten I9. Jahrhunderts der Schlüssel zu einer ganzen Reihe von Folgen sein, von denen die einen theoretisch, andere praktisch und wieder andere epistemologisch sind. Ab dem 18. Jahrhundert hat man in der Tat den Aufbau einer ganzen Reihe von Institutionen, die genau die Person des Kriminellen als Feind der Gesellschaft einführen und ihn in der Praxis als solchen definieren werden? Die Institutionen der Staatsanwaltschaft, der Beweisaufnahme, der Strafverfolgung, des Aufbaus einer Kriminalpolizei, die die rechtmäßige Einleitung der öffentlichen Klage erlauben werden; das Geschworenengericht, das es zum Beispiel in England schon gab, das aber ursprünglich für das Recht stand, von seinesgleichen beurteilt zu werden, während das Geschworenengericht, das man im 19. Jahrhundert arbeiten sieht, eine Einrichtung ist, die das Recht der Gesellschaft markiert, über jemanden, der mit ihr in Konflikt geraten ist, selbst (oder durch ihre Repräsentanten) ein Urteil zu fällen. Von einem Geschworenengericht beurteilt zu werden, heißt nicht mehr, von seinesgleichen beurteilt zu werden, sondern im Namen der Gesellschaft von ihren Repräsentanten beurteilt zu werden.
Man hat auch eine ganze Reihe von Wissenseffekten, die um das Auftauchen des Kriminellen als ein lndividuum, "das mit der Gesellschaft auf Kriegsfuß steht" und mit den Gesetzen und allgemeinen Normen unvereinbar ist, gebündelt werden. So sieht man, wie sich ausgehend von dieser Bündelung die Möglichkeit eines psychopathologischen oder psychiatrischen Zugriffs auf den Kriminellen herausbildet. Ist er doch jemand, der mit der Gesellschaft unvereinbar, zu gesellschaftlicher Anpassung unfähig ist, dessen Verhältnis zur Gesellschaft von konstanter Aggressivität geprägt ist, dem ihre Normen, ihre Werte fremd sind. So können mit Blick auf das Phänomen der Kriminalität Diskurse und Institutionen entstehen wie die, die sich im Namen der Psychopathologie normabweichenden Verhaltens herausbilden.
Innerhalb dieser epistemischen Effekte hat man auch die Möglichkeit zu untersuchen, wie die Gesellschaft selbst ihre Feinde produziert: Wie kommt es, dass eine Gesellschaft ein solches Ausmaß des Verbrechens, des Zerfalls erreichen kann, dass sie in großer Menge Leute erzeugt, die ihre Feinde sind? Man sieht, wie sich hieran die Möglichkeit der Kriminalsoziologie als Pathologie der Gesellschaft anschließt oder festmacht.
Diese Art Verbindungsstück, das der Kriminelle als Feind der Gesellschaft darstellt, ist in Wahrheit ein Instrument, mit dem die Klasse die an der Macht ist, die Aufgabe, den Kriminellen auszustoßen, in Form des Geschworenengerichts auf die Gesellschaft: oder mittels all dieser epistemischen Relais auf das soziale Gewissen überträgt. Die sich an der Macht befindende Klasse möchte erreichen, dass diejenigen, denen sie augenscheinlich die Aufgabe übertragen hat, ein Urteil zu fällen oder zu bestrafen, in ihren Handlungen oder ihrem Denken den Ausschluss vornehmen, über den ich sagte, dass ich ihn nicht als eine Grundfunktion ansehe. Ich möchte eine kritische Analyse dieser Soziologisierung des Kriminellen als Gesellschaftsfeind unternehmen, einer Soziologisierung, deren Folgen gegenwärtig die Strafrechtspraxis, die Psychopathologie der Delinquenz und die Kriminalsoziologie bestimmen.“ 22d
Mit der Aufklärung setzte ein vermeintlich zunehmend vernunftgesteuerter Prozess ein, der einen enormen Differenzierungs- mehr noch Selektionsprozess Vorschub leistete. Alle die gegen die Ordnung der Privilegierten verstießen, wurden plötzlich nach den Ursachen von Delikten/Straftaten, zudem nach ihren Sozialisationsbedingungen befragt. Besonders "Kriminelle" mussten sich nun ausführlichen Verhörprocedere unterziehen über Umstände und Motiv der Straftat. Um sie durch eine anschließende extensive Psychodiagnostik mit Sozialprognose, kombiniert mit Verlaufsprognose, plus späterer Evaluation zu ergänzen. Ein nie gekanntes Novum im Strafprozess, der bis dahin nur auf Rache und Vergeltung sann. "Kriminologie", vor allem Resozialisierung, bekam einen höheren Stellenwert als die Machtdemonstration des Souveräns und die öffentliche voyeuristische Lust an der Bestrafung. Genau diese Reform des Strafvollzugsmechanismus stellt nach Foucault weniger ein universelles Humanisierungsmotiv dar, sondern das Fanal der zeitgemäßeren, subtileren, dafür umso effektiver webenden modernen Machtdimension. Sie funktioniert vermittels neuen kapitalistischen Disziplinarmechanismen, die an die Einhaltung einer peniblen Zeitplanung gekoppelt. Die Zeitplanung ersetzte nicht nur die “Leibmarter" der Souveränitätsmacht sondern forderte Anpassungsfähigkeit, indem sie die Subjekte regelrecht in Beschlag nahm. Die Wärter und die “Zeitplanung" der Besserungsanstalten, Heime, Gefängnisse legte/n nun einen engen, permanenten Fokus auf die soziale Compliance, die durch diese zeitorientierte Beschlagnahme erst gefordert wurde. Denn die Anpassung an die Zeitplanung erheischt eine starke Frustrationstoleranz, psychophysische Belastbarkeit und Soziabilität der Insassen. Gleichfalls marginalisiert/e sie diejenigen, denen es nicht möglich sich ihr anzupassen oder sich ihr widersetzten. Foucault spricht im Spiegel der Betroffenen von einer refeudalistischen Beschlagnahme, die im Gegensatz zur feudalistischen weniger territorial wirkte, als vielmehr vampiristisch zeitsaugend. Sie geht nun von der "Über-Macht" der verschiedenen Institutionen des 19.Jhs und ihren Trägern, den Lehrern, Direktoren, Aufsehern, Managern, Vorarbeitern aus. Sie fungieren als "Relais", die zum einen eine unheimliche Machtkonzentration in den Repräsentanten der Institution bündeln, zum anderen insgesamt ein ausgeklügelteres Netz der zeitorientierten Surveillance und Disziplinierung sponn.
Aber nicht nur Vagabunden, Insassen von Workhouses oder Gefängnissen bekamen den neuen Drill zu spüren. Bezeichnend für das neue Phänomen war, dass die Strafgesellschaft neuartige Fabrikklöster portraitiert, in enger Referenz die neu entstehenden Fabriken tatsächlich Farbik-Gefängnisse nennt. Er schreibt von "Apparaten, deren Form die Beschlagnahme" von Personen und deren Zeit ist. Es handelt sich nicht selten um 16h-20h Arbeitstage. Phänomene der Totalerschöpfung, Burn out, Unansprechbarkeit, Schlaflosigkeit, chronisçhe Müdigkeit, Trance, psychophysische Resignation, extreme Niedergeschlagenheit, Depression waren an der Tagesordnung. (Charlie Chaplin Modern Times). Diese Arbeiter/innen wurden entlassen, d.h. als "Lumpenproletariat" der noch krasseren Verelendung ausgesetzt als der "Normarbeiter". Die Lebenserwartung der Arbeitenden überstieg meistens nicht ihre Überlebensspanne der Arbeitsfähigkeit. Diese "eigentlich" kontraproduktive vampiristische Beschlagnahme der Zeit galt dem "Ziel der Konstituierung einer disziplinierten Arbeitskraft," das von der Profitmaximierung nicht zu trennen war. Sie führt noch zu ganz anderen Effekten. Anfang des 19. Jhs. verpflichteten die Manager jener neu entstehenden Manufaktur/Fabriken jede Arbeiter/in ein Arbeitsbuch zu führen, darin wurden peu a peu Beurteilungen des Arbeitgebers oder des Kapos eingetragen. Foucault verknüpft das mit dem Beginn einer "permanenten und generell ununterbrochenen Beurteilung" von Personen in Institutionen, wie der "Produktion eines neuen Diskursivitätstyps der täglichen moralischen Buchführung über das gesamte Leben, geordnet nach normal und anormal."22e Gleichzeitig wird diese unter einem sehr großen Zwang stehende Lebensform als Norm, mehr noch als Normalisierungsfall eingeführt. Im ganzen 19. Jh., speziell in der ersten Hälfte, handelt es sich um das Konfigurieren einer engmaschigen Anpassung und Disziplinierung des Arbeiters in den verschiedenen gesellschaftlichen Institutionsapparaten. Des Weiteren beobachtet Foucault in der zweiten Hälfte ein dichtes Repressionssystem, das im Gewand der Habitualisierung, Pädagogisierung wie der Ausbildung des Arbeiters daherkommt.( Es liegt auf der Hand, dass die Industrie des 19. und 20 Jhs. seit jeher davon träumte, die Arbeiter/innen zu Robotern zu machen, respektive sie als solche verstand und einsetzte. Schon heute gibt es menschenleere Fabriken. Bis ihr anti-/transhumanistischer Traum, womöglich in nicht all zu ferner Zukunft, wahr wird und die Arbeiter/innen tatsächlich komplett durch digitale Robotik ersetzt werden. Dh. dass sie sich als Klasse wieder in Armut und Prekarität finden werden.)
Neben der schleichenden Etablierung des humanen Strafvollzugs verkörperte die noch größere theoretische wie praktische Bedeutung für die Ausdifferenzierung der Überwachung, nach Foucault, der Aufschwung der mit ihr einhergehenden Sozial - und Humanwissenschaften. Ein Heer von professionellen Berufen entsteht vor allem ab Ende des 19. Jahrhunderts. Zu den schon bestehenden Richtern, Anstaltsärzten, Psychiatern gesellen sich Sozialarbeiter, Pädagogen, Soziologen, Psychologen die scheinbar humanistisch gepolt eine ganze Strafvollzugsindustrie herausbilden. Neue Theorien über Umwelt-, Milieu-, oder Gesellschaftseinflüsse entstehen, zunächst in Form von pseudowississenschaftlichen biologischen Degenerations- als auch kulturellen Dekadenzstudien. Als eine Art Reaktion darauf nehmen in der ersten Hälfte des 20. Jhs. der sich abzeichnende Taylorismus, der Behaviorismus und das operante Konditionieren scharfe, einflussreiche Konturen an. Die neuen VT- Professionen, noch von einer ungebrochenen Fortschrittsgläubigkeit geprägt, entwickeln einen starken Ehrgeiz ihr brandneues Wissen praktisch anzuwenden. Die orwellsche "Vision" des Social-Engeneering der Gesellschaft durch den Behaviorismus war unter ihnen (sektenhaft ?) weit verbreitet. Die Strafvollzugsindustrie wurde ihr Experimentierfeld. Sie kontrolliert jetzt jeden Schritt und Tritt des Delinquenten/Häftling, u.a. indem sie sein Verhalten in den Akten kodifiziert/e. Eine Überwachungsform, die heute in mächtige Datafiles überging. Vermittels der digitalen Fußfessel und dem Smartphone-tracking potenzierte sie sich in der Postmoderne vollends qualitativ wie quantitativ.
Seit 2018 setzt die amerikanische Polizei auf eine digitale Software der Firma Clearview AI. Die Firma besitzt im Jahre 2024 eine Datenbank mit 50 Milliarden Bildern. Sie peilt allerdings in den nächsten Jahren ca 150 Milliarden Bildern an. Die Software gleicht selbst schlechte, verzerrte Aufnahmen von Gesichtern mit dem gesamten Bilderspeicher des Internets, Social Medias als auch ihrer Datenbank ab, anschließend liefert sie die aktuellen Adressen von strafrechtlich respektive steckbrieflich Gesuchten. Derart wuchs der Fahndungserfolg signifikant an. Die Bilder und Daten sind aber oft illegal erhoben respektive von Social Medias "gescrapt" worden. Selbst Google machte unlängst den Vorschlag, den Einsatz derartiger Face-ID Software zu unterbinden, bis gesetzliche Regelungen in Kraft treten.
Die Möglichkeiten von kognitiven, behavioristischen, postmodernen, digitalisierten Diagnosemethoden potenzieren sich weiter fast unendlich. Sie generieren Urteile, Diagnosen, Prognosen über die Wahrscheinlichkeit der Resozialisierbarkeit, wie dem Verhalten vor, während und nach einer Straftat. Als Konsequenz bestimmen Berge von Gutachten die Behandlung des Delinquenten in Strafanstalt und Therapie. Neue Digitalisierungstechniken ermöglichen die grenzenlose Speicherung und Versendung dieser Daten an verschiedenste Institutionen mittels E-Akte.
Die neuen Belohnungs-, Konditionierungs- und Privilegiensysteme die Haftanstalten/ Besserungsheime schon zu Beginn des 20. Jhs. einführen, zielen nun auf die intrinsische Motivation der Häftlinge. Der augenscheinlich besser Angepasste bekommt Macht über andere Häftlinge usw. . Zudem wurden fast überall Überwachungskameras installiert. In der Postmoderne gingen einige Länder, bzw. ein nicht geringe Zahl von Haftanstalten, dazu über teils zwecks Kostenreduktion, das Securitypersonal die Überwachungsfunktion nur im heftigem Konfliktfall ausüben zu lassen. Die Häftlinge sollen ihre eigene Überwachung überwachen, internalisieren, organisieren, die sie vor allem in den informellen Strukturen der Gangs/Rackets reproduzieren.
Die "Normalisierungsdiskurse" und Überwachungstechniken der Postmoderne
Ein Prozess, der sich heute im therapeutischen Überbau bzw. der Counselling Services der westlichen Gesellschaften hybridisierte, der jedes Subjekt, sollte es öffentlich auffällig werden, in sein Fadenkreuz nimmt. Sie versuchen die Subjekte ähnlich zu raten wie die monströsen Ratingagenturen Volkswirtschaften oder Firmen und sie gerade wegen dieses Ratings womöglich in den Abgrund reißen. Überall gefeierter postmoderner Freiheit steht ein Heer von Therapeuten, Diagnostikern, Sozialwissenschaftler, Trainern und Coaches gegenüber, nur ein scheinbarer Widerspruch, der zu denken gibt, wenn nicht gar schaudern lässt. Er bringt neue Diskurse über Determination und Freiheit in den Neurowissenschaften und über Individualisierung respektive die angeblich frei wählbare Identität des Subjekts in den Sozialwissenschaften hervor. Normalisierung bedeutet in der reflexiven Postmoderne ein individualisiertes Subjekt zu sein, das als solches erstmal mit erheblichem ideologischen Aufwand geschaffen werden muss. Indem ihm einzutrichtern, dass es an seiner Subjektivität durch neoprotestantische, reflexive Identitäts-, Selbstbefragungs-, Selbstprüfungs-, wie Selbstoptimierungstechniken zu arbeiten hat. Gleichzeitig, widersprüchlich, soll es sich für die bestehende Gesellschaft, soweit möglich, neu erfinden, als auch massiv proteisch anpassen.
Die englische Primeminister Thatcher schob die Entwicklung des Individualisierungsatoms stellvertretend für alle konservativen Policies mittels Regierungspolitiken an. Als sie einen performativen Widerspruch zu ihrem Markenzeichen erchor, den ihre Spindocs ihr einflüsterten. In unzähligen Reden formte und wiederholte sie das dazugehörige Politdispositv:
"I think we've been through a period where too many people have been given to understand that if they have a problem, it's the government's job to cope with it. 'I have a problem, I'll get a grant.' 'I'm homeless, the government must house me.' They're casting their problem on society. And, you know, there is no such thing as society. There are individual men and women, and there are families. And no government can do anything except through people, and people must look to themselves first. It's our duty to look after ourselves and then, also to look after our neighbour. ."23
Der geschwärzte Satz avancierte zu der konservativen Regierungspolitik schlechthin. Der letzte gibt mindestens ebenso ungeschminkt die konservative Weltsicht wieder. Es ist unsere Pflicht wohlgemerkt, to look after ourselves und erst unter ferner liefen, die Sprachbetonung der Rede runtermodulierend, so dass der letzte Satz schon unterging. Im Duktus an letzter Stelle kommt to look after our neighbour.
Den Menschen sollte vollends das Bewusstsein ihrer Gesellschaftlichkeit geraubt werden, und dass sie über ihre Gesellschaftlichkeit Bewusstsein herstellen können.
(Exkurs: Louis Althusser genoß nicht nur innerhalb der französichen Linken lange das Image eines smarten Halbgotts.
Aber Mitte der 80er Jahre, nachdem die Etablierung der 68er felsenfest vollzogen war, changierten sie peinlichst zu den Ideologieagenten, die die persönlichen Anrufungs- und jetzt vor allem Befragungspraxen “sozialwissenschaftlich” verbrämt in Umlauf brachten.
Dies hatte einen ziemlich materiellen Hintergrund. Denn die privilegierten akademischen Stellen, als auch die privilegierten in Wirtschaft und Gesellschaft wurden immer knapper. Was die Situation noch bis heute verschärft/e ist, dass diese privilegierten Stellen für das Gros der Upper Middle Class/UMC praktisch nicht mehr vorhanden waren/sind. Dennoch gab/gibt es vereinzelt Stellen, die nur über das berüchtigte Vitamin B völlig intransparent, in irgendwelchen Hinterzimmern ausgedealt, zur Vergabe gelangen. Die Mehrheit der UMC kam aber systemisch bedingt nicht mehr in den für sie üblichen Lebensgenuss einer privilegierten Stelle mit Vollpension. (Für Bourdieu wären das die Voraussetzungen für eine Revolution). Um aber den Widerstand gegen diese Verhältnisse nicht zu erregen respektive eskalieren zu lassen, rotierten die etablierten 68er, die ihre Stellen behalten wollten, zu Mainstream-Ideologieagenten die jetzt ihren Student/innen vermittelten, dass das Problem angeblich an ihrer nicht ausgereiften, nicht ausgefeilten bzw. nicht vorhandenen Individualität oder gar Identität läge. Sie organisierten ein gigantisches subjektives als auch objektives Abwehrunternehmen, eine ideologische Firewall, die das systemische Problem auf die angeblich defizitäre "Individualität" und "Identität" ablenkte. Gleichsam aus dem Off dröhnten nun ohrenbetäubende Stimmen in den Medien und in akademischen Seminaren:
Dies war aber nur das Vorspiel, darauf kam der ideologische Turbo:
" Du !"(in meinem Seminar...) .Denn es gab praktisch keinen 68er Prof. /Dozent/in, die es nicht liebten ihre Student/innen zu duzen. Es war ein besinnungsloses, (fast) rauschhaftes, seltsames Duzen. (Eine Unbeteiligte wäre leicht auf die Idee gekommen, dass es sich um einen latenten Wettbewerb handelt, wie oft das Du in einem Satz verwendbar, ohne dass die Grammatik zu leiden beginnt.) Jenseits allen Witzes war dieses typische grenzenlose 68er Duzen ein Phänomen, welches für eine fokussierte Analyse Stoff für ein ganzes Buch ergäbe. Denn es sagte viel über ihr eigenes hybrides Selbstverständnis. Die späten 68er hatten auch nicht mehr auf dem Schirm, wie unangemessen aus der Zeit gefallen es viele in den Y/Z Generationen empfanden.
Im Nachhinein wäre definitiv mit Althusser zu fragen, ob über die vermeintliche Vertrautheit des grenzenlosen Duzens, die die persönliche Distanz noch viel mehr einzog, die ideologischen Anrufungs- und Befragungspraxen noch viel intensiver an uns, "ihre Student/innen", herangetragen wurden:
"(He), Du (da) !"(Don't dream, wake up! It's over, geträumt wird nicht mehr). Was hast du für eine "Identität" ? Wie ist sie geartet, strukturiert, wie schaut sie aus ? Hast du überhaupt eine ? Zeig sie uns, du musst eine haben ! Du darfst auf keinen Fall keine haben ! Du darfst sie jedenfalls nicht vor uns verstecken ! Wenn du keine hast, musst du dir unbedingt eine kreieren oder konstruieren ! Du musst sie dir selbst zusammenbasteln ! OMG! Achtung: Baustelle!
Es handelt sich zwar letztlich auch um eine Beschlagnahme von Zeit der Personen, doch sie wird nun über eine radikale neoprotestantische Beschlagnahme der Subjektivität veranlasst, die als zu konstruierende "Identität" diese vampiristische Beschlagnahme als angeblich eigenes Projekt vortäuscht. Heute müssen nach Foucault alle Alarmglocken schrillen, wenn gesellschaftliche, mediale, marketing oder universitäre Institutionen einen heftigst zum Subjekt machen oder empowern wollen. (Meist ist dann das Gegenteil der Fall, wie die eigentliche Wortbedeutung von Subjekt schon andeutet.)
Was für Foucault ein Charakteristikum der Moderne signifizierte, systematische Arbeitslager, Correctionhouses und eine Anpassungsmaschinerie, die mit Vorliebe die subalternen, anormalen Existenzen heimsucht um gerade ihnen die Last der bürgerlichen Norm zuzumuten, ist heute an der (klinischen Psychologie), Neuro and Behavioral Science, Kognitionspsychologie, vor allem aber der Individualisierungstheorie und Identitätspsychologie der Reflxivmodernen zu beobachten. Individualisierung und angeblich selbstgewählte Identität werden einem im Mantel der bürgerlichen Freiheit verkauft, sind aber die entscheidenden Tools einer markt- und konsumorientierten, postpanoptischen zweiten Moderne. Die zudem ihren Warenfetisch über Identitätsfragen komplett der Subjektivität ihrer Mitglieder aufprägte und aktuell von der liquid Modernity konterkariert wird. Sie birgt neue Subjektivierungsstrategien, die noch nicht auslotbar.
Dem späten gouvernementalen Foucault wäre aus Sicht einer Neuen Kritischen Theorie vorzuwerfen, dass er nur an der Dynamik, Anatomie und Kapilarik von Machtkämpfen respektive Diskursen interessiert und kaum an der politischen Ökonomie, die diese Kämpfe erst rahmen oder kreieren. Kritik sah er reduziert eingebunden in ein postmodernes Machtspiel, aus These und Gegenthese, Kritik und Gegenkritik, das nichts desto Trotz den vollendeten Machtmechanismus der Postmoderne stellt ohne sie transzendieren zu können. Er verstand Kritik nur mehr als eine Lebensstrategie als „die Kunst nicht dermaßen regiert zu werden (...)"25Die verhaltene Formulierung „nicht dermaßen regiert zu werden" impliziert, dass er es für nahezu unmöglich hält, den äußeren wie inneren Normalisierungsagenten zu entkommen. Sein Fokus konnte deshalb minutiöser und genauer geraten. Was es konkret umgesetzt in den Alltag bedeutet, überließ er jedem Einzelnen. Es dürfte sich um ganz persönliche und vielleicht kollektive Verweigerungskunstformen in Beruf und Alltag handeln. Sie wären in dem seit der letzten Jahrtausendwende eingeführten gesamteuropäischen Workfareregimes26 auch wieder vonnöten. Grundsätzlich formulierte Foucault schon 1974 sein späteres Forschungsprogramm, welches gerade über seinen Tod hinaus äußerst spannungsreiche Erkenntnisse verspricht:
Aber das Internet steht dem kaum nach. Heute ist an den Social Medias studierbar, dass ihre User sich zu atomisierten Minipanoptikums transformierten. In der Summe jedoch ein globales Synoptikum ausbildend, in dem jede/r jede/n beobachtet, oder einige wenige obskure Figuren der Kulturindustrie, die oft nichts auszeichnet, "außer dass sie als solche bekannt sind". Durch Shitstorms wechselt das Synoptikum gelegentlich in ein Banoptikum mit erheblichen psychosozialen und psychosomatischen Schäden respektive Symptomatiken für die Gebranntmarkten oder Gebannten. Es handelt sich um neue Formen einer digital liquid surveillance, die Social Media und Telekommunikationskonzerne nie dagewesene Datenbasen, Big Datas verschafft. Deren Handel ein zusätzliches Geschäftsfeld eröffnet und sie zu sehr profitablen Konzernen florieren.
In Gegenwart wie Zukunft wird es keinen Lebensbereich mehr geben, der nicht durch Big Data ausgewertet oder manipuliert ist. Big Data Firmen entwickeln kontinuierlich auf dem jeweiligen state of the art der digitalen Methoden basierende Coachings und Ratgebermodule um sie professionell zu vermarkten. Vor allem der Beratungsbereich als auch die Politik kann sich dem nicht mehr entziehen. Sowohl der Brexit wie auch Trumps Wahlerfolg 2016 beruhten maßgeblich auf neu entwickelter Big Data Psychometrie und der daraus resultierenden Psychografie der inzwischen insolventen Firma Cambridge Analytica.
Trump möchte America great again machen. Er glaubt, wenn er die Zölle anhebt, würde dieser Effekt von alleine eintreten. Aber das Gegenteil wird der Fall sein. Um Amerika great again zu machen, müsste er sich und seine Wähler viel besser einschätzen können, als ihm das überhaupt möglich ist. Denn es gibt einen Grund, warum Amerika von Importen lebt. Abgesehen davon, dass Amerika großteils ein Hochlohnland ist, haben die amerikanischen Arbeiter/innen dort keine oder eine schlechte Ausbildung. Höhere Bildung ist so teuer, dass sie sich nur 10% der Erwerbsfähigen überhaupt leisten kann. Die Mehrheit der Arbeiter/innen empfindet ihre Jobs als schwere Bürde, die sie lieber noch heute als morgen kündigen würden, falls sie eine Wahl hätten. Ihr Mindset, ihre Intelligenz, Flexibilität, Innovationsfähigkeit, Leistungsbereitschaft bewegt sich um einiges unter dem Niveau der Arbeiter/innen von China, Indien, Europa, Südamerika. All die Migrant/innen, die Amerika am laufen hielten, werden nun von Trump aber abgeschoben, eingesperrt oder verjagt. Er unterminiert praktisch die Bedingungen, die Amerika great again machen könnten. Spätestens 2026 werden die für Amerika schlimmen Folgen so stark zu Tage treten, dass es für Trump selbst eng wird. Besonders falls Trumps 15 jährige Kumpelei mit Jeffrey Epstein in den 90ern durch die Epsteinfiles, die beim FBI liegen, veröffentlicht werden.
Aktuelle medizinisch, forensische KI-Software diagnostiziert allein vom Gesichtsausdruck, Emotion, Sprachduktus und Sprachmodulation, ob die Aufgenommenen an den verschiedenen Formen einer klinischen Depression, PTSD, (PTBS), oder Schizophrenie leiden. Wenn man bedenkt, dass in Europa, Nordamerika und Asien inzwischen fast alle öffentlichen Plätze mittels Kameras überwacht werden, und die meisten Smartphones, Tablets, Laptops und mobile Devices mit Face-ID funktionieren, wird die Überwachungsdimension der Zusatzinformationen, die mit den verschiedensten KI- Programmen auswertbar sind, erahnbar.
Einige Theoretiker sprechen bereits von einem totalitären Digitalismus, den die rasante KI-Entwicklung hervorbringt. Die krasseste Alpversion des totalitären Digitalismus, dürfte inzwischen China repräsentieren. Dort gibt es dieses berüchtigte Social Credit System, das massive Auswirkungen auf den Einzelnen zeitigt. Auf dem Arte Sender wurde sehenswerte Dokumentationen über dieses Phänomen von Tonje Hessen, I-Human und von Jialing Zhang, Total Trust (2024) ausgestrahlt. Bei einem zu negativen Social Score stehen folgende Konsequenzen an:
Karrieren bei staatlichen und staatsnahen Organisationen werden verhindert. Reisebeschränkungen treten in Kraft. Wer einen gerade noch ausreichenden Score aufweist, kann zwar Zug fahren, er wird aber per Lautsprecher aufgefordert, auch während stundenlanger Fahrten, keinen Sitzplatz zu beanspruchen. Bei ziemlich schlechten Scores, die inzwischen mehrere Millionen Chinesen betreffen, werden Zug- oder Flugzeugtickets verweigert. Anfang 2019 berichteten Medien, dass die chinesische Regierung im Jahr 2018 auf Basis von Daten aus dem Projekt Goldener Schild, den Kauf von 17,5 Millionen Flugtickets und 5,5 Millionen Zugtickets Personen verwehrten, weil man den Reisenden verschiedene kleinere Delikte ankreidete und sie deshalb einen zu geringen Score aufwiesen.
Nur wer einen ausreichend guten Score erreicht, erhält die Berechtigung für ein Auslandsvisa. Ebenso ist die Vergabe von Krediten davon abhängig.
In Shopping Malls werden die Gesichter von Personen auf Großbildschirmen proijeziert, die äußerst niedrige Scores aufweisen oder eine Vorstrafe. Die Diskriminierten müssen immer damit rechnen, dass beim Betreten einer Mall nicht nur während der Nutzung ihres Handys, sondern allein dadurch, dass sie von Überwachungskameras per Face-ID erfasst werden, ihre Bilder auf Großbildschirmen erscheinen, die ansonsten für Werbezwecke fungieren.
Eine weitere Schikane betrifft die Drosselung der Internetgeschwindigkeit, wie die Berechnung höhere Steuern und den Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen. In I-Human wurde sogar kolportiert, dass Personen mit zu niedrigem Score vom Staat aufgefordert werden Großstädte zu verlassen und in die Provinz oder Vorstadt zu ziehen. Bekannte oder Verwandte, die Personen mit niedrigem Score auf ihrem Handy anrufen, bekommen zuerst eine behördliche Ansage, dass sie den Angerufenen doch möglichst positiv unterstützen sollten, wieder auf die "richtige Bahn" zu kommen, um einen höheren Score zu erreichen.
Es ist ganz offensichtlich, dass in China die soziale Isolation und sogar der soziale Tod als wirkmächtige Drohkulisse des digitalen Totalitarismus als auch der Regierung fungieren.
Walter Benjamin faszinierte ein Text des Historikers Andre Monglond derart, dass er ihn in sein Passagenwerk aufnahm: "Will man die Geschichte als einen Text betrachten, dann gilt von ihr, was ein neuerer Autor vom literarischen sagt: die Vergangenheit habe in ihnen Bilder niedergelegt, die man mit denen vergleichen könne, die von einer lichtempfindlichen Platte festgehalten werden. Nur die Zukunft hat Entwickler zur Verfügung, die stark genug sind, um das Bild mit allen Details zum Vorschein kommen zu lassen."
Die Partner- und Singlebörsen sind Ausdruck dessen. Interessanterweise macht sich die Mehrheit der User über die Autofillfunktion der Identityresarch der jeweiligen Börse ziemlich lustig. Sie werden aufgefordert ganz individuelle unverwechselbare "Identitätsprofile" anzugeben. Viele Frauen und Männer geben jedoch an, dass sie von ihren Freund/inn/en oft ganz anders erlebt und gesehen werden und solch eine Funktion ziemlich dämlich finden. Auf etlichen Börsen findet sich ein vielsagender Witz aus dem englischen Humorarsenal. Er erhellt schlaglichtartig die Funktionsweise der Identity research respektive der Identitätsfragerei aufs Indviduum bezogen:
Jenseits allen Witzes handelt es sich bei der Identitätsforscherei nicht nur um eine sehr ernste, den Westen definierende Angelegenheit. Nein, die reflexive Identitätsforschung entpuppt sich tatsächlich als die sozialpsychologische Hochrisikotechnologie des Westens, die für eine solidarische menschliche Gesellschaft wohl ähnlich verheerend wirkt, als das was Beck als die ökologische Bedrohung schlechthin zeichnet, den realen atomaren Super-Gau. Sie bereiteten als protestantische (Zauber)Lehrlinge, (als unbeabsichtigte Nebenfolge ?), einer nie bekannten Form des Individualismus', respektive seiner nie geahnten Radikalisierung den Weg, „der sich am Ende sowohl gegen die Gesellschaft als auch gegen das Individuum wendet “. 33 (Ehrenberg)
Wobei der Individualismus gemessen an seinem Begriff eher in der Upper Class anzutreffen ist, ansonsten dürfte die Art, wie er sich gegen das Individuum wendet, in einer Beobachtung Zizeks aufscheinen:
"It is the ultimative irony of history that radical indivdualism serves as the ideological justification of the unconstrained power of what the large majority of individuals experience as a vast anonymous power, which, without any democratic public control, regulates their lives." (Zizek, Demanding the Impossible, 2013)
Auch handelt es sich bei der reflexiven Identitätsforschung um einen marktvermittelten Zugriff auf das Individuum, wie es selbst dazu aufgerufen auf oberflächlich bzw. qualitativ differenzierte Produkte zuzugreifen, der es eben nicht zu sich selbst bringt, im Gegenteil. Vielmehr sollte man fragen, was die so Befragten, Zugerichteten, noch miteinander teilen, außer einer enormen Distanz, der gesellschaftlichen universellen bürgerlichen Kälte. Innerhalb einer wirklichen Neuen Kritischen Theorie, also nicht der, die Beck unter diesem Label verkauft, kann man beobachten, dass die beiden Zauberlehrlinge mit ihren willigen Identitätsforschungshelfern uns alle in "Isolationshaft" nahmen, die sich zum Zwangsjackett der Atomisierung auswuchs, aus der wir heute verzweifelt versuchen (müssten) wieder herauszukommen.
Adornos Analysen setzten an der ökonomischen Produktionsbasis an. Ihr inhäriere ein Zwangsarbeitsprozess, der den einzelnen Arbeiter vermittels der Arbeitsteilung schon negativ individualisiere, im Sinne von einer entfremdenden, nicht wenige Interpreten meinen schon gnostischen, Atomisierung. Die Arbeitsteilung wurde ob eines effektiveren Produktionsprozesses zwecks Profitmaximierung installiert um für einen anonymen globalen Markt möglichst günstig produzieren zu können. Schon jedes Individuum in einer antagonistischen Klassengesellschaft versucht im arbeitsteiligen Prozess, soweit möglich, für sich die günstigsten Bedingungen herauszuschlagen, was einer weiteren Individualatomisierung Vorschub leistet. Auf dem Markt treten sich spezialisierte Käufer und Verkäufer von Produkten gegenüber. Auf dem Arbeitsmarkt Arbeitskräfte, die von Kapitaleignern respektive deren Firmenmanagern mit Kapitalausstattungen von komplett anderen Sternen, d.h. Klassen zeugen. Sie sind in der Postmoderne einer verstärkten autopoietischen Anpassung an eine corporate Identity unterworfen, die ihnen eine eindringliche Anpassungsleistung an Firmenphilosophien abverlangt. Sie bewirkt eine Kastration des eigenen Empfindens, oder das Ausbilden eines “falschen Selbst“ (Winnicot), der Charaktermaske oder schlimmsten Falls des Charakterpanzers, was eine weitere verkehrte, abjektive Individualisierung bedingt. Diese sind Wirkung eines Marktes, der von möglichst reibungslosen Tauschprozessen zehrt, die von Logos and Identityproducts beherrscht werden, die ihre jeweiligen Anpassungsimperative fordern. „Und dieses System ist Adorno zufolge in sich bestimmt als das Ineinandergreifen einer strukturell notwendigen und insofern objektiv gesetzmäßig verlaufenden Expansion des Tauschverhältnisses und einer damit korrespondierenden politischen- institutionellen Zwangsindividualisierung der Individuen in der verwalteten Welt."34 Sie bringe Entfremdung, Ausbeutung und anonymisierendes wie atomisierendes Leid mit sich und kann nicht einfach neutral oder gar affirmativ gleich Beck beschrieben werden. Adorno/Horkheimer sprachen sogar noch skeptischer, kritischer von einer Art genormten, standardisierten "Pseudoindividualität". „Das mit dem fordistischen Interventionstaat erreichte Niveau der sozialen und institutionellen Differenzierung der kapitalistischen Gesellschaft und die damit einhergehenden Gestalten der Individualisierung begreift Adorno als Totalität. In deren Begriff liegt die beständig fortdauernde Dynamik der Expansion gesellschaftlicher Verkehrungslogik, oder: totale Vergesellschaftung”35. Die heute im Gewand einer hybriden, zombiegen Pseudo-Individualisierung daherkommt. Diese sitzt aktuell enormen ökonomischen Deregulierungen auf, wodurch vermittels einer sich selbst rückkoppelnden Schleife verstärkt Atomisierungsprozesse greifen, die die Reflexivmodernen mitbeförderten und zugleich positiv zu verkaufen versuchen.
Eine letze Luftnummer lief auf ein Manifest für Europa von unten hinaus, das zuerst die üblichen verdächtigen von Helmut Schmidt, Joschka Fischer bis Cohn-Bendit unterschrieben. Nur der (Nerd) Gerd, der „lupenreine Demokrat“ war nicht zu finden, vermutlich ist er ihnen zu unglaubwürdig geraten. „Ein „Europa“ der tätigen Bürger wollten sie schaffen und sowohl die finanziellen wie auch rechtlichen Voraussetzungen für ein Freiwilliges Europäisches Jahr für Alle bereitzustellen – als Gegenmodell zum Europa von oben, dem bisher vorherrschenden Europa der Eliten und Technokraten.“37 Die Frage war "nur" wer es finanziert ? Was sie abermals nicht bedachten war, ob das in Frage kommende Klientel überhaupt das Geld und die Motivation hat, sich die Reise in das jeweilige europäische Land zu leisten, um den angepriesenen befristeten Arbeitsplatz anzutreten, den sie nach einem Jahr für eine ungewisse Zukunft wieder aufgeben müssen. Hört es sich nicht nach einem typischen (realitätsfernen ?) Manifest an, das wiedermal die da oben angeblich für die da unten ausgeheckt, die letztlich nicht von ihrer privilegierten, arrivierten Situtation abstrahieren können ?
Ähnliche Konsequenzen kann man/frau gerade auch an den sozialwissenschaflichen Bachelor/Master Studiengänge beobachten Es war gerade der oberste Technokratenorg Beck, der mit seinen reflexivmodernen Sonderforschungsbereichen der Technokratisierung wie Modularisierung des Studiums, dem Bolognaprozess heftigst zuarbeitete. Mit den Beschäftigungschancen dieses Klientels dürfte es schlechter denn je bestellt sein.
Man weiß nicht ob man von Zynismus oder Harmoniesauce pur sprechen soll. Im Europa-Manifest wie in seinen anderen Schriften gibt es keinen Kampf zwischen Arbeit und Kapital, der sich nicht zuletzt wegen allen Verschweigens in den letzten Jahrzehnten eindeutig zu Gunsten des Kapitals wendete, das bestimmt wenig Interesse an nicht verwertbaren Studiengängen hat.
Verbürgerlichen, Normalisieren, Employablen, Leadershipen, People-managen, Erkalten
Zwar ist es relativ wahrscheinlich, dass ab ca. 2030 vermittels der avancierten digitalen Robotik viele menschenleere Fabriken entstehen, als auch die Mobilität sich verändert, die vermutlich ein Ende der uns bekannten Arbeitsgesellschaft nahelegen. Aber für den Zeitraum den Beck überblicken konnte bis ca 2020, lag er mit seiner These vom Ende der Arbeitsgesellschaft komplett falsch. Die Einführung der Workfareregimes vollzog sich in Deutschland mit der Hartz IV Gesetzgebung. Dadurch wurde makroökonomisch und letztlich betriebswirtschaftlich der Faktor Arbeit nocheinmal verbilligt. Indem u.a. der Druck auf Entlassene und Freigesetzte erhöht wird Arbeit unterhalb eines Mindeslohnes anzunehmen, den es bisher nicht einnmal flächendeckend gibt. Die Hartz-Gesetzgebung lässt nicht mehr allzu viel Spielraum für Freigesetzte, natürlich nur bis zur nächsten Krise. Die Freigesetzten und Arbeitslosen aufzufordern aktive Bürger und im Anschluß gleich Europa- oder Weltbürger zu werden, heißt einmal mehr den Teufel mit dem Beelzebub austreiben. Die flexibilisierten Minijobber, das Prekariat, das zunehmend die Mittelschicht bestimmt und die entlassenen Arbeitskräfte sollen sich als Europa-Bürger oder Weltbürger verstehen, obwohl es ihnen überhaupt nichts bringt, evtl. gar ihren Interessen zuwider läuft. Vermutlich deshalb wollten Beck und Keupp das Weltbürgertum und in dessen Gefolge die aktive Bürgergesellschaft durch Partizipation zu einem Rolemodel avancieren. Angesichts Le Pens Front National oder der AfD Wahlerfolge sei ihnen allen Marcus Miessens Nightmare Participation, Albtraum Partizipation38 empfohlen, jedoch nicht nur, sondern Reflexion über seine/ihre eigene Generationsgeschichte.
Wohl keine entlarvte Begriff wie Geschichte des Bürgertums in den 60ern so gründlich theoretisch und praktisch, kritisierte es massivst, desavouierte, bekämpfte die Bürger so plakativ kollektiv, (wer einmal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment), wie die frühen 68er. Der Haß auf das bürgerliche Kapitalsystem in all seinen Facetten steigerte sich in den 70ern zu der großen Triebkraft das Bügertum mitsamt seinen Repräsentanten als „Schweinesystem“ nicht nur demonstrativ, flankiert von Agitprop, sondern realiter terroristisch mit voller Wucht teils bis zur Selbstauslöschung zu zertrümmern. So verspricht es forschungstechnisch viel nachzuspüren, wann Beck, Keupp und all die anderen Ex-"Freaks" in ihren Schriften dazu übergingen den Bürgerbegriff wieder positiv aufzuladen. Es dürfte nicht nur einiges über ihren Etablierungsgrad aussagen, vielmehr noch, inwiefern sie Kohls verlogene “geistig moralische Wende”39, die auf einem millionenschweren schwarzen Kassensystem basierte, in den 80 ern nicht nur mitvollzogen sondern ausbuchstabierten. Aktiv die Theoreme der einst leidenschaftlich bekämpften maroden Bürgerlichkeit neu entwarfen und "modernisierten". Keupp hat sie mittels Identity research und in den 90ern mit seiner Identitätsarbeitsethik neu beschrieben, “modernisiert” sogar eingefordert. Dank ihm wissen wir heute klar und definitiv was das Bürgertum seit jeher neben der Kapitalakkumulation bestimmte: protestantische Identitätsarbeit.
Angesichts der wenigen privilegierten, knappen und worauf es definitiv ankommt, beliebten Jobs, nimmt sich das Geschwafel von der Employability als reiner Schein aus, man könnte auch von einer glatten Lüge sprechen. Die „Maßnahmenphantasie“ von der Beck träumte, die man/frau ergreifen soll um einen Job zu bekommen, ist an gewisse Voraussetzungen gebunden. So können mit ganz wenigen Ausnahmen, die die Regel bestätigen, nur diejenigen überhaupt phantastisch, stark überdurchschnittlich kreativ produktiv sein, die einen von den ganz wenigen ihnen optimal entsprechenden Arbeitsplätze ergattert haben.42 Für all die anderen in denen eine gewisse Kreativität schlummert oder gar entdeckten, dass sie eigentlich ganz kreative Zeitgenossen, wenn nicht sogar Künstler, wirkt sich der real existierende Arbeitsmarkt mit seinen recht mittelmäßigen, langweiligen Jobs destruktiv aus. Verhält es sich nicht vielmehr so, dass, obwohl er Kreativität allenthalben sogar zu aller Ironie einfordert, gar beschwört, sie jedoch letztlich durch seine nervige Monotonie gründlich schleift, einebnet, plättet, destroyed ?
Schon Kafka, der auch Versicherungsangestellter, vertraute seinem Tagebuch an, "es sei die unmittelbare Nähe des Erwerbslebens, die seine literarische Produktivität zuverlässig zum Stillstand bringe." ( zit. nach Reiner Stach, Kafka, Die Jahre der Entscheidung, S.11)
Kafka war überwiegend mit Formularen, Anspruchsprüfungen, Paragrafenreiterei, als auch deren Auslegung, Anwendung und einer Vielzahl von Bürokratismen beschäftigt....
Einerseits sind diese Erfahrungen in seine Literatur eingeflossen, andererseits könnte einem nicht ganz unwohl werden, wenn man bedenkt, welche Weltliteratur dadurch verhindert wurde... ? Auch nicht zu vernachlässigen wäre, dass Kafka hauptsächlich nachts schrieb, weil am Tag dafür keine Zeit blieb...., um darauf übermüdet in die Arbeit zu hecheln..., seine Anfälligkeit für Krankheit und frühen Tod wurde dadurch bestimmt nicht reduziert....
Beck sah diese Realitäten des Kapitalismus gar nicht, sondern fragte mit dem Begriff Employability letztlich auch das Klientel der Kreativen nach einem Zustand, den sie perhorreszieren. Obwohl er den Begriff Employability nur sparsam verwendet, gab er einen Aufriss über den neu zu schaffenden Forschungskomplex "kreative Maßnahmenphantasie" der Arbeitsfindung in seiner Individualisierungstheorie.43 Dabei hätte er nur sein Arbeitsumfeld mit den zahlreichen fachfremd arbeitenden, wenn nicht schon arbeitslosen Soziologen betrachten müssen, die er selbst ausbildete, um zu wissen, dass es auf die Employability am wenigsten ankommt. Vielmehr auf die Beziehungsarbeit, auf viel Glück und „das grüne Band der Sympathie“, unverblümter formuliert, auf die enorme Schleimerei, Kriecherei und Spezlwirtschaft besonders in den Sozialwissenschaften. Aber er musste es nicht erst beobachten, er erfuhr es täglich, wusste es ja selbst, schrieb aber wider besseres Wissen. Es gibt zahlreiche Elogen auf Becks Theorie, die kaum anders als eine unglaubliche Anbiederung, zudem als großer Kniefall zu lesen sind. Unter diesen vielen Lobgesängen stoßen wiederum diejenigen äusserst bitter auf, die sich völlig ungeniert als Prostratio/ Niederwerfung während einer Priesterweihe identifizieren lassen. Dort liegen die Kandidaten/ Autoren mit ausgestreckten Körper und Armen, das Kreuz symbolisierend, Gesicht auf dem Boden, vor dem Altar bzw. ihrem Bischof und erwarten ihre Weihe, ihren Segen als Priester (der Soziologie), der meistens für Soziologen trotz aller Anbiederung im realen Leben, dh. auf dem realen Arbeitsmarkt ausbleibt.
Toughe Dispositive: Identität, Leadership...und ihre Dialektik
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All diese Tools stellen im Grunde erweiterte, toughe Dispositive dar. Agamben hat in, Was ist ein Dispositiv, noch einmal verdeutlicht wie umfangreich und komplex Foucault den Dispositiv-Begriff konstruierte. In den Studien zur theologischen Genealogie der Ökonomie untersuchte Agamben den Gebrauch des lateinischen Begriffs dispositio. Die Kirchenväter verwendeten ihn ähnlich wie oikonomia: "als ein Ensemble von Praxen, Kenntnissen, Maßen und Institutionen, deren Ziel die Verwaltung, Leitung, Kontrolle und Ausrichtung der Gesten und Gedanken des Menschen ist."
Foucault hob in seinen Vorlesungen zur Regierung der Lebenden hervor wie stark die postmoderne Gouvernementalität von Praxen des mittelalterlichen Christentums und des Protestantismus der Neuzeit determiniert ist. Heute tauchen sie technizistisch verändert auf, sind aber deshalb nicht weniger wirksam,
"Die Welt, in der wir leben, präsentiert sich als ungeheure Wucherung von Dispositiven. Im Leben des Einzelnen gibt es keinen einzigen Moment mehr, der nicht von irgendeinem Dispositiv modelliert, kontrolliert oder kontaminiert wäre. Am Ursprung eines jeden Dispositivs – vom Mobiltelefon bis zum Fernsehen, vom Computer bis zum Autoverkehr – steht in Wirklichkeit ein (vermeintliches OM) Glücksverlangen, dessen Erfassung die spezifische Potenz des Dispositivs konstituiert."44a
Die Postmoderne stellt sich zwar als komplex und widersprüchlich dar, nichtsdestotrotz leitet sie die Subjekte in all dem Chaos fast ausschließlich über Dispositive, die sich nicht selten widersprechen. Sie suggerieren den Menschen, dass eine spezifische, sehr partikulare Art des Denkens ihr eigenstes Bedürfnis wäre. Angesichts dessen fragt Agamben: " Wenn Dispositive dem Menschen nicht als neutrale Konsumgegenstände gegenüber stehen, sondern im Gegenteil selbst (vorgeben OM) die Persönlichkeit dessen zu schaffen, der sie verwendet – wie vermögen wir dann dieser Situation zu begegnen?"
Identität und Leadership sind zwei der forcierten verallgemeinerten postmodernen Dispositive, die suggerieren "die Persönlichkeit dessen zu schaffen, der sie verwendet." Aber selbst innerhalb der Upper Middle Class offenbaren sie gerade in der allgemeinen postmodernen Abstiegsgesellschaft ihr grundlegendes Dilemma. Sie reagieren verzerrt auf die Nötigung einer gesellschaftlichen Zwangslage, die nur wenige privilegierte, nicht entfremdende Arbeitsplätze vorhält. Indem sie die anderen von dem Protest resp. Widerstand gegen diese Zustände abhalten, durch die Suggestion, wenn ihr euer “wahres Selbst”, eure “wahre Identität“ euren “inneren Führer / Leader“ entdeckt, findet, euch eine funktionale Persönlichkeit schafft, würde sich alles in Wohlgefallen auflösen. Ohne zu bedenken, dass wer diesen Holzweg geht, vermutlich noch gründlicher scheitert als der, der ihn nicht wählt. Ein Dispositiv bestätigt eher diejenigen, die privilegierte Stellen einnehmen, wendet sich aber gegen die, denen sie nicht "vergönnt", d.h. der großen Mehrheit. Denn in der postmodernen, kapitalistischen, liquid modernity, ist, ob der rasanten Veränderungsdynamik das Anerkennungsspiel zwischen einer von den Reflexivmodernen sogenannten "erarbeiteten Identität" und der gnadenlosen monetären gesellschaftlichen Anerkennungsstruktur nicht nur (fast) vollends zerbrochen. Eine von ihnen empfohlene hybride Identitätsarbeit dürfte mangels Verwirklichungschancen, ob der unerbittlichen monetaristischen Anerkennungsformen mit höherer Wahrscheinlichkeit in den Selbsthass führen, wenn nicht zu den tragischeren Fällen der Selbst- oder Fremddestruktion.
Denn der Begriff und das Dispositiv der "Identität", den/das die Reflexivmodernen blauäugig empowerten, aber an dem sie keinerlei absolut notwendige Kritik leisten, impliziert nicht nur sondern definiert, dass die Identität Kognition und Emotion, d.h. das "Wesen des Menschen" komplett bis in das letzte Faserzittern bestimmt. Ist es in dieser reflexivmodernen Logik verwunderlich, dass eine verstärkt "erarbeitete Identität", wenn sie zum einen kaum erreichbar, zum anderen kaum verwirklichbar, doch starke negative Auswirkungen auf das Leben, die Gesundheit, die "Wellness" des Subjekts zeitigen muss? Selbst diejenigen, die ihre Nerdiness ohne Rücksicht auf (soziale) Verluste versuchen zu leben, werden früher oder später auf die Verwirklichungsschranke der (sozialen) monetären Anerkennung stoßen. Wenden sich nicht der Druck, der Stress, die gescheiterten Hoffnungen, die im Aufbau einer reflexivmodernen "Identitätskonstruktion" stecken, durch nicht vorhandene Stellen oder fehlende monetäre Anerkennung, auf perfide Weise gegen das Subjekt ?
Eine reflexivmodern hypostasierte Identitätsarbeit suggeriert nämlich normativ, dass eine zufriedenstellende "Identität" und eine damit verbundene bezahlte, sozial anerkannte Stelle erreichbar sei. Die große Mehrheit der Bevölkerung erfährt jedoch genau das Gegenteil, gerade auch die reflexivmodern ausgebildeten Sozialwissenschaftler. Zudem erleben sie, dass es ganz wenigen Subjekten gelingt dieses Ziel doch irgendwie zu erreichen, nur bei einem selbst scheint es nicht zu klappen. Nun greift ob dieser oft in die Verzweiflung stürzenden kognitiven Dissonanz ein kafkaesker (meist unbewusster) Selbstbestrafungsprozess, der die Selbstdestruktionsneigung und den Selbsthass nur mehr steigert. Damit aber auch den Frust auf die Privilegierten
Ein anderer großer Komplex, der dieses Dispositiv der Abstiegsgesellschaft verstärkt, besteht in der heftigen Ausweitung des Niedriglohnsektors respektive der Vielzahl der daraus resultierenden unterqualifizierenden Jobs, die viele Mitglieder der Genration XYZ und folgende betreffen.
Die amerikanische Tragikkomödie (1994) von Ben Stiller mit dem allessagenden, vorzüglich gewählten Titel, Reality Bites, portraitiert die Stimmung der Generation X, die strukturell auch die Y und Z Generation bestimmt. Für das Leben scheinbar mit Studienabschlüssen gut gerüstet, trifft sie auf eine Arbeitsmarktrealität, die ihr nur unter -respektive niederqualifizierte Jobs anbietet, oder befristete Praktika, die gar keine Qualifikation brauchen. Ihre schon zynische Stimmung verstärkt sich derart zu purem Zynismus und reinem Sarkasmus. Ein Lebensgefühl, das sich auf der Leinwand zwar einigermaßen ironisch darstellt, jedoch durch alle Ironie hindurch die brutalen gesellschaftlichen monetären Anerkennungsformen als die eigentliche "Lebenskatastrophe" aufscheinen lässt. Die idiosynkratischen Träume, die die Protagonisten von ihrem Leben hegten, zerschellen an den faden Jobs, die ihnen angeboten werden. Dieser bitteren Realität, die schmerzhaft böse beisst, nicht entkommen zu können, drückt enorm auf die Psyche dieser Generationen. Zugleich verdeutlicht der Film wie wenig andere, dass in der postmodernen liquid Modernity vermittels der Alternativlosigkeit der unterqualifizierten, prekären Jobs, die soziale Degradierung als Hauptvergesellschaftungsmodus vorherrscht. Die eigentlich witzig, kommunikativ, ironisch gestimmten, oft gut ausgebildeten Slacker kapitulieren letztlich vor der Übermacht der Niedrigqualifizierung. Sie affiziert ungewollt schleichend ihr Denken, Fühlen und Handeln. Gesellschaftliche Aussichtslosigkeit lässt eine passagere Melancholie nun viel häufiger in die Depression kippen als enorm ansteigende zeitgenössische Leidensform.
Die Leadership scheint ebenso unentrinnbar siamesisch mit dem Geldsystem verschmolzen. Vermeintliches anthropologisches Schicksal der Arbeiterklasse, wie der Upper Middle Class, für die sie immer weniger funktioniert. Denn sie erfährt gerade, dass ihre Mitglieder noch so viele akademische Leadershipmodule besuchen, ihre "Identität" vollends auf eine imaginierte Leadership ausrichten und ihr Selbstbild als gut ausgebildete/r Leader/in vor sich hertragen können. Die gesellschaftliche Realität mit nur wenigen Leaderstellen wird dieses Selbstbild gehörig erschüttern. Die zuerst Hoffnungsvollen werden derart ebenfalls der Degradierung preisgegeben. Wie die Leadersphip als Institution an und für sich, strukturell, mit sozialer Degradierung arbeitet. Möglich, dass ein/e Aspirant/in gegen alle Wahrscheinlichkeit, "somewhere over the rainbow", eine Leaderposition angeboten bekommt. Darauf zu wetten wäre in der liquid modernity, dass diese zum einen nichts mehr mit seiner vormals von den Reflexivmodernen sogenannten "erarbeiteten Identität" gemein haben wird. Zum anderen, dass seine einst "erarbeitete Identität" ihm bei der Ausübung seiner Leadership nun eher behindert.
Außerdem besteht ein Unterschied darin von individuellen Neigungen, Vorlieben zu sprechen45, die sich durchaus ändern können oder von einer Identität, Peoplemanagement oder gar „Leadership“, die den Systemzwang ins Individuum prolongiert. Ihm geht es an erster Stelle darum Beziehungen zu hierarchisieren, indem er sie schon vor einer Interaktion weitgehend zu definieren versucht. Jenseits aller neueren Humanrhetorik der Leadershipexperten täten sie gut daran einen Blick auf Max Weber zuwerfen. Ungeschminkt konstatierte er: "Macht bedeutet jede Chance innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht..." Meistens beruht diese Chance in Firmen und Organisationen auf Status und Vorgesetztenhierarchien, "Herrschaft heißt hier die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden." Weber formuliert unheimlich klug, indem er von der Chance spricht, "für einen Befehl.... Gehorsam zu finden." Derart legt er letztlich den Schlüssel für willfähriges respektive opponierendes Verhalten in das Bewusstsein der Angestellten. Kommen sie jedem Befehl gehorsam nach oder prüfen sie ihn erst kritisch ob er vernüftig ist oder verworfen werden muss. Was der rationalen Prüfung von Vorgesetztenanweisugen jedoch entgegensteht, läuft meistens auf die Angst der Angestellten hinaus, Anweisungen nicht nachzukommen. Obwohl Angst immer ein schlechter Ratgeber, ist Leadership meistens mit dieser Angst von Unterstellten amalgamiert und basiert darauf. Psychoanalytiker vertreten die Meinung, dass Leadersphip hauptsächlich neben der Vorbildfunktion auf der internalisierten Angst vor dem Über-Ich beruht. Auch hier ist Trump ein trauriges Beispiel. Woodward porträtiert in seinem Bestseller Fear, dass die "Führung" des amerikanischen Präsidenten im Weißen Haus hauptsächlich durch Angst funktioniert. In seiner Leadersphip bildet sich brennpunktartig ab, was auch in anderen eine große Rolle zu spielen scheint. Nur hat Trumps Treiben inzwischen jedes Maß überschritten und Woodward geht davon aus, dass Trump ein Stadium erreichte, in dem die Angst vor Impeachment, Machtverlust und Strafverfahren ihn selbst heimsuchte. Trumps Leadership führte dazu, dass sein Staff unmögliche Beschlüsse vom Schreibtisch klaute, damit sie nicht ratifiziert wurden. Einerseits um Schlimmeres zu verhindern, andererseits jedoch um selbst nicht in die Schusslinie von Trumps unberechenbarer Impulsivität zu gelangen und seinen Job zu verlieren.
Dem ersten Blick fällt nicht leicht die Reflexivmodernen, (ihre Nachfolger schon kaum mehr), als ideologische Kapitalmächte zu erkennen, weil sie doch angeblich ganz nah am “eigenen Selbst“ operieren, es gar als Identität definierten und sich gar ein wissenschaftliches Exzellenzmäntlein46 umhängen. Die Identitätsrhetorik zeugt jedoch schon von der Angst getriebenen Zurichtung des Selbst.
Leadershipen, people-managen und sozial verungleichen
Gleichermaßen tragisch verhält es sich mit den "klassischen Sozialpsychologen". Auf den ersten Blick stellt sich sofort die Frage, warum hat es ein Wissenschaftszweig nötig sich klassisch zu nennen ? Möchte er nicht zu allererst suggerieren, dass seine Thesen und Methoden einerseits dem Mainstream/Wissenschaftsverständnis entsprechen, andererseits eine lange Tradition haben, die womöglich bis ins Zeitalter der Klassik reicht ? Aber der Schein trügt, die sogenannte klassische Sozialpsychologie, speziell die an der LMU gelehrte, mit der wirtschaftspsychologischen Orientierung beginnt erst Anfang der 80er Jahre des 20. Jh. Allein deshalb ist es schon sehr verwegen solch einen Zweig klassisch zu nennen. Bei ihnen stellt sich die große Frage, was das auf eine reibungslose Ökonomisierung zielende, (die es gar nicht gibt), Leadershipen und Peoplemanagement überhaupt an einer öffentlichen Universität zu suchen haben ? Universität in ihrer enigmatischen Bedeutung muss allein von der Etymologie her das Universale in den Blick nehmen und nicht einem Detailaspekt enorme Bedeutung einräumen. Leadership und Peoplemanagement sollten, wenn überhaupt, auf privaten Nachwuchs- "Kaderschmieden" der Wirtschaft und ausschließlich von ihr finanziert werden. Es kann nicht angehen, dass sie öffentliche, staatliche Universitäten belagern und eine Unmenge von ihren Ressourcen vereinnahmen. Die Teilnahme an Leadership-, Peoplemanagementmodulen sichert den Teilnehmern Konkurrenzvorteile und in der Wirtschaft hohe Gehalts und Bonizahlungen. Das Problem ist aber u.a., dass wie üblich nur wenige privilegierte, gut bezahlte Stellen bereitgestellt werden, besonders in den Akademien, Universitäten und in der Gesellschaft. Viele Teilnehmer an diesen Workshops werden sozusagen leer ausgehen. Für diese Situation dürfte nach wie vor gelten was Rousseau in seiner Antwort auf die Frage der Akademie in Dijon rubrizierte. Die Frage lautete: "Hat die Wiederherstellung der Wissenschaften und Künste dazu beigetragen die Sitten zu reinigen ?" Seine Antwort war ernüchternd, "...der Mensch ist zwar von Natur aus gut, ich glaube, es nachgewiesen zu haben. Man bewundere die menschliche Gesellschaft so viel man will. Es wird deshalb nicht weniger wahr sein, dass sie die Menschen notwendigerweise dazu bringt, sich in dem Maße zu hassen, in dem ihre Interessen sich kreuzen."
Vermutlich haben die akademischen Leadershiper/Peoplemanager durchaus eine Ahnung, dass es im neoliberalen Business nicht gerade human zur Sache geht. Sonst würden sie die Leader nicht ganz allgemein dazu aufrufen menschlich zu sein oder zu werden. Statt dieser Vorahnung ernst nachzuforschen, ist sie ihnen im akademischen Elfenbeinturm nur etwas bitter aufgestoßen. Denn anderweitig hätten sie die krassen Konkurrenzbedingungen, die ihnen vorbewusst ihre Erkenntnis aussprechen ließ, fokussieren müssen. Mit ihrem bloßem allgemeinen Aufruf liegt nahe, dass sie abermals den inneren Kern einer neoliberalen, digital forcierten, kapitalistischen Wirtschaftsdynamik verkennen.
Die neueren Leadership-/ Peoplemanagementkonzepte fordern die "Leader/in/Vorgesetzten" jetzt sogar auf sich um die Bedürfnisse, Sorgen und Nöte der Angestellten zu kümmern, "Menschlichkeit" soll den Leader auszeichnen. Doch höchste Vorsicht sei vor solch einer fürsorglichen Belagerung geboten, wenn die Macht in der Maske der Menschlichkeit und des Bedürfnisses agiert. Ist "Menschlichkeit" hier nicht vollends für effizientere Kontrolle der Arbeitsökonomie instrumentalisiert ? Wird damit nicht der letzte unantastbare Wert korrumpiert, der sich bisher aller Instrumentalisierung entzog ? Menschlichkeit hört sich ersteinmal vernünftig an, in einer dynamisierten Wirtschaft wird nun auf dem zweiten Blick der Druck auf die Leader/in erhöht. Ihre Aggressivität, die sie nach oben kommen ließ, wenn sie nicht durch Elternhaus oder Kaste ihre Stelle erhielten, sollen sie nun durch eine aufgesetzte Soziabilität, durch Humanismus ersetzen. Diese Forderung lässt sie schon rein systemimmanent schnell an die Frustrationstoleranzgrenze ihres Nervenkostüms stoßen, noch viel mehr wenn sie diesen Wert auch noch leben und umsetzen müssen.
Man braucht jedoch keinen Illusionen frönen, Menschlichkeit dient als Maske für eine perfektionierte Selbstoptimierung, etwas das dem Wesen der Menschlichkeit widerspricht. Die Begriffe Leadership/ Peoplemanagement sprechen jenseits aller neueren, implementierten Humanrhetorik ihre eigene Sprache, die ihnen trotz allem noch nicht ausgetrieben. Nämlich, dass ihnen weiterhin ziemlich reaktionäre Menschen- und Führerbilder zugrunde liegen. Beide eigentlich gegenteiligen Bedeutungen konvergieren nun in der radikalisierten Verwertung des Werts.
Den selbsternannten "Topmanagern" und ihren Rackets dienen Leadership/Piplm. dazu surreal hohe Gehalts- und Bonizahlungen zu legitimieren. Krysmanski führt in seinen 0,1%, das Imperium der Milliardäre, eine Reihe von Untersuchungen an, die die Gehalts- und Bonizahlungen des "Topmanagments" mit der Konkurrenzfähigkeit, Performanz, Gewinn(erwartung) und Zukunftsfähikgeit von Unternehmen in Beziehung setzten. In jenen Konzernen die ein hohes Leadership- bzw. "Topmanagerethos" propagierten, wurde auch vom Management am gnadenlosesten abgezockt. Zudem korreliert Riesenabzocke negativ mit dem Gesamtergebnis, d.h. der Zukunftsfähigkeit eines Konzerns/ Firma.
In den Reden zu den Reformuniversitäten Ende der 60er Jahre wurde oft kritisiert, dass auch ein anderer Habitus unter den Professoren vonnöten. Die Anrede von Magnifizenz und Exzellenzen sei nicht mehr zeitgemäß. Sie wiese auf eine ganze Reihe von privilegierten Arrangements "unter den Talaren, die den Muff von 1000 Jahren" verbreiten. Heute werden seit geraumer Zeit wieder forciert Exzellenzinitiativen an gewissen "Elite-Universitäten" eingerichtet. Diesen Titel dürfen nun wieder wenige "Auserwählte" tragen. Aber ist daran nicht vielmehr ablesbar wie sehr sich das Rad der Geschichte zurückdrehte ?
Auch die "Elite-Universität" ist weniger eine Veranstaltung der vorzüglichen Bildung nach offizieller Verlautbarung, als eine der massiven Konstruktion von Exklusivität respektive sozialer Ungleichheit. Noch minutiöser differenziert, handelt es sich nur bedingt um Exklusivität als vielmehr um harsche, krasse Exklusion derjenigen, die, sowohl inneruniversitär wegen eines nicht erreichten Notenschnitts, als auch schichtspezifisch bedingt außeruniversitär, nicht zugelassen werden. Münch führt im Akademischen Kapitalismus u.a. aus, wie die symbolische Konstruktion von Exklusivität/ Exklusion hergestellt wird. Bei der Übernahme oder der Vergabe von Lehrstühlen wie im Laufe der Professur wird materielles Kapital in symbolisches (Macht, Prestige) transformiert. Wirksam wird der von Merton 1968 beschriebene „Matthäuseffekt“: Demnach steigen die Reputationsgewinne (Veröffentlichungen in renommierten Fachzeitschriften, Forschungsgelder, Preise, Mitgliedschaften in hochrangigen Rackets etc.) in Form einer S-förmigen Kurve an, bis zu einem Break Even Point der Sättigung, an dem weitere Zuwächse einen sinkenden Grenznutzen verzeichnen, die Kurve geht nun in eine Gerade über. Diesen Effekt erklärte Merton mit dem „Thomas-Theorem“, wonach sich gegenwärtige (evtl. schwächere) Leistungen mit den vergangenen verrechnen und durch deren Reputation aufgewertet werden.
Die bitterste Erkenntnis lieferte Münch mit der Beobachtung, dass die Elite-/Universitäten vor allem den Potlatch-Effekt hervorrufen, den Marcel Mauss am Beispiel amerikanischer Indianerstämme, den Sioux, beschrieb: Einmal im Jahr laden die reichsten Familien die anderen Stammesmitglieder ein, um ein Fest zu feiern und Geschenke zu verteilen. Von den weniger Begüterten, die die Geschenke nicht erwidern können, erheischt man Dankbarkeit, indem Ehrerbietung erwartet oder Konsens/Affirmation/Applaus evoziert wird. Dem analog verteilen Professor/inn/en Geschenke an den Nachwuchs und an Mitarbeiter/innen durch Forschungsprojekte, Vertragsverlängerungen, Berufungen, un/befristete Einstellungen, Bonizahlungen, sich derart deren lebenslanger Loyalität versichernd. Zugleich treffen sie damit eine schichtspezifische Auswahl. Viele Untersuchungen weisen nach, dass fast nur die bildungsnahe UMC und die Bourgeoisie das akademische Feld bestellt. Kein Wunder also, dass die Lehr- und Forschungsparadigmen (speziell in den Sozialwissenschaften) die Ideale dieser Gesellschaftsschicht widerspiegeln. Das Buch von Münch ist definitiv ein kritischer Leuchtturm, (diesmal trifft diese ausgelutschte Metapher), der die Universität aus einer Perspektive ausleuchtet, die ihre Privilegien-Architektur schmerzhaft peinlich sichtbar macht.
De facto besteht eine enorme soziale Ungleichheit zwischen dem frei ausgehandeltem Gehalt eines C4 Professors oder Drittmittelmillionaros und angegliederten Assistenzstellen/ Postdocs. Diese Ungleichheit wird nocheinmal überboten von der, die zwar in den Sozialwissenschaften früher diplomierten oder promovieren, heute einen Bachelor oder Master ausweisen. Anschließend jedoch auf einen Arbeitsmarkt treffen, der diese Abschlüsse eigentlich nicht braucht. Es dürfte sich um die überwiegende Mehrheit handeln, die einen Abschluss in Sozialwissenschaften ausweisen, d.h. um die 80 % ! Diese Abschlüsse laufen Gefahr auf dem kapitalistischen Arbeitsmarkt nagativ honoriert, als überflüssig, nicht verwertbar eingestuft zu werden. Diese Absolventen werden für ihre Abschlüsse, gemessen an den happy few, die in ihrem angestrebten Berufsfeld arbeiten, komplett unterbezahlt. Ihnen wird zu Umschulungen geraten, oder diese Zertifikate außerhalb der Universität sogar als Beförderungshindernis angesehen.
Leadership und Peoplemanagement sind nicht nur forcierte innerbetriebliche, mikroökonomische Ideologiebausteine sondern auch makroökonomische. Ob der auf ihnen basierenden Gehalts- und Bonizahlungen im Vergleich zu Blue- and White Color Arbeitern/ Angestellten befördern sie eine massive gesellschaftliche, soziale und materielle Ungleichheit. Einer zeitgemäßen, hierarchiefreien, kollektiven, solidarischen Zusammenarbeit/ Kooperation stehen Leadership und Peoplemanagement jedenfalls komplett im Weg, was nicht das einzige Problem.
Der Grat zwischen Topmanager/in, Leader/in und Master of Desaster ist sehr schmal. Erfolgreiche/r Firmenmanager/in zu sein bedeutet heutzutage in einem Umfeld von stark kompetetiven Marktteilnehmern/ Firmen die richtigen strategischen Entscheidungen zu treffen. D.h. um größeren Gewinn zu machen damit das Überleben der Firma gesichert, ist man/frau gezwungen hoch riskante Entscheidungen zu treffen und das wesentlich schneller als die Konkurrenten. Wer länger die falschen Entscheidungen trifft wird schnell Verluste, rote Zahlen schreiben, die in die Insolvenz oder Pleite führen mit entsprechenden Konsequenzen für die Mitarbeiter. Das Perfide des Konzernsystems besteht darin, dass ihre "Topmanager", wenn sie sich als "Nieten in Nadelstreifen" entpuppen, oft nicht die Konsequenzen ihres Handelns ausbaden. Die Konsequenzen tragen die Angestellten, deren Abteilungen geschlossen, outgesourct oder entlassen werden. Während die "Leader" mit einem "goldenen Handschlag" sich verabschieden. Es besteht oft große Unklarheit ob es nicht eine stille Übereinkunft für solche betriebsbedingte Kündigungen gibt.
Psychopathologie der Leadership, Kiss the Ring and the Frog
Martin Mittelmeier schreibt in Freiheit und Finsternis über das Proletariat:
Sogar bei bestem Willen verursacht das obere Management oft die Probleme, die es ohne ihn gar nicht gäbe. Hier trifft man/frau oft auf eine Ansammlung von unheimlich komplizierten "Persönlichkeiten/ Charaktere", die ihrerseits eher Teil des Problems als dessen Lösung. Weil Führung und Leadership respektive die mit ihnen Betrauten sozial/psychologisch wie strukturell sehr problemanfällig als auch problemgenerierend, kreieren die Leader/ship- Firmenstrukturen eine unstillbare Nachfrage nach Beratung/Counselling. Aber der Clou ist: Untersuchungen der Beraterszene von größeren bis großen Firmen weisen nach, dass höchstens 50 % der eingekauften bzw. nachgefragten Dienstleistungen auf einem psychologisch "wissenschaftlich" fundiertem Counselling/ Coaching basieren, was allerdings keine Erfolgsgarantie bedeutet. Aufgrund der zentralen Schwierigkeit der sicheren Erfolgsgarantie/ Evaluation teilen sich mehr als die Hälfte des Marktes Gurus, Esoteriker, Channeler, Rebirther, Schamanen, Licht-/Quantenheiler, Geistaustreiber/-beschwörer, Facereader, Spirithacker. Das wirft die Frage auf, was es eigentlich über eine Arbeitsgesellschaft aussagt, wenn die Leitungsebenen von Abteilungen ihre Teams mehrheitlich Esoterik als Gruppenkitt und Coachingelixier für Weiterbildungen anbieten oder gar vorschreiben. Also das Eintauchen in eine ganz andere Welt respektive Sinngebung, die die postmoderne Arbeitswelt offensichtlich nicht mehr bieten kann oder verschlissen hat. Diese esoterischen Sinngebungen/Werte kollidieren oft vollends mit der realen Arbeitswelt und sind auf Dauer definitiv nicht integrierbar. Man kann niemandem wirkliches Verständnis vermitteln, der sich noch einen Fetzen Restvernunft bewahrte und es nicht selbst als ein Teammitglied erlebte, welche Dienstleistungen Firmen oder ihre Leader tatsächlich einkaufen. Nicht verwunderlich wäre, wenn man/frau nach diesen esoterischen "Teamentwicklungen" tatsächlich psychologische Nachbetreuung bedürfen. Definitiv leider kein esoterisches Alleinstellungsmerkmal, manchmal benötigen Mitarbeiter/innen nach herkömmlichen Teamentwicklungen ebenfalls psychologische Hilfe, weil sich Vorgesetzten- respektive Teamkonflikte negativ entwickelten oder eskalierten, die ohne Workshops derart nicht entflämmten. Die Wahrscheinlichkeit solcher Dynamiken steigt dadurch, falls Teamentwicklung von Chefetagen angeordnet, ohne dass die Teams demokratisch mitbestimmen, geschweige denn selbst bestimmen können, ob sie überhaupt eine wollen und mit welchem Coach. Sie mehr oder weniger dazu gezwungen sind. Überhaupt sind viele gravierende Konflikte in Betrieben durch eine mangelnde bzw. keine demokratische Mitbestimmung verursacht, oder sind durch sie respektive durch Basisdemokratie am besten lösbar. Ein Klassiker des Teamkonflikts besteht darin, dass das Team für die meisten Probleme schon gute Lösungsvorschläge anbietet. Der/die narzisstische Leader/in muss diese jedoch ablehnen, weil sie nicht von ihm/ihr stammen. Eine Annahme sieht ihr Ego als ein Eingeständnis ihrer Inkompetenz. Oder der gute Vorschlag wird aus dubiosen Gründen abgelehnt, nur um den Team/mitgliedern zusätzliche Ärgernisse/Hemmnisse zu bescheren. Machtkämpfe und Intrigen werden derart weiter geschürt.
Eine Reihe von Untersuchungen weist darauf hin, dass mindestens jede zweite Führungsposition Subjekte mit erhöhten Psychopathologiewerten besetzen. (Es sei an dieser Stelle gar nicht gegen eine positive Verrücktheit polemisiert, die oft hilft festgefahrene, blockierte Situationen zu lösen. Sie ist auch vielen Kreativen eigen, jedoch bei Vorgesetzten kaum differenzierbar mit einer negativen amalgamiert.) Nicht übertrieben ist jedoch, dass 30 % der Leitungsstellen Personen besetzen, die als ziemlich sicke, sadomasochistische Psycho/s/pathen zu bezeichnen wären, d.h. überwiegend von einer machtbesessenen, malignen narzisstischen, trumpschen, destruktiven, negativen Verrücktheit getrieben sind. 46b Es ist die Schattenseite ihrer Anpassungsleistung im Hierarchieaufstieg. Der psychopathische Narzissmus ist meist kaum differenzierbar in einen autoritären, sadomasochistischen Charakter verschlungen, der einerseits einer trumpschen autoritären Rebellion affin, andererseits eine krasse Unterwerfungsbereitschaft aufweist, die vor allem von den unterstellten Angestellten verlangt wird. Trump perfektionierte die Unterwerfungsgesten. Er setzt dafür verschiedene Rituale ein, die sich nicht von denen der italienischen Mafias unterscheiden. Neben der Omerta, ist eines der offensichtlichsten das Kiss the Ring Ritual, welches er bei verschiedenen Anlässen zelebriert. Er genießt es, wenn sich Untergebene/ Bittsteller vor oder nach ihrem Anliegen, respektive während eines Supports, vor ihm verbeugen und er sie mit ausgestrecktem Arm seinen Siegelring an der geballten Faust küssen lässt. Heinz Kohut, der viel über Narzissmus forschte, schrieb, der narzisstisch Gestörte ist unfähig seine Selbstachtung zu regulieren, dh. nach Kränkungen wieder ein Normalmaß herzustellen. Entweder kippt er ab in Größenfantasien oder in Gefühle der Wertlosigkeit. Seine Störung ist der Triebgrund für die dunkle Triade der toxische Führungskultur, die oft auch in traditionellen Arbeitsverhältnissen zu finden ist: Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie. Wer jedoch um die psychischen Nöte der Narzissten weiß, wie Anerkennungs- , Affirmations- Bestätigungssucht, der kann sie auch stark lenken und manipulieren.
Gesetzt den Fall, dass sie alle vor ihrer "Führungsposition" gar nicht mal so kompliziert waren, so sind sie es definitiv in ihrer "Leadership" aufgrund der stark widersprüchlichen Anforderungen, -Gewinnmaximierung versus Menschlichkeit-, geworden. Denn Menschlichkeit ist ihnen während ihres Aufstiegskampfs vollends abhanden gekommen. Gewinne einzufahren bzw. eine Firma zu sanieren heißt zu verschlanken. Lean management zu betreiben bedeutet jeden zweiten Arbeitsplatz wegzurationalisieren und die Arbeitsbelastung den verbleibenden Mitarbeiter aufzudrücken. Menschlichkeit würde dieses Vorgehen massiv behindern respektive unmöglich machen. Sie widerspräche all diesen Praktiken. Sie wirkt umso unglaubwürdiger, kontraproduktiver, wenn sie plötzlich von Vorgesetzten als Peoplemanagementmaske aufgesetzt wird. Darauf ist meist nur noch eine große Verunsicherung gepaart mit innerer Empörung, anschließendem Zynismus, Defaitismus und innerer Kündigung bei den Angestellten anzutreffen. Oft ist zu beobachten, dass ganze Abteilungen ziemlich erleichtert sind, respektive erst richtig produktiv, witzig werden sobald ihre "Leiter/In"/Vorgesetzte/r im Urlaub oder bei einem Stellenwechsel manchmal monate- bis jahrelange Vakanzen sich ergeben. Interessanterweise entstehen derart selbstorganisatorische Dynamiken, die oft besser funktionieren als auf dem Reißbrett geplante Hierarchien.
Michael Crozier untersuchte in den 60ern mehrere französische Betriebe und Organisationen. Seine Studie, the Bureaucratic Phenomenon, hinterfragte, ob die von Weber beschriebene Bürokratie tatsächlich die rationalste, universelle westliche Form von Herrschaft Macht und Kontrolle bildet. Seine Ergebnisse sprachen für sich. Er fand heraus, dass zur damaligen Zeit, was vermutlich bis heute eine Konstante, die verschiedenen Abteilungen innerhalb großer Betriebe vor allem jedoch ihre Führungskräfte starke, massive Rivalitäten und Kämpfte gegeneinander austrugen. Sie dienten dazu, die Funktionsfähigkeit anderer Abteilungen zu lähmen respektive zu einem dysfunktionalen Verhalten zu bringen. Viele Tätigkeiten die er untersuchte, gaben definitiv keinen rationalen Sinn mehr. Es kristallisierte sich heraus, dass es Powergroups/ Machtgruppen in Organisationen gab, Leaderrackets, die ein verallgemeinerbares Verhaltensmuster kennzeichnet. Sie versuchen möglichst viel Macht/Einfluss auf sich zu vereinen, um den Spielraum ihrer Verhaltensfreiheit möglichst maximal zu gestalten, indem sie ihre nächsten Schritte nicht oder "unbeabsichtigt" falsch kommunizieren und generell größt mögliche Unsicherheit/ Intransparenz/Verwirrung bei konkurrierenden Abteilungen über ihr Verhalten hervorrufen. Während sie zugleich die anderen Abteilungen auf ganz bestimmte starre bis unsinnige Verhaltensmuster festzulegen versuchten. Sein Befund förderte auch zu Tage: Je höher in der Hierarchie umso mehr Variabilität / Verhaltensfreiheit war vorhanden. Während die Oberen versuchten die Hände, die Verhaltensmöglichkeiten der Unteren starr zu fixieren. Webers Einschätzung, dass bürokratische Verwaltung eine rationale Form von Herrschaft sei, ward zumindest in dieser historischen Phase widerlegt.
Ähnlich kann für heutiges Leadership/ Piplmanagement und Identitätscoaching festgestellt werden, dass sie Hierarchien und Verhaltenseinschränkung auf untergeordneten Ebenen zementieren und bei den Angestellten /Mitarbeiter/innen zu einer strukturellen Ohnmacht führen, die ein kreatives, problemlösendes Denken behindert, gar lähmt. Die Mitarbeiter/innen als Teil einer Gesellschaft tragen die Blockierung des Gemangt- bzw. Verwaltetwerdens weiterhin als einen "stahlharten Käfig der Hörigkeit" mit sich herum, der sich heute im vorauseilendem Gehorsam vieler Belegschaften oder im Gedankenlesen von Vorgesetzten dokumentiert. Er absorbiert ihre Psychen, die strukturelle Ohnmacht in die Gesellschaft hineintragend.
Baumans Mangagement in a liquid modern world (2015) trägt folgende bemerkenswerte Beschreibung:
"Management has been one of the driving forces of the last century, indeed an idea and a language that colonized most other institutions, areas of human activity and walks of life, even those that had until recently been regarded as completely unmanageable, such as art, academia and creativity. Some it supported and others it destroyed, but there are few areas in modern societies that have been untouched by it. What is the meaning of management now almost omnipresent and all-powerful in our current bleak times, in our current state of interregnum that is characterized by an increasing sense of insecurity and hopelessness, a time when, paradoxically, the seemingly omnipotent force of management does not seem to work? Does it have a role to play today and in the future? What can it become and whom should it serve when the interregnum is over and a new, hopefully more humane, system begins to dawn."
Dirk Baecker geht von einer systemtheoretischen Perspektive in Organisation und Störung sogar davon aus, dass Mangement per se auf eine Störung von Organisationen zielt. Die Frage drängt sich auf wann eine Störung in Organisationen von unteren Hierarchieebenen oder der Organisation als Ganze noch balanciert/ kompensiert werden kann ? Respektive ab welchen Grad sie die Organisation zum kippen bringt ?
Leadership / Leitung basiert/e großteils auf der Illusion, die sie im Angestellten erzeugt/e, dass sie durch Charisma, das nicht vorhanden, oder vermeintlichen Sachverstand legitimiert sei. Aber da untergeordnete Hierarchieebene am schnellsten ein Gespür/Bewusstsein dafür haben, welche "Anordnungen" sinnvoll sind und welche nicht, sie jedoch trotzdem gezwungen sind sie auszuführen, kann folgendes beobachtet werden. Gruppen- respektive psychodynamisch sind diejenigen "Teams" am interessantesten, die sich innerlich schon von ihren Vorgesetzten verabschiedeten, weil sie schon länger nicht mehr erfahrungsbedingt an unsinnige Anweisungen oder die Leitungsfunktion glauben. Diese oft scheiternde Kommunikation wie Folgen und Wirkungen der gegenseitigen Antihaltungen/Blockaden zu untersuchen wäre ein spannendes Forschungsfeld. Schon die neuesten Managementratgeber beschreiben die Leitung strukturell und produktiv als eine der unwichtigsten Personen im Betrieb. Von einem ehemaligen Abteilungsleiter war zu vernehmen, wer glaubt, dass eine Abteilungsleiter eine Abteilung leite, der glaube auch, dass eine Zitronenfalter Zitronen faltet.
People-raten Richte nicht...
Reflexivmoderne und "klassische" Sozialpsychologen forcieren nicht nur die wer bist du- Frage. Gekoppelt wird sie an die was kannst du-Frage. All diese Fragen versuchen die Menschen, was noch tragischer, ihre Subjektivität, als einen positivistisch zu erfassenden Versandhaus/Katalog von Wissens- und Identitätsbeständen, gleich einem emsigen Buchhalter, zu inventarisieren. Am krassesten treibt es mit dem raten, verdinglichen und monetarisieren die was bist du wert-Frage auf die Spitze, gestellt vor allem von klassischen Sozialpsychologen. Weil ihnen bei dieser/n Frage/n wohl selbst etwas mulmig aufgrund ihres Berufsethos wurde, behaupten sie nun tatsächlich frech, "dass man sie sich vermutlich selbst schon gestellt hätte". Aber diese Vermutung verstösst nun wirklich gegen ihr eigenes Wissenschaftsverständnis. Wenn sie dies schon vermuten, müssten sie es nach ihrem eigenem Wissenschaftsverständnis empirisch positivistisch untersuchen. Sonst drängt sich der Verdacht auf, dass mal wieder als common sense ausgegeben, was keiner ist, sondern ein höchst partikulares ideologisches Interesse von Mainstreamwissenschaftler/inne/n. Ich vermute, dass diese Fragen nur innerhalb einer bestimmten Wissenschaftskultur gestellt werden. Und auch nicht, wie sie angeben, von Allen, d.h. N= Alle, sondern nur von nicht einmal ca.0,0001 % der Weltbevölkerung. Diese kommen auch nicht freiwillig auf die Idee, sondern sie wird ihnen von einschlägigen Sozialpsychologen in akademischen Seminaren und Lehrbüchern gestellt.
Als ich die was bin ich/ du wert Frage lesen musste, fiel ich in eine Art Absence und konnte erst eine Stunde später weiter lesen, denken, ob des darin enthaltenen monetären Totalübergriffs. Ich fragte mich was diese Benommenheit noch auslöste. Es war die Suggestion, dass man sich diese Frage "vermutlich selbst schon gestellt hätte". Ich legte mich auf meine Wohnzimmercouch darüber sinnierend, ob sie mir jemals im Leben tatsächlich gestellt wurde. Aber so sehr ich mich auch zu erinnern versuchte, um so sicherer kam mir vor, dass weder ich, noch meine Eltern (absolut undenkbar), noch Verwandte oder Bekannte mir sie jemals stellten. Auch nicht meine Arbeitgeber, obwohl die Lohnarbeitsverhältnisse diese Frage stumm suggerieren. Alle besaßen sie anscheinend den Anstand und die Menschenwürde mir sie nicht zu stellen. Rein aus verwundertem Interesse habe ich inzwischen die Wert-Frage Bekannten und Arbeitskollegen gestellt. Und zwar nicht suggestiv, gleich den Sozialpsychologen, was auch nicht funktioniert hätte, sondern direkt. Was bist du Wert ? Als ich diese Frage stellte, sahen mich die meisten nur ungläubig an, als ob ich ein Alien wäre oder eine gänzlich obszöne Frage lancierte, schüttelten den Kopf und gingen weiter. Manche stellten pikiert die Gegenfrage was ich den Wert sei und wie ich auf so eine beknackte Frage käme. Ich gab zu, dass ich sie in dem Sozialpsychologie Lehrbuch (Individuum und Soziale Welt, 2011, Hogrefe) las. Jetzt schlugen sich die Kollegen mit der flachen Hand gegen die Stirn und suchten das Weite. Ich machte die Erfahrung, dass dieser Frage, in einem viel stärkerem Maße als ich vermutete, das Potenzial inhäriert, meine privaten und kollegialen Arbeitsbeziehungen nachhaltig zu beschädigen, wenn nicht gar zu zerstören. Wahrscheinlich muss man erst Psychologieprofessor sein um auf solche Geniestreiche zu kommen. Die Menschen nur mit Wert- und Identitätsfragen zu konfrontieren, heisst sie zu verdinglichen. Es lässt darauf schließen, dass diese Sozialpsychologen ihnen nicht angstfrei und offen gegenübertreten können. Sondern nur vermittels ihrer diagnostizierenden, voreingenommenen Brillen, d.h. als Opfer und Täter ihrer eigenen kommodifizierten Institutionalisierung, ihrer Deformation professionelle.
Diese Fragen werden von der, „wer möchtest du sein“-Frage der Reklameimperative, „be what u wanna be“, gerahmt. Sie suggerieren den Menschen vor einer Myriade von Optionen zu stehen, die sie nur wählen müssten. Ein Problem das die Reflexivmodernen mit der Patchworkidentität zu lösen können glaubte. De facto mutierte die Problemlage dadurch noch widersprüchlicher, schräger, chaotischer, weil niemand mit vorgegaukelten Möglichkeiten und der daraus resultierenden Totalzersplitterung der Welt sich identifizieren kann.
Ehrenberg erforschte, dass die extrem auf die Subjektivität zielenden Individualisierungs- und Identitätsforderungen der reflexiven Post/Moderne die Mehrheit heillos überfordert, gar sich zu einer weit verbreiteten Depressionsepedemie auswuchs.„Die Depression offenbare”, schreibt er in dem Band Kreation und Depression, wie schwierig es für den Einzelnen sei, "sich in einer Gesellschaft, die alles auf Eigeninitiative und Selbstverwirklichung setzt, selbst eine Struktur zu geben".48 Der Autonomiedruck und die Aufgabe zur exzeptionellen Selbstwerdung stellen für die größere Mehrheit eine ziemliche Überforderung dar, die nun an jede/n in den westlichen Gesellschaften adressiert. Für die überwiegende Mehrheit, die sich an der exzeptionellen Selbstwerdung abarbeitet, ihr aber aufgrund der gesellschaftlichen Realität (Reality bites)/Anerkennung nicht genügen kann, entpuppt sie sich als Fata Morgana, an deren Ende die Zermürbung der deprimierten Person steht.
Der Individualisierungs- und Identitätsdruck der Reflexivmodernen ist, wie sich nun herausstellt, das Antezedenz eines noch viel tougheren Dispositivs. Besonders im Silicon Valley scheint es unerlässlich für die Herausbildung eines transhumanen, posthumanen Kapitalismus. Google und andere Konzerne suchen an der Singularity University nach humanen bzw humanoiden Singularitäten und Potenzialen, die ihren transhumanen Neuentwicklungen den entscheidenden produktiven Anstoß oder Spin geben. Der Weg in diese Singularity hat jedoch ungeheure Bedingungen als auch Auswirkungen auf all diejenigen, die sie niemals erreichen können, dh. auf die Meisten. Reckwitz bescheibt die Problematik in der Gesellschaft der Singularitäten (Suhrkamp 2017). Bevor sie greifen konnte, wurde sie durch die Dialektik der 68er vorbereitet.
Axel Honneth, der mit seiner Anerkennungstheorie das seine zum identitären gesellschaftlichen Anerkennungs-/ Anpassungsdruck der exzeptionellen Selbstwerdung beitrug, lässt unerwartet in Kreation und Depression verlauten:
„Die Ansprüche auf individuelle Selbstverwirklichung" seien in den westlichen Gesellschaften „so stark zu einem institutionalisierten Erwartungsmuster geworden, daß sie ihre innere Zweckbestimmung verloren haben und zur Legitimationsgrundlage des Systems" mutierten, zur „eigentümlich mißbrauchten Produktivkraft der kapitalistischen Modernisierung"49. Als „Resultat dieses paradoxalen Umschlags, in dem jene Prozesse, die einmal eine Steigerung qualitativer Freiheit versprachen, nunmehr zu Ideologie der Deinstitutionalisierung geworden sind, reüssiere die Entstehung einer Vielzahl von individuellen Symptomen innerer Leere, Sich-überflüssig-Fühlens und von Bestimmungslosigkeit".50
Diese individualisierten Symptome kommen in einer Gesellschaft zum Ausdruck, in der selbst die Mittelschicht und die Upper Middle Class in Zeiten permanenter wirtschaftlicher Stagnation und starker Konkurrenz, die Erfahrung macht, dass ca 80 % ihrer Mitglieder, erstens nicht den Beruf ausüben können, den sie sich wünschen und zweitens auch in anderen ungeliebten (Bullshit)Jobs (Graeber/2020) weniger verdienen als ihre Eltern. Nachtwey verfasste ein lesenswertes Buch über die Gefühlslagen, die die sozioökonomischen Mechanismen dieser allgemeinen Abstiegsgesellschaft (2016) produzieren. Die Abstiegsgesellschaft ist gleichermaßen eine Deklassierungsgesellschaft. Denn breite Bevölkerungsschichten verlieren wiederholt einigermaßen gesicherte Beschäftigungsverhältnisse mit akzeptablen Stati und finden sich über Nacht in einer statuslosen, stigmatisierten Prekarität, gepaart mit einer schockierenden, existentiellen, traumatisierenden Deklassierung, wieder. Diese Erfahrung war vor allem, aber nicht nur, im Osten präsent, was 30% der Bevölkerung (mehrheitlich Frauen) veranlasste bis heute in den Westen zu wandern. Alle ökonomischen Strukturprobleme beförderten den Frust und die Regressionssymptome einer typischen Schrumpfgesellschaft. (Ungleich vereint, Mau/2024) Krasse Statusverluste und breite Perspektivlosigkeit haben ihrerseits gesellschaftlich gravierende Konsequenzen.
Die größte zukünftige zivilisatorische Bedrohung besteht weiter darin, dass die AgD das o.g. Unbehagen in der Postmoderne hauptsächlich auf Migrant/innen lenkt. Indem die AgD das Aufbegehren ihres Klientels zu einer autoritären Rebellion verstärkt. Sie bestätigt einmal mehr die These von Benjamin, nach der die Ultrarechten den ausgeschlossenen Unterprivilegierten zwar zu ihrem Ausdruck verhelfen, aber nie und nimmer zu ihrem Recht. Der Wirtschaftwissenschaftler vom DIW Berlin, Marcel Fratscher, spricht vom AfD-Paradox, (gleichermaßen kann man von einem Trump-Paradox sprechen): „Menschen, die die AfD unterstützen, würden am stärksten unter der AfD-Politik leiden, und zwar in Bezug auf fast jeden Politikbereich: Wirtschaft und Steuern ebenso wie Klimaschutz, soziale Absicherung, Demokratie und Globalisierung."
Zu einem nicht geringen Anteil kam dieser Problemkomplex zustande, weil den im indivduellen Leistungs- und Gesellschaftsgefängnis Inhaftierten, ausgerechnet die arrivierten (Ex-)68er, nun emeritiert, außer individualisierenden, identitären Anerkennungs- und Anpassungstheoremen keine realen, schon gar nicht theoretische gesellschaftliche Alternativen mehr boten, obwohl diese in ihrer Frühzeit groß auf ihren Fahnen prankten. Sie mutierten zu ihrem früher bekämpften Gegenteil, zu Leadership-, Employability- “Indivdualisierungs- oder Identitätsexperten“ einer Upper Middle Class für die ihre Theoreme nun immer weniger bis gar nicht mehr funktionieren. Dafür aber der nationalistischen Identitätspolitik der Ultrarechten in die Karten spielen. Ein ideologischer Bruch, der Geist und Körper gleichermaßen affizierte. Keine Theorie könnte ihren Verveverlust an Elan Vitale besser veranschaulichen, der sich bis in die geistige und sexuelle Potenz erstreckt, als die mit Begriffen schon nicht mehr beschreib-, geschweige denn überbietbare Poesie der Poesie Hölderlins51. Visionär schien er nicht nur das Leben per se im Blick, als vielmehr die göttliche Morgenröte, die Aurora des Lebenshungers, den Jubel des Bios, des Eros und nach der Hälfte ihres Lebens den theoretischen moralischen Bankrott, den bürgerlichen Absturz, die Dialektik der 68er:
Kann man/frau sich selbst erkennen ?
Die Moderne konfrontierte die Menschen mit der Frage des gesellschaftlichen Überichs "was sie tun dürfen". Die unter dem Bann einer forcierten Ökonomisierung stehende Postmoderne ging zu der "was sie tun können" Frage über. Dem aber nicht genug, um dies zu bewerkstelligen sollten sie jetzt mehr als jemals zuvor wissen, wer sie sind. Wer bist du ?52 -ist nicht nur zum Mantra der reflexiven sondern auch der klassischen Mainstream-Sozialpsychologie (und der klinischen Psychologie) avanciert. Inzwischen verkörpert sie die postmoderne Gretchenfrage par excellence.
Zu raten wäre, dass sowohl die klassischen als auch die reflexivmodernen Sozialpsychologen sich wieder intensiv mit der psychoanalytischen Theorie auseinandersetzten. Denn bis Ende der 70er Jahre waren sie noch von Freud geprägt. Ihr Verdrängen Freuds und des Unbewussten aus den Universitäten kommt sie nun teuer zu stehen. Wenn sie schon die wer-bin-Ich Frage nun obsessiv stellen, sollten sie auch die erkenntnistheoretischen Probleme wälzen, die mit ihr unauflöslich verbunden. So wie sie es als frühe 68er taten. Aber diese Form der Erkenntnistheorie beschreiten die klassische und reflexivmoderne Sozialpsychologie schon seit Becks Risikogesellschaft (1986) nicht mehr. Deshalb erinnern wir sie gerne an ihre eigene frühe Theorie/Geschichte der 60/70er Jahre.
Freud verglich, zum einen, durch die Analyse der Hysterie und die Supervision seiner Fälle, zum anderen, aufgrund seiner Beschäftigung mit dem Ödipuskomplex, die menschliche respektive bürgerliche Psyche mit einem Eisberg. Eine der wohl treffendsten, gelungensten Metaphern der Kultur- und Wissenschaftsgeschichte. Ohne dass er es explizit ausführte, kulminiert darin das Bürgertum nicht nur seiner Zeit. Auf die Zwanghaftigkeit, Eisigkeit und Alternativlosigkeit der wirtschaftlichen Zwänge verweisend in denen es verstrickt, wie sich selbst gerne verstrickt, als auch zu was es zu erstarren droht. Zudem ist die Eisbergmetapher gerade eine von hohem wissenschaftlichen, psychoanalytischen Nutzen. Nur ein kleiner bewusster Teil (10%) ragt aus dem Wasser, der weitaus größere fluide, dynamisch unbewusste ist intelligibel kaum zugänglich. (Ein Befund den die postmoderne Bewusstseins-/Neuronennetz-/Hirnforschung bestätigt und sogar von 95 % Unbewusstem ausgeht. Ein Verhältnis, das evolutionär bedingt, seit den ersten Menschen bestehen dürfte. Dieses Verhältnis zu erweitern, bzw. zu verschieben birgt entsprechende "Nebenwirkungen", beobachtbar an den sogenannten Savants (Wissende). Die Erweiterung ihrer Kognition oder ihres Bewusstseins (auf ca 20-30%) verschränkt sich mit schweren sozioemotionalen Problematiken, die eine selbständige Alltagspraxis weitgehend unterminieren. Wer die "doors of perception" and of consciousness künstlich, sei es pharmazeutisch, sei es mit LSD erweitert, geht ein hohes Risiko seine Alltagstauglichkeit zu verlieren.)
Wenn das Unbewusste, sofern möglich, konsequent weitergedacht/extrapoliert, wird es erkenntnistheoretisch ziemlich un/fruchtbar. Es erklärt warum diese unheimlich ätherische, unfassbare Psyche, wenn überhaupt, nur minimal positivistisch erforschbar sein wird. Alle Versuche Prognosen über "Triebtäter" oder generell über statistische Vorhersagbarkeit von (kriminellem) Verhalten zu treffen werden wegen dem Unbewussten risikobehaftet bleiben.
Im freudschen Modell, das dem Subjekt 10 % Bewusstsein zugesteht, sind selbst diese einer erstaunlichen Dynamik ausgesetzt. Es synthetisiert Wahrnehmungen von denen nicht eindeutig ob sie Selbst/erkenntnisse oder sich als Illusionen entpuppen. Sie bleiben eine Zeit im Bewusstsein, tauchen wieder ab, werden verdrängt, sind mehr oder weniger lange unbewusst, kreuzen Primärprozesse, können wieder aufsteigen, durchlaufen Sekundärprozesse, werden verzerrt vorbewusst. Bevor sie verändert zu Bewusstsein kommen, das es nun erst wieder zu entschlüsseln gilt. Der Prozess der Wiederkehr des Verdrängten bezieht eine Reihe von Metamorphosen ein, von denen die Psychoanalyse meint , dass sie nur partiell entschlüsselbar sind.
10% dynamisches Bewusstsein lässt allein schon jeglichen reflexiven und klassisch positivistischen Ansatz der vermeintlichen Selbsterforschung schnell an die Grenzen der Aufklärung stoßen. Dennoch meinen alle post/modernen Psychologien/ Therapien, Coachings, besonders die reflexive Identitäts/Forschung/Psychologie auf diese ephemeren 10% entscheidenden Einfluss nehmen zu können. Die Vehemenz mit der sie zur Identitätskonstruktion oder gar Identitätsarbeit aufruft gleicht einem Heilsversprechen, das ihre heimlichen Allmachtsphantasien spiegelt, die die Macht des Unbewussten schon länger überwunden glauben. Nach ihrem Coachingverständnis dürfte es immer weniger psychisches Leid geben. Nur zeigen die neueren wissenschaftlichen Untersuchungen, dass die "psychischen Störungen" nicht ab sondern zunehmen. Ein Widerspruch der zu denken gibt. Ist gar ein Schelm wer vermutet, dass die Zunahme der "diagnostizierten Störungen" u.a. mit dem Normalisierungsdruck zusammenhängt, den die Instrumentalisierung aller Lebensbereiche durch die Public/Mental Health Agenten wie die reflexive Identitäts-/ Verhaltens /Psychologisierung/ Coachisierung/ Therapeutisierung ausübt, auf den gerade das Unbewusste allergisch zu reagieren scheint ?
Nur die Theorie der Psychoanalyse, die auf den meisten Fällen aus Freuds Praxis beruhte, bestand wie keine andere moderne und inzwischen postmoderne Psychologie darauf, dass das Ich nicht Herr im eigenen Haus ist. Das Ich zwar zwischen Über-Ich und triebhaftem Unbewussten vermitteln sollte, aber realiter oft nur als eine äußerst störanfällige Illusion firmiert. Denn das Unbewusste, das von opaken Begierden, Leidenschaften, Zwängen, Obsessionen, ungelösten, nun unbewussten Konflikten oder Traumata der Sozialisations- und Familiengeschichte getrieben, erweist sich meistens stärker als das vermeintlich rationale Ich. Deshalb war die Psychoanalyse gefeit nicht auf die therapeutische Allmachtsphantasie einzusteigen. Das unbewusste, "gestörte" Ich ist, falls überhaupt, nur durch die Traum/Deutung von Neurosen, Versprechern, Tics, Verhaltensauffälligkeiten und deren psychoanalytische Interpretation in einem gemeinsamen, intensiven kommunikativen, emotionalen, psychodynamischen Prozess mehr schlecht als recht zu rekonstruieren. Eine Rekonstruktion die oft aus vorbewussten Erinnerungspartikel, Traumresten oder Reverie entsteht und notwendigerweise auch spekulativ bleibt. Dieser Prozess setzt weniger auf Selbstoptimierung, sondern häufig darauf sein eigenes Symptom/ Tic evtl. akzeptieren bzw. annehmen zu können und es nicht un/bewusst permanent abzulehnen oder zu bekämpfen. Es ist gerade der intensive eigene Kampf gegen das Symptom, u.a. vermittels einer massiven Verdrängung, der den Selbst/Hass nur steigert und das Symptom, die Problematik verschlimmert.
Zizek fand für einen gelingenden therapeutischen Prozess die Formel: "Liebe dein Symptom wie dich selbst." Was viel leichter gesagt als verwirklicht. Denn hinter dem eigenen Kampf gegen das Symptom verbergen sich tief verinnerlichte, gesellschaftliche Normalisierungsagenturen und Sozialisationsagenten, deren diffizile Verwobenheit mit dem eigenen Kampf erst einmal ins Bewusstsein gehoben sein will. Es ist zudem ein harter Struggle um die Erinnerung jedoch auch um die adäquate Deutung von verzerrten, verschobenen, verstellten Erinnerungen, die erinnert, wiederholt und angemessen durchzuarbeiten wären. Immer eingedenk dessen, dass es eine "reine objektive" Erinnerung an eine Traumatisierung, die evtl. Jahrzehnte zurückliegt, nicht geben kann. Das Ringen um eine eingermaßen adäquate Erinnerung in einem intensiven kommunikativen analytischen Interaktionsprozess kann gelingen und zu einer starken Veränderung der Person führen. Es kann jedoch auch scheitern, ob der Schwere der Traumata oder problematischen Introjekte, die eine schwere Abwehr begünstigen, die ein monatelanges Schweigen bewirkt. Von den Krankenkassen wird Psychoanalyse deshalb öfters als unproduktiv, nicht bezahlbar evaluiert. Das Ziel von Psychoanalysen besteht zwar in der Auflösung von Symptomen. Meistens läuft es jedoch auf eine gewisse Aussöhnung mit seinen Symptomen hinaus, eine Art Waffenstillstand oder Feuerpause, die sich als fragil erweisen kann.
Wie die Reflexivmodernen von einer reflexiven Identitätsarbeit zu sprechen, führt mehrfach in die Irre. Denn sie begehen mehrere Irrtümer. Der erste besteht darin, dass der Einzelne vermittels Selbstreflexion einen ähnlichen Erkenntnisprozess vollziehen könnte, der in langjährigen Psychoanalysen möglich ist. Der andere besteht darin zu glauben, dass es eine Identität gäbe, die durch eine (protestantische) "Identitätsarbeit" erreichbar ist. Die Reflexivmodernen setzen auf ein positivistisches, behavioristisches Lernkonzept und Funktionieren der Psyche, das nicht mit dem unheimlichen, dynamisch Unbewussten rechnet. Es gerade ob seiner Unheimlichkeit, seiner Unberechenbarkeit zu verdrängen, abzuwehren und abzuspalten versucht. Deshalb arbeitet die reflexivmoderne Identitätspsychologie als auch "Forschung" mit einer unzureichenden Vereinfachung und Unterkomplexität einer unrealistischen behavioristischen Modul-Psyche, die nach der Methode von Plastik-Lego-Bausätzen funktioniert. Die Reflexivmodernen haben es zudem vermieden sich als Neo-Behavioristen zu outen. In den linken Sozialwissenschaften war und ist dies ein No-Go. Aber falls die Untersuchungen betrachtet werden, auf die sich die Reflexivmodernen und die späten Gemeindepsychologen berufen, so kann festgestellt werden, dass ihnen meist ein behavioristisches Forschungsdesign zugrunde liegt. Etwa Antonovskys Forschungen, die sie breit rezipieren, mit seinem positivistischen Soc, Behaviorismus, seiner Ressourcen- und Stressorenorientierung, aber auch etlichen anderen. Es sind wirklich krasse alptraumhafte, orwellsche Dimensionen, falls wirklich die enorme auf ausgefeilter Statistik beruhende Präventionsorientierung angewendet würde, die Antonovsky der Gesellschaft realiter empfiehlt.
Wenn Therapien gelingen spielen oft Persönlichkeitsvariablen eine große Rolle, allerdings auch wenn sie scheitern. D.h., dass letztlich eine kaum zu Beginn abzuschätzende "Inkompatibilität" zwischen der Person und dem Unbewußten der Analytiker/in und der/ dem des Klienten bestand, die/das problematische, pathogene Prozesse evtl. mehr anstößt als heilt. (Das trifft auch auf alle anderen Therapien zu. Besonders jene bei denen der Klient sich den Therapeuten nicht selbst aussuchen kann.)
Unter den postmodernen gesellschaftlichen Bedingungen der Zwangs/Individual/Atomisierung dürfte verstärkt zutreffen was Christian Morgenstern schon Anfang des 20.Jhs. erkannte: "Einander kennenlernen, heißt lernen, wie fremd man einander ist."
In Freuds Studien über Hysterie und in der Traumdeutung stand das Erforschen, das Verstehen des Unbewussten im Vordergrund, das ihn bis zu seinem Tod und die Psychoanalyse weiter begleitete. Störungen waren nur zu lindern, falls man seiner irrationalen Dynamik, seiner Psycho-logik, genügend Raum des Ausdrucks, der Beobachtung, Reflexion und Kommunikation einräumte. Immer unter dem Vorbehalt, dass es zu mächtig, zu komplex, zu opak, um es vollends zu verstehen.
Obwohl Freud den aufklärerischen Wunsch äußerte, „wo Es war soll Ich werden,“ erstaunt letztlich die labyrinthische, kafkaeske Intransparenz noch seines "Aufriss der Psyche". Unterbewusstsein und Bewusstsein verhalten sich nahezu abgeriegelt zueinander, bilden Fremdkörper. Außerdem arbeitet in den meisten Fällen das Unbewusste nichtidentisch. D.h. es opponiert, konterkariert oder unterläuft angeblich bewusste Entscheidungen, Meinungen, Haltungen und "Identitäten", wie ES auf den verschlungensten, nicht reflexiv einholbaren Pfaden komplex dialektisch auf vermeintlich "bewusste" Entscheidungen Einfluss nimmt.
In den 50 er Jahren des letzten Jahrhunderts begann sich die Psychoanalyse nach den Forschungen von Anna Freud auf das Ich und seine Abwehrmechanismen zu konzentrieren, auf die gesunden bzw. "kranken", selbst/destruktiven Anteile des Ichs. Die Forcierung der Ich-Psychologie sollte, gleich der späteren behavioristischen Identitätspsychologie, der Stärkung des Ichs dienen, eine Konstante bis heute. Die Frage bleibt, ob ohne gebührende gleichschwebende Aufmerksamkeit für das Unbewusste, sie wirklich der Ich-Stärkung dienen oder nur dessen frommen Wunsch.
Die Analyse von Ödipus Sprechakten ist nicht weniger aufschlussreich. Er bemüht sich zwar um Eindeutigkeit, realiter schleicht sich jedoch immer eine andere Bedeutung ein. Er zeichnet sich stets durch seine Doppeldeutigkeit aus, wie er permanent Bruder und Vater, Ehegatte und Sohn zugleich. "Er ist eine doppelte Persönlichkeit, dessen zwei Hälften, wenn sie zur Deckung kommen, seine Einheit zeigen und gleichzeitig seine monströse Dualität offenbaren." Dies ist umso bemerkenswerter weil die Sage u.a. auf das historische Stadium ihrer Entstehung reflektiert, in dem die Herrschaft des Patriarchats sich zementierte, in dem das Wissen vom biologischen Vater, von der Abstammung, immer bedeutender wurde. Aber, worauf es ankommt, kein anderer Gründungsmythos des Westens erzählt so dezidiert davon, dass das Gattungssubjekt als Mensch, gerade wenn es glaubt am rationalsten zu handeln, (unbewusst) andere täuscht, sich aber auch über sich selbst täuscht. Zu aller Tragik den Irrtum, wenn überhaupt, erst aufklären kann, wenn es zu spät ist. Und die Folgen der Erkenntnis der Schuld, denen es nicht gewachsen, nicht verarbeiten kann.
Vermittels der Ödipussaga gingen einige renommierte Erkenntnistheoretiker noch einen Schritt weiter und erklärten die positivistische Erkenntnissuche, vor allem die wer-bin-ich Frage, generell als Verblendung. Durch die man/frau womöglich am Ende Ödipus ähnlich verloren, was unter gegebener kapitalistischer Vergesellschaftung ziemlich wahrscheinlich ist.
Am Anfang des philosophischen Wissenschaftsdiskurses in der Antike steht, durch Ödipus Rex hindurch, die große Skepsis der antiken Dialektik der Aufklärung, was positives Wissen überhaupt bewirken kann. Zugleich symbolisiert die Tragödie eine herbe Warnung, dass das erforschte Wissen auf den Menschen unbeabsichtigte, unvorhersehbare, verheerende "Nebenfolgen" zeitigen kann, die sich zu deren tödlichen Hauptfolgen entwickeln. Die Sage taugt zur Flaschenpost, die nie wirklich verloren ging, sich erst heute vor allem in ihrer grandiosen Verblendungsdimension vollends zu bewahrheiten scheint. Besonders in der fortgeschrittenen liquid modernity, die durch rasant sich selbst beschleunigende, potenzierte, computerisierte, digitalisierte Wissenschaften unübersichtliche, diversifizierte Methoden und Erkenntnisse produziert. Es ist eine Wissenschaftsindustrie entstanden die mächtige, konkurrierende, sich oft widersprechende Erklärungsansätze hervorbringt (z.B. Allgemeine Relativitätstheorie vs Quantenphysik, Multiversen vs Stringtheorie, Dark Matter vs Dark Energy. Oder Kritische Theorie/NKT vs Reflexive Modernisierung, vs Klassische Sozialpsychologie, vs Neo/Behaviorismus, vs Systemtheorie). Wissenschaftler/innen mögen sie zu lösende Rätsel aufgeben, die allerdings ständig weitere produzieren. Als Nicht-Akademiker/in, Vereinzelte/r steht man/frau diesen Wissensdiskursen oft verloren und desorientiert gegenüber. Auch Akademiker/innen verschiedener Fachrichtungen können über einen Gegenstand kaum angemessen kommunizieren, aufgrund der verschiedenen Zugänge, Methoden, Wissensgebiete. Als Vertreter meist positivistisch konkurrierender Wissenschaftsansätze/ science approaches stehen sie sich feindlich gegenüber, indem sie sich oft wie "falschgläubige" religiöse Sektenmitglieder bekämpfen/ batteln. Was wiederum mit einer gesteigerten paradoxalen Wissenproduktion einhergeht.
Die amerikanische BRAIN Initiative und das europäische Human Brain Project stellen den aktuellsten Versuch dar, das menschliche Gehirn vollends zu entschlüsseln. Manche Forscher versuchen die neurochemische, synaptische Informationsverarbeitung, die Reizleitungsübertragung mittels Big Data und Neuronalenklongeweben zu simulieren. Man darf auf die Ergebnisse des Connectome Project gespannt sein. Aber es ist anzunehmen, dass sie ein ähnliches Schicksal gleich der KI-Forschung ereilt. Sie produzieren zwar nach wie vor Big Datas und spannende Ergebnisse. Nur inwiefern sie auch tatsächlich die Informationsverarbeitung eines menschlichen Gehirns simulieren und nicht nur die ihres Modells bleibt fraglich. Ein menschliches Gehirn ist unteilbar mit einem menschlichen Körper verbunden auf dessen umfangreiche Körpersensorik und Sozialgeschichte es angewiesen ist. Ganz zu schweigen vom freudschen Unbewussten, das jedes lebende Gehirn auf seine ganz spezielle vermutlich nie zu erforschende Art und Weise ticken/ funktionieren lässt. Überhaupt wäre spannend ob die vollständige Simulation eines Human Brains überhaupt noch eine Theorie des Unbewussten nahe legt oder per se komplett verwirft.
Die Evolution brachte mit dem menschlichen Gehirn einen hochkomplexen Wahrnehmungs-, Kommunikations-, Kognitions-, und Körperregulationsapparat hervor. Er war im Überlebenskampf des Steinzeitmenschen ziemlich funktional. Seit dem Neolithikum erwies er sich durch seine Neuroplastizität als Meister der Naturausnutzung/-beherrschung. Die letzten Jahrtausende zeichnete er sich zudem als Baumeister, Kulturkonstrukteur und letztens als hybrider Wissenschaftsproduzent aus. Nur scheint diese Hyperkomplexität gepaart mit enormer Plastizität mit einer gravierenden Nebenwirkung einherzugehen, einem eklatanten Mangel, einer scheinbar bis heute vorherrschenden Unmöglichkeit von Selbsterkenntnis, von der das Freudsche Unbewusste spät zeugte. Selbsterkenntnis war offensichtlich seit Beginn an kein Selektions- oder Survivalvorteil. Eher drürfte das Gegenteil zutreffen. Erst in der Postmoderne wird von einigen reflexiven Psychologien/ Psychotherapien eine forcierte (Selbsterkenntnis ?) vor allem jedoch Identitätskonstruktion als Heilsversprechen propagiert. Aber selbst in dieser Epoche bleibt fraglich ob dies wirklich zielführend, wie sie meinen, oder weiterhin das Gegenteil bewirkt: Verblendung. Schon einmal musste der berüchtigste Denker der Antike nach endlosen dialektischen Reflexionen, für die das Prozeßhafte des dialogischen Denkens den wichtigsten Erkenntnisfortschritt bildete, sich eingestehen: Ich weiß, dass ich nicht weiß. Dies war trotzallem noch eine reflexive Erkenntnis.
Luhmann reflektierte jedoch zudem auf die Bedingungen von Wahrnehmung und Erkenntnis im Bewusstsein, was letztlich die Möglichkeiten von Selbsterkenntnis weiter beschnitt. "Bewusstsein bedeute die Wahrnehmung der Leistungen des eigenen Hirns zu blockieren, den Prozess der Entstehung dieser Wahrnehmung auszublenden und alle Resultate der Wahrnehmung der Außenwelt und nicht etwa der eigenen Wahrnehmungsleistung zuzurechnen; das Bewusstsein löscht Informationen über den Ort, an dem die Wahrnehmung stattfindet." 53a
Nietzsche war der berüchtigste Genealoge der Moral und Analytiker des Abendlandes. Es gibt nur sehr wenige, die seiner dynamischen Seelenerforschung auf Augenhöhe begegnen können. Wir erfahren durch ihn einen großen, performativen Widerspruch, ein Paradoxon. Dessen Texte durch die großen Antithesen, die sie aufspreizen, siehe den Kampf Apollons gegen Dionysos, ungemein lebendig wirken. Allerdings je schonungsloser er die Psyche vivisezierte, zergliederte, je tiefer er zu tauchen meinte um so weniger glaubte er zu finden.
"Wir sind uns unbekannt, wir Erkennenden, wir selbst uns selbst: das hat seinen guten Grund. Wir haben nie nach uns gesucht,- wie sollte es geschehen, dass wir eines Tages uns fänden ?.... Jeder ist sich selbst der Fernste, -für uns sind wir keine Erkennenden."53b In den unzeitgemäßen Betrachtungen fragt er noch skeptischer: "Wie kann sich der Mensch kennen. Er ist eine dunkle und verhüllte Sache; und wenn der Hase sieben Häute hat, so kann der Mensch sich sieben mal siebzig abziehn und wird noch nicht sagen können: das bist du nun wirklich, das ist nicht mehr Schale." 53 c
Die Abhandlung über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne aus dem Nachlass ist erst mit der KSA, der Kritischen Studienausgabe von Colli/Montinari einem größerem Fach/Publikum bekannt geworden. Erstaunlich ist welch rasante Verbreitung sie in der Sekundärliteratur zu Nietzsche und in der allgemein erkenntnistheoretischen erfuhr. Sie führt Nietzsches generellen Zweifel den er gegenüber dem Erkennen hegt am breitesten aus, und erstreckt ihn später über die Entstehung der Sprache und der Begriffe.
"Was weiß der Mensch eigentlich von sich selbst! Ja, vermöchte er auch nur sich einmal vollständig, hingelegt wie in einen erleuchteten Glaskasten, zu perzipieren? Verschweigt die Natur ihm nicht das Allermeiste, selbst über seinen Körper, um ihn, abseits von den Windungen der Gedärme, dem raschen Fluß der Blutströme, den verwickelten Fasererzitterungen, in ein stolzes, gauklerisches Bewußtsein zu bannen und einzuschließen! Sie warf den Schlüssel weg: und wehe der verhängnisvollen Neubegier, die durch eine Spalte einmal aus dem Bewußtseinszimmer heraus und hinabzusehen vermöchte, und die jetzt ahnte, daß auf dem Erbarmungslosen, dem Gierigen, dem Unersättlichen, dem Mörderischen der Mensch ruht, in der Gleichgültigkeit seines Nichtwissens, und gleichsam auf dem Rücken eines Tigers in Träumen hängend."
Individualisierung, Psychomachia, protestantische Identitätsexaminierung, Identitywars
Die Employability baut auf der gleichermaßen bedeutendsten postmodernen Konformierungs- und atomisierenden “Normalisierungsdynamik“ auf: der Individualisierungstheorie. Obwohl immanent logisch enorm widersprüchlich konstruiert, lässt sie den Rezipienten, das sind mehrere Generationen von Studierenden, keine Möglichkeit sich anders als individualisiert zu denken, zudem, was viel gravierender sich auswirkt, zu entwerfen. Denn Individualisierung wird als ein systemisch hermetischer Vergesellschaftungsmodus vorgestellt, dem niemand entkomme. Diese Art der systemischen Theoriekonstruktion versperrt per se den Weg zum solidarisch kollektiven Handeln, weil die Individualisierungstheorie derart letztlich extrem monolithisch präskriptiv wirkt.54 Differente Lebensentwürfe werden gegen politische Kritik immunisiert, denn über den individuellen Lebensentwurf kann in der Logik der Individualisierungstheorie niemand mehr entscheiden. Sogar das Individuum nur sehr sehr marginal, obwohl es ziemlich widersprüchlich von den Reflexivmodernen auch dazu aufgerufen wird. Z.B in jenem vermeintlich ironischem: "Du hast keine Chance aber nutze sie." Das Bonmot sollte von einem gewissen Witz des Autors Beck zeugen. Im Grunde jedoch bringt es das ganze Theoriedilemma der reflexiven Modernisierung auf den Punkt.
Gerade die soziale Ungleichheit, die maßgeblich über die Qualität der Lebensentwürfe entscheidet, wird durch die Individualisierungstheorie der politischen Kritik entzogen. Materiell arme und reiche Lebensentwürfe der systemischen Hermetik zu attribuieren, heisst sie in letzter Konsequenz dem Individuum anzulasten. Dem wäre mit Walter Benjamin zu begegnen, der den Weg von der Kulturalisierung der Politik zur Politisierung der Kultur empfahl. Berechtigte Wünsche für eine andere Gesellschaft werden dadurch nicht mehr im Keim erstickt.
Der Protestantismus war seit seinen Anfängen mit der Quadratur des Kreises beschäftigt als er das Individuum zu bestärken beabsichtige vermittels Individualisierung, "Individuierung" und Subjektivierung. Graf spricht nur halbironisch von "der Erfindung der Innenwelt", die bis dato in solchen unermeßlichen Dimensionen nicht existierte. Die Theorie und Praxis über den Protestantismus, (ua. Ehrenberg, das Ungehagen in der Gesellschaft, Suhrkamp, 2012), wies darauf hin, dass dies einen der großen Unterschiede zu den Katholiken markiert. Anders als die Humanisten sehen die (frühen) Protestanten im Individuum „nicht einen autonomen Mikrokosmos, sondern einen Mikrochristus“. Dies war aber nur der Anfang. Über den berühmten verstorbenen Theaterregisseur Claus Peymann war im Spiegel (17.7.2025) zu lesen: "Ich bin ein Bremer Protestantenkind und habe mich ausgerechnet... mit dem vom Katholizismus gezeichneten Großgrundbesitzer aus Oberösterreich Thomas Bernhard (Heldenplatz) verbunden. Einen größeren Unterschied in Mentalität und Denken gibt es ja gar nicht."
"Die am meisten gelesene dieser geistlichen Autobiographien war die von John Bunyan, Grace Abounding to the Chief of Sinners (1666). In vielen Einzelheiten erzählt er, wie er schrittweise im Laufe von fünfzehn Jahren von einem Zustand, in der er »eine Bürde und ein Schrecken" war, und zwar so sehr, daß es ihm unmöglich erschien, »daß ihm vergeben und daß er vor dem kommenden Zorn gerettet werde'<, zu einem anderen überging, indem, wie er sagt, »es war, als ob ich aus einem Albtraum erwachte«. Diese Erzählungen zeigen Wege auf, um den Seelenfrieden und die spirituelle Ruhe wiederzufinden. Übrigens hat es den Anschein, daß in Neuengland fast "jeder Puritaner, der lesen und schreiben kann, eine Art Tagebuch führt."56
Das Lesen von Autobiografien kam auch im protestantischen Europa in Mode. Die Psychomachia wechselte langsam in die Selbstprüfung ohne sich je vollends aufzulösen. Später gingen die protestantischen Pfarrhäuser dazu über ihren Kindern ebenfalls das führen von Tagebüchern anzuempfehlen. Diese Tagebücher zeichnet meist der innere Zwiespalt, zudem die innere Prüfung aus, ob die eigene Subjektivität auch den Ansprüchen der protestantischen Tugendhaftigkeit genügt. Oft sind sie Zeugnisse heftiger Selbstzweifel, Seelenpein und dem darauf folgenden Selbst-/Bestrafungsverlangen mit angegliedertem Straf- als auch Bußregister. Elisabeth Förster-Nietzsche z.B wurde zu einer passionierten Sündenbekennerin gemacht, erzogen. Im Nachlass ihrer Mutter Franziska fand sich ein Buch von Wilhelmine Oeynhausen, das sie sehr wahrscheinlich ihrer Tochter herzlich reichte und in damaligen Pfarrhäusern weit verbreitet war. Der Titel ist schon Programm der protestantischen Erziehung: Worte mütterlicher Liebe an meine Tochter, eine Gabe für chritstliche Jungfrauen.(1835). Die Eltern Elisabeth und Friedrich Nietzsches gehörten der nationalistischen, fundamentalistischen, protestantischen Erweckungsbewegung an, (Spuren die sich modifiziert auch in Nietzsches Spätwerk finden). Sie praktizierte eine sehr aufdringliche Art von Sündenbekenntnis, Frömmelei und Sühne, das sie mit einer ausufernden Missionstätigkeit verband. Viele Pastoren die innerhalb und außerhalb Deutschlands "ihr Heil" suchten, waren von ihr geprägt. Weniger problematisch erschiene, wenn es der private Erziehungsstil von Pfarrhäusern geblieben wäre. Aber derart verkennt man den protestantischen Missionszwang. Protestantische Priester, Diakone, Laiepriester, Lehrer erprobten ihr Sozialisationsmodell an ihren Gemeinden und an staatlichen Schulen. Alle, die mit ihnen intensiver in Berührung kamen, wurden nicht nur einem strammen Erziehungsprogramm unterworfen, das heute unter dem Label schwarze Pädagogik firmierend, entsprechende Auswirkungen auf die Psyche der Sprößlinge zeitigt/e. Die Selbstprüfung wurde solchermaßen mehr oder weniger aufgezwungen. Selbstbeobachtung und Selbstprüfung wuchsen sich zu einer rituellen geistigen protestantischen Praxis aus, die die protestantische Kirche als sie markierende Methode durch die Epochen schleifte. Sie ist sowohl aus einem aufgeklärten als auch wissenschaftlichen Standpunkt, ganz zu schweigen von einem gesellschaftskritischen, äußerst fragwürdig, wahrscheinlich sogar schädlich bis hoch neurotisierend. Dennoch hielten die Protestanten an ihrer Methode sektenhaft fest. Wenn derart protestantisch Sozialisierte auf Lehrstühle oder Schulen gelangen, ist darauf zu wetten, dass sie ihre höchst fragwürdige Praxis in Lehr- oder Identitätstheoreme transformieren. Im 19. Jh. mündete die Selbstprüfung auf einer breiten Ebene in eine neurotische Dauerselbtbeobachtung der Wachsamkeit gegenüber Sünde und Müßiggang. Damals war viel dezidierter verbreitet, was sich heute noch beobachten lässt. Wer sich schon einmal wunderte, warum gerade die Kinder aus protestantischen Pfarrhäusern eine gewisse Verschrobenheit, Seltsamkeit, Selbstbezogenheit, Eigenbrötlerei, unproduktive "Verhaltensauffälligkeit" und Weltfremdheit eignet, gepaart mit Verbohrtheit, Starrsinn und Lebensferne, kann bei Carol Diethes Nietzsches Schwester und der Wille zur Macht fündig werden. Nach dieser Lektüre ist nachzuvollziehen, was die tägliche Selbstprüfung und Dauerselbstbeobachtung noetisch bewirkt. Es wird ein Überwachungssystem in diese Psychen eingezogen, das sich zu einem Paranoiasystem zu verselbständigen neigt, und das Subjekt in eine Art permanenten Alarmzustand versetzt. Die Paranoia nötigt die Heimgesuchten es entweder komplett zu affirmieren oder je nach Frustrationstoleranz respektive Reaktanz vehement abzulehnen. Manche wenden sich aufgrund dieser Erfahrung in einem langen Läuterungsprozess vom Protestantismus und ihrem Elternhaus ab, ohne die Paranoia wirklich abschütteln zu können. Über die Hälfte der Kinder aus protestantischen Pfarrhäusern oszillieren zwischen omnipotenten Machtphantasien in denen sie sich sehr stark, dominant fühlen und krassen Minderwertigkeitskomplexen, die sie oft alternierend zeitweise in die Depressivität stürzt. Es sind Symptome von Traumatisierungen, die sie in ihrer Kindheit und Jugend durch protestantische "Selbstprüfungen", Glaubensfanatismus, Selbsterforschungs- und Sühne-Workshops erlitten. Aber vor allem durch Elternkonflikte, die auf die Intensität des Glaubens und der daraus folgenden "Lebenseinstellung" zielen, die nicht auf Kompromiss, sondern eher auf Unterwerfung unter die gottähnliche (erlebte) Autorität des Vaters abstellen. Traumata, die sie in der Adoleszenz oft nur durch eine unter Umständen lebenslang begleitende Psychotherapie mehr schlecht als recht kompensieren. Diejenigen, die nicht den Weg der Psychotherapie gehen, versuchen ihre "Dämonen" auf die ein oder andere manipulative Weise auf andere zu übertragen (Wiederholungszwang), d.h. auf sie massiven sektenhaften Druck auszuüben. Nietzsche verstand sich als der Philosoph, der mit dem Hammer philosophiert. Die Deutung liegt nahe, dass in ihm schon jene Verselbständigung der Paranoia arbeitete, die zu seinem Zusammenbruch mit anschließender geistigen Umnachtung beitrug. Ebenso wäre Nietzsches Übermensch als ein Derivat aus der protestantischen Leistungsethik zu lesen; die, ob ihres naiven grenzenlosen Gottvertrauens, komplett illusorische Anforderungen an die/den Einzelne/n richtet, vollends verblendet für die konkreten Möglichkeiten des jeweiligen realen Menschen. Es bleibt weiterhin fraglich ob ihr überhaupt etwas am Individuum an und für sich liegt, oder nur an seiner vollendeten Beherrschung und Ausbeutung. Diethe meint, dass Oeynhausens "Buch die Bedeutung der täglichen Selbstprüfung in einem Ausmaß betont, dass wir heute vermuten würden, hier solle der Eigenwille des Individuums gebrochen werden." Den Auszug den Diethe zitiert lautet:
Bedenke, du hast heute:
1. Gott zu preisen.
2. Dich empfangener Barmherzigkeit zu erinnern.
3. Einer Hölle zu entrinnen.
4. Eine Seele zu retten.
5. Buße zu suchen und zu thun.
6. Sünden zu bereuen und zu verlassen.
7. Ein Paradies zu erlangen.
8. An den Heiland zu glauben und ihm nachzuahmen.
9. Um Gnadengeben und ein gottseliges Leben im ernsten Gebete zu flehen.
10. Die Werke des Fleisches durch den Geist zu tödten
11. Zu wachen und nüchtern zu seyn.
12. Die Zeit auszukaufen.
13. Einen Nächsten zu erbauen.
14. Lieblingswerke zu verrichten
15. Eine Welt zu fürchten und doch zu überwinden.
16. Ja, vielleicht selbst den Tod zu erwarten.
17. Und vor Gericht zu erscheinen.
Als Außenstehender, von dieser Kultur Verschonter, mit einer explizit säkularen, aufgeklärten Sozialisation gerät man über diese Litanei eher spontan ins Lachen. Für die vom Protestantismus Geprägten war es bitter ernst, wenn nicht sogar todernst. Der Unterschied zur katholischen Beichte besteht u.a. darin, dass die katholische Theologie und Soziallehre dem Mensch/Fleisch unterstellt, dass er letztlich immer ein Sünder bleibt, wir alle Sünder sind. Die katholische Beichte ist, zumal aus einem aufgeklärten Blick seit der Moderne, eher als oberflächliche, nicht ganz ernstzunehmende, dem Volk äußerlich bleibende, wenig wirksame Intervention zu betrachten. Sie geht letztlich davon aus, dass der/die Einzelne unverbesserlich ist. Eine Verbesserung kann, wenn überhaupt, nur der "unbewegte Beweger" bewirken. Die Beichte verschafft eine gewisse Erleichterung, um anschließend fröhlich weiter zu sündigen.
Der Protestantismus meint es hingegen mit seiner täglichen Selbstprüfung tatsächlich ziemlich ernst. In seiner Sicht wäre die Sünde evtl. zu überwinden, wenn man/fru sich als besonders properes, moralisch reines Subjekt erweist. Dazu muss das Individuum sich tatsächlich selbst verbessern, als auch moralisch optimieren, hart und kontinuierlich an sich und seiner Moral arbeiten wollen. Dies eröffnet einen unheimlichen manipulativen Spielraum für den Vorwurf der mangelnden Ernsthaftigkeit bzw. Motivation innerhalb einer sich sadomasochistisch transformierenden Selbstprüfung. Seit der Aufklärung radikalisierte der Protestantismus den Selbstverbesserungs -respektive Optimierungsglauben, ihm nach oben nun keine Grenze mehr setzend, d.h. er kreierte permanent eine Drucksituation auf das Individuum. Sie offenbarte, dass sein "Markenkern" definitiv moralisch reine, makellose Subjekte zu produzieren beabsichtigt. Dieser vermeintlichen Fortschrittlichkeit inhäriert jedoch, wie aller prätendierten, eine Dialektik. Die verinnerlichte religiöse wie subjektive Selbstprüfung, als ein wichtiges Instrument des protestantischen Optimierungs/glaubens/wahns, greift nun viel vehementer in den Seelenhaushalt, die Psychodynamik ein. Während der Katholizismus in der Post/Moderne "zu einer Kultur äußerlicher spielerischer Rituale" wurde, spitzte der Protestantismus das "verinnerlichte Schuldbewusstsein und den Authentizitätsdruck"57a zu. Wer gar die Sozialisation in einem protestantischen Pfarrhaus erlitt, dürfte vorbewusst von permanenter Selbstprüfung, wie der Frage nach seiner "Authentizität" bestimmt sein. Er/Sie könnte deshalb aufgrund seines/ihres bizarren Habitus/ Hexis zu einem relativ interessanten kritischen sozialpsychologischen Untersuchungsgegenstand avancieren. Gerade auch weil er aus Wiederholungszwang permanent andere zu seinem Identitätsforschungsobjekt erklärt. Hinter diesem/r seltsamen, überspannten Habitus und Hexis, der oft mit individuellen Symptom/Tics einhergeht, verbirgt sich jedoch zusätzlich ein in der protestantischen Theologie/Sicht hoch wirksamer tiefgreifender, geschichtlicher, eschatologischer Prozess, der jedes Individuum überfordern würde:
Was diese Theologie realiter in den Psychen der Kinder eines protestantischen Pfarrhauses anrichtet, brachte Michael Haneke in seinem mit der goldenen Palme preisgekrönten Film, Das weisse Band (2009), ans Tageslicht. Er spürte der autoritären, sadomasochistischen, bedrückenden Atmosphäre eines fiktiven norddeutschen Dorfes (Eichwald) in der Vorkriegszeit des ersten Weltkriegs ziemlich realistisch nach. Besonderer Fokus galt den Praktiken eines protestantischen Pfarrhauses, welches stellvertretend für fast alle anderen stand. Den Kindern wurde eine permanente Gewissenserforschung mit regelmäßigen Geständniszwang vor dem Vater, der zugleich protestantischer Pfarrer, abverlangt, ob sie sich gottgefällig oder lästerlich verhielten. Je nachdem wie glaubwürdig er ihre Geständnisse, ihr Selbstprüfungsringen befindet, werden die Kinder körperlich gezüchtigt. Oder ihnen, bei Bestehen der Prüfung, ein weißes Band an den Arm gebunden zur Ermahnung steter Tugendhaftigkeit und moralischer "Reinheit". Die Kinder standen unter einem derartigen Druck, dass sie ihn nur durch starkes Mobben, unter Druck setzen anderer Kinder in der Schule, weitergeben respektive abreagieren konnten. Als seelisch, körperlich, psychisch tief gedemütigte, verletzte Verletzer traumatisieren sie brutal physisch und psychisch andere, und versuchen alles mit Hilfe ihres protestantischen Pfarrhauses zu vertuschen.
Nietzsches enigmatischte Aussage: Gott ist tot, ließ hoffen, dass nun auch die Stunde für das Ende aller autoritär, sadomasochistisch geprägten Herrschaftsverhältnisse schlug. Zumindest war dies ein Versprechen der Moderne, das sich schnell als Illusion erwies, zumindest für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dennoch wiesen sie in der Spätmoderne eine seltsame Veränderung auf. Baudrillard, einer der artistischten Beobachter und Theoretiker der Postmoderne, beschrieb diese ziemlich schräge Transformation der traditionellen gesellschaftlichen Institutionen am subtilsten:
"Jedenfalls wird nichts schlicht und einfach getilgt, und von allem, was verschwindet, bleiben Spuren. Das Problem ist das was übrigbleibt, wenn alles verschwunden ist. Es ist ein wenig wie im Falle der Cheshire-Katze bei Lewis Caroll, deren Lächeln immer noch im Raum schwebt, nachdem ihre Gestalt verschwunden ist. Oder wie beim Gottesgericht: Gott verschwindet, aber er hinterläßt sein Gericht. Nun aber ist ein Katzenlächeln an sich bereits furchteinflößend, doch ein Lächeln ohne Katze wäre es noch viel mehr... . Und auch das Gottesgericht ist an sich bereits furchteinflößend, doch das Gottesgericht ohne Gott..."57b
Vergleichbar verhält es sich mit den protestantischen Institutionen. Die protestantische Selbstprüfung war zwar auch ein Antrieb für den modernen Subjektivismus, jedoch zugleich weiterhin unbewusst mit der Psychomachia verknüpft. In der Postmoderne nach 68 explodierte der Subjektivismus zu überbordendem, nie gekanntem Polymorphismus liquider Dynamik.
Die postmodernen Protestanten gingen dazu über diesen zuerst religiösen Kampf der Selbstprüfung der eigenen Glaubensmotive komplett zu verweltlichen. Dennoch konnten sie postmoderne/n, liquide/n Subjektivität/Subjektivismus nicht einfach zweck-und wertfrei entstehen lassen. Die von ihnen überwunden geglaubte, letztlich aber nur verdrängte und nicht aufgearbeitete Psychomachia, brachte sie auf den Monster/Trip die überquellende Subjektivität jetzt nach ihrer Identität zu befragen. Ihr längst vergessen geglaubter, verdrängter Seelenk(r)ampf um Auserwähltheit führte nun aus der Tiefe der protestantischen Psyche einen postmodernen Bürgerkrieg, der daraus einen Kampf um und für erfolgreiche, gelingende "Identität" schmiedete. Sowohl um die subjektive als auch berufliche und letztlich um kapitalistische Firmenidentitäten, mehr noch Blockbusterlabels, die nun gegeneinander einen unerbittlichen Konkurrenzkampf führen.
Die kulturelle, protestantische, postmoderne Identitätscodierung prägt heute nicht nur die Wirtschaft und die Firmenphilosophien/Ethiken/Labels, sie wirkt sich besonders auf die Politik negativ aus. Denn Parteien, politische Gruppierungen und Preassuregroups sind nicht nur ihren Interessen/Lobbyisten verpflichtet, sondern vor allem ihrem jeweiligen Identitätsdesign, was sie aktuell besonders unversöhnlich macht. Sie sind darauf geeicht/ konditioniert die anderen Parteien als Gegenidentitäten zu bekämpfen, dh. gegen sie einen für sie "identitätsstiftenden Identitywar" auszutragen. In Amerika gab es deshalb schon vor Trump einen heftigen Parteienkampf, der zu einer universellen politischen Blockade geriet. Unter Trump hat sich diese Patrteienblockade nicht nur verschärft, sondern mündete in einigen Städten als auch Parlamenten in eine Form des permanenten Bürgerkriegs. Er bringt seine eigenen kampferprobten Bürgermilizen hervor, die ständig die Grenze zu Illegalität überschreiten, indem sie Majors, Gouverneure, deren Familien und Mitarbeiter massiv bedrohen. Der vorläufige Tiefstpunkt dieser Entwicklung gipfelte in Trumps Aufruf zum Sturm auf das Kapitol („Fight like hell"), der sich auch prompt nach seiner Rede Anfang Januar 2021 ereignete.
Denn die protestantischen Quellen der postmodernen Selbstprüfung richteten den inneren Bürgerkrieg der Psychomachia auf eine intensive Automachia aus, die ihn aktuell auf einen War of Identity and for Identity, zudem auf einen Identificationwar einschwört. Den post/modernen ideologischen Überbau verkörpernd, der von dem intensivierten ökonomischen Konkurenzkampf produziert wird, zugleich wirkt er "reflexiv" zurück und treibt ihn selbstreferentiell an. In der Gemeindepsychologie der Reflexivmodernen und ihrer reflexiven Sozialpsychologie erfährt er eine gefährliche, individuell enorm risikobehaftete "Blüte". Keupp reicherte ihn weiter mit einer intensiven pseudo/wissenschaftlichen Konformierung an, die die protestantische individuelle Leistungsethik zu einer innerweltlichen „Identitätsarbeitsethik" ausfeilte, die die Individuen womöglich krasser als die Automachia zurüstet respektive transformieren will. Unter dem vermeintlich harmlosen Label Gemeindepsychologie führt/e er und seine Helfer die entschiedensten Hiebe des kleinbürgerlichen Identitätsterreurs wie Anpassungsdrucks auf die postmodernen Psychen aus. Mittels unerbittlicher Identitätsfragerei forderten sie uns letztlich alle auf eine Identität einzunehmen, die sie anschließend "erforschen". Ohne Identität wäre man/frau in ihren Augen verloren. Nicht nur als ihre Student/innen beginnt man/frau sich nun zu fragen, was denn die eigene "Identität" definiert und schon greift eine Art von forcierter protestantischer Selbstprüfung. Diese individuelle Selbstprüfung muss nun aber vor "der großen Anderen" reflexivmodernen, neoprotestantischen, die sie in den Fokus einer viel krasseren Subjektevaluierung rückt, bestehen, eine Form des Gottesgerichts ohne Gott. Denn zuerst fordern sie einen auf eine Identität zu konstruierten, die sie anschließend mit dem positivistischen, instrumentellen SOC-sense of coherence- erforschen, verdaten, beurteilen und maximal examinieren. Das sinnhafte Erleben des Einzelnen, oft ein stark subjektiver, vorbewusster bis unbewusster Prozess, wenn es denn überhaupt ein solches gibt, versucht der SOC komplett positivistisch zu evaluieren und läuft genau deshalb Gefahr es zu zerstören. Denn ein subjektiver Sinn hängt oft mit lebensgeschichtlich erworbenen ästhetischen Empfindungen, d.h. kaum positivistisch zu evaluierenden Synästhetiken zusammen, die jede Form von Positivierung als einen Angriff auf ihre Existenz begreifen. Wie das Fühlhorn der Schnecke ziehen sie sich spontan zurück, wenn sie von ihnen traktiert werden.
Es bleibt abzuwarten ob der SOC es nicht ins DSM-Manual schafft. Pharmafirmen Pillen entwickeln, die Besserung für niedrige Punktewerte auf der SOC-Skala versprechen, wie schon für Depression und Suizidalität. (Nur haben diese Pillen die unterschätzte Nebenwirkung, dass, nachdem sie die Handlungshemmung und das Grübeln scheinbar beseitigen, doch den Suizid befördern.)
Letztlich wird mit der Identitätsforschung und dem SOC, als instrumentelle, protestantische Verweltlichung, ein gesellschaftliches Klima erzeugt, dass die Individuen stärker und kompletter vereinzelt, so wie sie es noch nie waren, damit zugleich Atomisierung und Konkurrenzdenke endgültig besiegelnd. Mit dem anschließenden Scan, ob der Identitätsvollzug durch die zuerst induzierte Identitäsfragerei auch stattfand oder ob er gar zu wünschen übrig lässt. Unüberhörbar die Anklänge an die protestantische Gewissenserforschung, Selbstprüfung und Automachia, die die katholische Beichte nicht nur ersetzte, sondern postmodern transformierte.
Identitätsbrechungen, Psycho, Prismen
Feministische Theoretikerinnen und die critical race theory gaben mlt ihrem eigenen Sarkasmus längst zu bedenken, dass die männliche Sprechposition des alten weißen Mannes und vor allem die des Pale Protestant People permanent damit beschäftigt ist, andere Sprechpositionen und besonders andere "Identitäten" zu definieren, zu beschreiben und zu markieren, während sie stets darauf bedacht ist die eigene unmarkiert zu lassen respektive zu verschleiern. Denn je unmarkierter sie ist, um so mehr kann sie als eine scheinbar neutrale, "objektive", "wissenschaftliche" Sprache auftreten. Gleichermaßen wiesen feministische Theoretikerinnen längst darauf hin, dass die Frage nach der Identität, vor allem die nach einer „gelingenden Identität“, (eine der dämlichsten, verblendetsten wie verblendendsden, protestantischen, reflexivmodernen Fragen) ganz besonders genderspezifisch zu verstehen wäre. Darin offenbare sich die typische Sorge des (westlichen) Mannes, spezifischer des PPP, des Pale Protestant P.... People, um sein gesellschaftliches und sexuelles Standing. (Zugleich karikierten sie mit der PPP-Kategorie die Kategorisierungsmanie der positivistischen Sozialwissenschaften.)
(Freilich gibt es auch die überprotektive, komplett vereinnehmende, "verschlingende" Mutter. Eine Deutung von Psycho, die mehr hier das Problem verortet, respektive in einer fehlenden oder verfehlten Symbolisierung des Vaters, liefert Slavoj Zizek in dem Heft zu, "the Perverts Guide to Cinema, Warum greifen die Vögel an ?" Suhrkamp Verlag 2016 .)
Die (männlichen) Identitätssüchtigen treibt zudem eine prekäre psychische Dynamik, die der von autoritären respektive faschistoiden Charakteren verwandt. Bei Letzteren eröffnet, neben der ödipalen Problematik, Melanie Kleins und Margaret Mahlers Psychoanalyse der frühen Kindheit noch größeres Erkenntnispotenzial. Theweleit erforschte in seinen Männerphantasien (Suhrkamp), dass die faschistoiden Männer keine wirkliche Trennung vom Mutterleib erfahren, Zeit ihres Lebens körperlich und psychisch "unabgenabelt" bleiben. Er spricht von den nicht zu-Ende-Geborenen aufgrund emotionaler und psychischer "Unterernährung", die auf frühkindlicher Isolation, Traumatisierung durch Gewalt als Erziehungsmittel und der daraus entstehenden Deprivation beruhen. Theweleit beschrieb als Hauptfolge, dass der faschistische Mann sich vorbewusst als malträtierter Fragmentkörper erlebt. Er fühlt sich schmerzhaft unabgegrenzt. Sein Fragmentkörper verlangt deshalb nach militärischem Drill, Formation, Disziplin, autoritärem Geprotze, physischem Training/ Bodybuilding als eine Form der Reaktionsbildung. Gegen ihre vorbewusste Fragmentierung versuchen die soldatischen Männer nach innen und außen einen Körperpanzer auszubilden. Er soll sie gegen die schmerzhafte innere Fragmentierung abtöten. Andere zu töten ist dementsprechend ihr permanenter Funktionsmodus als Wiederholungszwang. Die Abwehrformation eines "stählernen" Charakterpanzers spiegelt diesen Prozess in der Psyche. Doch ihre Feiung erweist sich, gleich der Siegfrieds, als brüchig. Ihre große (unbewusste) Angst besteht darin, dass die Panzerung fragil sein könnte und sich die Körpergrenzen und Charakterpanzerung auflösen könnte/n. Um zu überleben müssen sie diese Gefahr durch Feindbilder externalisieren, so Bauman, "um die internen Quellen der Auflösung in effigie zu bekämpfen: Die Elemente des nie ganz losgewordenen Femininen (im Gegensatz zum Männlichem)., des Liquiden (im Gegensatz zum Stabilem, Solidem)." 59a
Protestantische Unionsheere gegen Katholische Liga im 30 Jährigen Krieg. (Die Kriegsdynamik wurde keineswegs dadurch gemildert, dass realiter fast 50 % der jeweiligen Söldner in beiden Heeren Mitglieder der anderen Religion waren). Protestantismus gegen Katholizismus in den verschiedensten Ausprägungen. Deutsches Reich gegen Frankreich/British Empire/USA/Sowjetunion im ersten Weltkrieg. NS/Drittes Reich gegen Kommunismus, gegen Juden, Alliierte, Europa im zweiten Weltkrieg. (Christentum versus Islam (Kreuzzüge)), Islam/ postmoderner Jihad gegen Jesiden/Kurden/Juden/Muslime/Christen.
Während Adorno beim Bedürfnis in der Klassengesellschaft die Schwierigkeit beobachtete zwischen Menschlichkeit und Repressionsfolge nicht mehr klar trennen zu können, ist die Identität die "Urform der Ideologie", reinstes falsches Bewusstsein, Verblendung par Excellence.59c Weil das menschliche Denken durch Begriffe und Syntax zum identifizierendem Denken neigt, eröffne es fast per se eine unheimliche Vorurteilsstruktur, die einen dezidierten Einfluss auf das Handeln nimmt. Die Negative Dialektik kritisierte das Identitätsdenken als den zentralen instrumentellen Umgang von Menschen mit Menschen in der verwalteten Welt. Sie durchkreuzt diese instrumentelle Vernunft, nicht nur um sie vielleicht zu humanisieren, sondern generell zu problematisieren. Gerade noch einmal zu Beginn der 68er Studentenbewegung mit der Fertigstellung des Buches, lieferte Adorno die Begleitmusik und das Reflexionsmedium mittels derer die verhärteten, instrumentellen, gesellschaftlichen Verhältnisse zum Tanzen zu bringen wären. Was die 70er Jahre hindurch leidlich gelang.
Das Ticketdenken, der Identitäts-Begriff, die instrumentelle Vernunft und das sie definierende Identitätsdenken verkörperte für Adorno harte wirkmächtige Ideologie. Es rückte in seinem Spätwerk in den Fokus seiner Kritik. Die Klammer bildend mit der sowohl die Ideologie des Nationalsozialismus arbeitete respektive funktionierte, als auch das Denken des Bürgertums und seine Funktionsweise essentiell bestimmte. Als Scharnier und Sesam-öffne-dich erklärt das Identitätsdenken warum das Bürgerliche und das Faschistische einerseits so ansatzlos, so bruchlos ineinander übergehen konnten, andererseits warum der Faschismus, einmal niedergerungen, scheinbar übergangslos verschwand. Dennoch war Adorno Zeit seines Lebens eingedenk dessen, was im bürgerlichen Identitätsfetischismus lauern kann, welche Monster er zu gebären fähig.
Hinter Adornos leidenschaftlichem Plädoyer für das Nichtidentische in der Negativen Dialektik stand Mitte der 60er Jahre innerhalb der Linken die Angst, dass über das Identitätsdenken wieder ein schleichender Übergang zum Faschismus Einzug hält. Deshalb war in den 70ern das Identitätsdenken bei den 68ern als bürgerliche Kategorie komplett kompromittiert und wurde von ihren Sozialwissenschaftlern bekämpft.
Die traditionellen Milieus/Klassen verloren zuerst als Folge der 68er Studentenbewegung und gegen Ende des 20. Jahrhunderts bis in die Jetztzeit, aufgrund rasanter digitaler Modernisierungsschübe, stark an Bindekraft und Selbstverständnis. Denn in ihrer Frühzeit, als auch die 70 er Jahre hindurch, praktizierten die frühen 68er noch eine extrem kritische Kritik der Negativen Dialektik verwandt, die alle traditionellen kognitiv-identitären Begriffsmuster in Frage stellte.
Keupp vertritt ja die Ansicht, dass eine Sozialpsychologie zu aktuellen Problemen einer Gesellschaft Stellung nehmen und sie angemessen reflektieren sollte. Falls sie dazu nicht in der Lage, stellt er ihre gesellschaftliche Funktion in Frage. Aber wie steht es um Sozialpsychologien, die gesellschaftliche Probleme komplett verzerrt darstellen, mehr noch, denen ihre sozialpsychologische Diagnostik zum hauptsächlichen, "eigentlichen" Problem gerät ? Bis heute vernahm man keinen einzigen Satz zur Neuen Rechten /AfD von den sogenannten Reflexivmodernen ! Woher plötzlich diese Zurückhaltung ? Könnte hier eine zu große Affinität vorliegen ?
Es ist definitiv der signifikante Unterschied ob Identitätsfragen in allen anderen Kulturen oder gerade in Deutschland gestellt werden. Seit der französischen Revolution bestand das Vertrauen in die Vernunft der Aufklärung, dass sich progressive Wissenschaften als auch Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit in ganz Europa verbreiten. Aber schon gen Ende des 19. Jh. propagierte Wilhelm II, der deutsche Adel und das Großkapital einen toughen Wilhelminismus als auch nationalistischen Reichsfetischismus. Sie forcierten den Kampf der verspäteten Nation innerhalb Europas um Kolonien in Afrika, den berüchtigten "Platz an der Sonne." Antisemitischer Wilhelminischer Imperialismus und deutscher Identitätsfetischismus gingen nun eine unheilvolle Allianz ein, die den ersten Weltkrieg provozierte.
In der anschließenden Weimarer Republik war nur bei der USPD wie den Kommunisten der imperialistische, identitäre Nationalismus in Verruf geraten und wurde als Hauptkriegsgrund angeprangert. Aber die Konservativen, das Zentrum und MSPD setzten weiter auf einen patriotischen Nationalismus, der vor allem von dem radikalen Nationalismus der Nationalsozialisten viel zu leicht gekapert werden konnte. Schon damals zeigte sich, dass der Patriotismus der Schoß war aus dem die NSDAP kroch. (Deshalb ist heute ziemlich erschreckend, dass die Mehrheit der Mainstreamwissenschaftler/innen, Systemtheoretiker/innen und "Bildungseliten" wieder meinen den Patriotismus gegen den radikalen Nationalismus in Stellung bringen zu können. Das ging schon gen Ende der Weimarer Republik dramatisch schief.) Zudem bildeten Sozialdemokraten und Kommunisten abwechselnd bis Ende der Weimarer Republik die größten Parteien. Sie sahen jedoch nicht in der NSDAP ihren gefährlichsten Gegner, sondern bekämpften sich gegenseitig massiv als "Sozialfaschisten". Dieser unsägliche, sträfliche Blödsinn verhinderte eine bitter nötige Einheitsfront gegen die NSDAP und spielte ihr krass in die Hände. Das einzige was die Linke aufbot waren Sprüche, Parolen und Warnungen wie "Nur die dümmsten Kälber wählen ihre Schlächter selber". Im Vergleich zu der systematischen, flächendeckenden, professionellen Propaganda der Nazis aber nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Dass Hitler letztlich reüssierte war auch ein Versagen der SPD und der KPD, die braune Gefahr sträflich zu vernachlässigen. Die NSDAP propagierte mit einem enormen Propagandaaufwand einen identitären, völkischen Nationalsozialismus gekoppelt an einen mörderischen eliminatorischen Antisemitismus, der sie nicht nur "demokratisch" an die Macht brachte, sondern mit dem sie den zweiten Weltkrieg vom Zaun brach.
Innenpolitisch wurde nach 1933 ungeheurer Druck bei der Besetzung von Führungspositionen, aber auch schon bei einfachen Tätigkeiten, in fast allen gesellschaftlichen Bereichen aufgebaut. Die Nazis nannten es umfassende Gleichschaltung. Über Anwärter/Bewerber von Leitungsstellen fertigte die NSDAP oder Gestapo lange Gutachten, Dossiers und Beurteilungen über die "weltanschauliche Gefestigtheit" an. Mehrere Bewerber-Interviews, die von Verhören nicht zu unterscheiden waren, führte entsprechend geschultes NS-Personal durch. Darin wurde ausgelotet inwiefern der/ die Bewerber/in Ideologie und "Glaubensbekenntnis" des Nationalsozialismus nicht nur "identitär" verinnerlicht hatte, sondern auch beruflich und privat lebte respektive propagierte. Keine Mitgliedschaft in der NSDAP war ein Ausschlussgrund, genauso Zweifel an der identitären und "weltanschaulichen Gefestigtheit." Folglich kam nicht von ungefähr, warum der Nationalsozialismus bis weit in die 60er Jahre in der BRD fortweste. Seit dem ersten Weltkrieg und noch einmal forciert seit dem zweiten stand Deutschland praktisch unter dem dunklen Stern zweier gewaltiger und extrem gewalttätigen Konterrevolutionen, die weiterhin ihre Schatten werfen.
Erst seit 1968 wurde der Nationalsozialismus und sein Fortwesen/Untotem in der BRD kritisch gesehen. Durch die 68er Studentenbewegung erfuhr er in den 70ern vermittels des aus ihr hervorgehenden Lehrpersonals eine notwendige massive Ächtung. Denn plötzlich tauchte eine nie dagewesene, schwer zu beschreibende als auch einzuschätzende Spezies in den westlichen Lehr- und Bildungsinstitutionen auf. Später einigten sich die Beobachter darauf ihn als den weit verbreiteten 68er Lehrer/innen Typ/us zu charakterisieren. Die frühen, echten 68er praktizierten eine bis dahin völlig unbekannte (experimentelle) Laisser-Faire-Pädagogik, die "Pädagogik" generell als etwas Offenes und Experimentelles ansah. Sie verwandelte den Westen bis Mitte der 80er erheblich. Es war faktisch nur etwas mehr als dieses eine Jahrzehnt in dem in Deutschland kein (nationaler) Identitätsfetischismus betrieben wurde, der das Individuum vollends affizierte.
1986 als etablierte Profs passte kritische Kritik nicht mehr zu ihrem neoliberalen Gesellschaftsbild. Nun vermittelten sie nachfolgenden Student/innengenerationen, dass es zu dem postmodernen Identitätsdenken keine Alternative gäbe. Diskussionen um die Fragwürdigkeit wie die Kritik des Identitätsparadigmas vermieden/verhinderten/wehrten sie ab, denn dies wäre ihrer Geschichte zu nahe gekommen. So wurde die nötige Diskussion unterbunden, dass das Identitätsdenken in einem nationalhistorischen Kontext eingebettet, den sie als frühe 68er perhorreszierten. Gleichermaßen diejenige, ob sie als konvertierte Reflexiv/naiv/moderne nicht wieder an ein großes, traditionell deutsches Katastrophenpotenzial anknüpften, das aufgrund jahrhundertelanger, historischer Konditionierung wieder postmodern ansprechbar wurde. Und das Adorno Horkheimer nicht müde wurden zu analysieren wie vehement zu kritisieren.
Die vermeintliche Expertise der SS und der Gestapo bestand darin, dass bei vielen Denunziationen aus dem "Volk" und kulturellen "Uneindeutigkeiten", formal ziemlich gut gebildete Beamte mit Hochschul- oder Universitätsabschluss, Verhöre an politisch stigmatisierten Opfer/n/gruppen über persönliche, politische, nationale, ethnische, kulturelle, sexuelle, rassische und religiöse "Identität" durchführten. Kleinste Sprachnuancen als auch Versprecher, die unter enormen Verhördruck sich zwangsläufig öfters ergeben und auf einen spezifischen kulturellen "Hintergrund" hinwiesen, letztlich der erzwungene Nachweis eines gewissen "kulturellen Identitätsmarkers", wie etwa Beschneidung, bedeuteten den Tod. Gleichfalls, aus Sicht der NS-Beamten, unstimmige, falsche oder unbefriedigende Antworten. Die Mehrheit der Verhörten überlebte die Verhöre nicht und für die anderen zeitigten sie schlimmste Konsequenzen. Hannah Arendt und Anna Freud gaben ihre eigenen Erfahrungen in privaten Gesprächen wieder. Wie nah der Nervenzusammenbruch ist, wenn frau in stundenlangen Gestapoverhören jede Sekunde extrem konzentriert, intelligent, "smart" und rhetorisch wahnwitzig geschickt kommunizieren muss, um sie körperlich unversehrt zu überstehen. Gleichzeitig sollte sich kein nervlicher Kollaps ereignen, denn er hätte weitere Prügel und Folter zur Folge, die ein Überleben sehr unwahrscheinlich machten. Die Traumatisierung greift durch die unmittelbare Todesdrohung trotzdem und bedarf langer Behandlung. Nach solchen Verhören sollte man/frau, falls möglich, keinen Tag länger als unbedingt nötig im Machtbereich des NS bleiben, um ziemlich wahrscheinlichen tödlichen Wiederholungen zu entkommen. 59e
Damit eine Gesellschaft nicht autoritär reaktionär umkippt, bedarf es vieler Faktoren, dazu gehört ein gesellschaftliches Klima das von Toleranz und Respekt gegenüber "Fremden" geprägt ist. Kapitalistische Gesellschaften befördern jedoch ein Identitätsdenken wie differente "Identitäten", die sie unweigerlich in eine kompetetive postmoderne Konkurrenz stellen. Beide Dynamiken neigen dazu ein starkes Identitäts- und Stammesdenken überhandnehmen zu lassen, das auch von Politik, zudem vor allem postmodernen gefährlich/unverantwortlich (naiven) "Bildungseliten" propagiert wird. Dadurch besteht die Gefahr, (evtl. unfreiwillig), verstärkt reaktionäre Tendenzen zu beflügeln. Alle Bildungsinstitutionen von den Universitäten bis zu den Schulen in Deutschland haben überhaupt noch nicht kapiert, dass es inzwischen wieder ums Ganze geht. Das wir im Osten und teils Westen wieder durchaus Weimarer-Endzeit-Verhältnisse haben. Um diesen angemessen zu begegnen braucht es geistes- und sozialwissenschaftliche Fakultäten, die sich hauptsächlich dem Kampf gegen Rechtsradikalismus widmen. Keiner sollte sich mehr in seinen Elfenbeinturm zurückziehen können. Alle Profs/ Dozent/innen müssen sich an die eigene Nase fassen. Großteils herrscht hier jedoch Verdrängung und Vogel-Strauss Politik vor, Unverantwortlichkeit aller Orten. So wird der "Schoß fruchtbarer und furchtbarer".
Aktuell, dh. ca. 80 Jahre nach der ultimativen deutschen Zivilisationskatastrophe, scheint nationalistische/s Identitätsdenken, nicht zuletzt ob reflexiv/regressiv/naiv/postmoderner Identitätsforschung plus Identitätspolitik, wieder europaweit zu dem sozialpolitischen, kulturellen Megaproblem zu avancieren, an dem Europa abermals scheitern könnte.
Frankreich hat sich durch die Sicherheitsgesetzgebung und den Ausnahmezustand, die die Anschläge ab 2015 nach sich zogen, ohnehin realiter weiter autoritär verändert. Die Werte Liberte, Egalite, Fraternite rückten in immer weitere Ferne. Sie wurden jedoch bei der zweiten Anschlagswelle 2020 wieder vehement verteidigt.
Im Roman wird der Teufel (Front National) potenziert mit dem Beelzebub ausgetrieben, indem die regierende Muslimbruderschaft sich nun auch auf die genderpolitischen Konsequenzen verheerend auswirkt. Die Realität hat die düstere Stimmung des Romans schon mehrfach eingeholt. Besonders aber dadurch, dass die erneuerte Redaktion von Charlie Hebdo inzwischen an einem geheimen Ort in Paris hinter schweren Panzertüren mit massivem Polizeischutz ihre Redaktion abhält. Eine Reihe von Personen aus der Redaktion und dem öffentlichen Leben stehen seit den Anschlägen rund um die Uhr unter Polizeischutz. Von dem Houellebecq sagt, dass er ihn stark sozial isolierte.59f Er gab deshalb den intensiven Polizeischutz nach einem Jahr auf, um wieder ein relativ normales Leben führen zu können. Die Angst, die sich in der französischen Gesellschaft durch islamistische Anschläge ausbreitete, führte, anders akzentuiert als im Roman, zu großen Wahlerfolgen des FN/RN. Dessen katastrophische Konsequenzen wiederum sind noch gar nicht abzusehen, "außer", dass schon seit 2000 ca 70000 jüdische Bürger Frankreich präventiv verließen. 59g
Nicht zuletzt aufgrund der Interventionen von Adorno/ Horkheimers Kritischer Theorie stammte von den frühen 68ern die Kampfparole, dass das Private politisch ist, d.h. öffentlich zur Diskussion stehen sollte, um es emanzipatorisch zu verwandeln. Bis Ende der 70er sozialisierten sich die 68er an den Universitäten mehr oder weniger selbst durch Teach-ins, selbstorganisierte Theorie/Lektüre- und Diskussionsgruppen. Felsch spricht vom langen Sommer der Theorie. Neu eingestellte Dozent/inn/en aus der 68er Generation trafen auf Studierende mit demselben Protest- und Erfahrungshintergrund. Aufgrund ihrer passionierten Theorie- und Protestgeschichte, vor allem nach Adornos Negativer Dialektik, hätten es die 68er in den Sozialwissenschaften als absoluten Affront empfunden, wäre Anlass für Widerspruch oder massive Protestaktionen, wenn ein/e Dozent/in aus ihrer Generation sie nach ihrer "Identität" befragt hätte. Besonders in einer Generation, die komplett kritische Aufklärungsansprüche an ein Studium stellte und es nur sekundär als Berufsausbildung, Weiterbildung oder Zusatzqualifikation begriff.
Nach Identität zu fragen war nur mit einer Generation möglich, die Mitte der 80er diesen Erfahrungshintergrund nicht mehr teilte. Zugleich suggerierten Keupp und sein Team den nachfolgenden Generationen, dass es sich bei der reflexiven Modernisierung um eine kritische Sozialpsychologie handle, die mit ihrer Geschichte und Verbundenheit aus der 68er Studentenbewegung herrühre. Diese würde per se auch dem Kritischen Theorie Komplex nahestehen. Aber genau dies gilt es zu widerlegen. Reflexive Modernisierung ist die neoliberale, rechte Antithese zur Kritischen Theorie. Gegen die die Kritische Theorie, gerade aus der historischen Erfahrung heraus, weiterhin vehement Stellung beziehen würde, was dieser Blog zu demonstrieren intendiert.
Nur den nachfolgenden Generationen ab Mitte der 80er Jahre konnten die reflexivmodernen, arrivierten 68er zwanzig Jahre später damit kommen, nun von einer herzustellenden Identität zu reden. Damit schnitten sie, entgegen ihren frühen Intentionen, jede öffentlich Dialektik ab. Das Private wird wieder trotz oder gar wegen ? aller reflexiven Rhetorik einzig als protestantisch zu beobachtende wie herzustellende biedermeierliche Identität zementiert. Diese protestantische biedermeierliche "Identität", falls einmal geschluckt, unterwirft die eigene Subjektivität einen nach "identitären" Kriterien gefilterten Herrschaftsverhältnis. Derart zugerichtet bringt sie eine nach innen und außen gerichtete "falsche Projektion" hervor.
"Wenn Mimesis sich der Umwelt ähnlich macht, so macht falsche Projektion die Umwelt sich ähnlich. Wird für jene das Außen zum Modell, dem das Innen sich anschmiegt, das Fremde zum Vertrauten, so versetzt diese das sprungbereite Innen ins Äußere und prägt noch das Vertrauteste als Feind." (DdA)
Äußerst bitter stößt bei den Reflexiv/naiv/modernen auf, obwohl sie sich das Label reflexive Sozialpsychologie ansteckten, dass sie über den Begriff Identität, der im Zentrum ihrer "Sozialpsychologie" steht, überhaupt nicht angemessen kritisch reflektieren. Kein Wunder ! Denn wenn sie den Begriff Identität und die postulierte "Identität" kritisch durch- und beleuchteten, hätten sie sowohl Begriff, Thema, letztlich ihr reflexiv/naiv/modernes "Forschungsprogramm" verwerfen müssen und damit eine langfristig sprudelnde Einnahmequelle.
Identität im reflexiv/naiv/modernen Sinne ist herzustellen, wiederzufinden oder zu konstruieren. Ohne Arbeit gerade an diesem ideologischten aller sozialpsychologischen Begriffe zu leisten, wird Identität unhinterfragt als Begriff, Semantik und Ontologie akzeptiert.
Adornos Negative Dialektik arbeitete sich speziell am Begriff "Identität" kritisch ab, befürchtend, dass er wieder zu dem postmodernen, (sozial/psychologischen) Schlagwort schlechthin avancieren könnte. Womit er leider ins Schwarze traf. Gerade deshalb nun weiterhin einer gründlichen Kritik bedarf.
In Rekonstruktion des historischen Materialismus (Suhrkamp,1976) veröffentlichte Habermas zwei Aufsätze zur Identität, die mal wieder gar nichts mit dem avisierten Thema zu tun hatten. Für diese Aufsätze wäre der Titel zur Rekonstruktion des historischen Idealismus viel treffender gewesen. Innerhalb der Linken und linken Sozialwissenschaftler/innen wurden sie heftig kritisiert. Daran konnte man ermessen, dass die Linke noch nicht bereit war Habermas zu folgen. Sie enthielten jedoch schon alle Begriffe, mit denen die Reflexivmodernen und Keupp 1986 ihre (angeblich) reflexive Identitätsforschung ins Werk setzten. Habermas formulierte den Reflexivmodernen praktisch ihre Forschungsrichtung vor. Bei Habermas fällt gleichfalls auf, dass er darin genuin protestantische Themen verhandelt. Nämlich Moralentwicklung und Ich-Identität und Können komplexe Gesellschaften eine vernünftige Identität ausbilden ?
Stattdessen führt er Begriffe ein, die auf Hegels synthetischer Dialektik beruhen und sämtlich zu reflexivmodernen Grundbegriffen avancierten, wie eine angeblich zwanglose, gelungene, reflexive Identität. Der reine Idealismus, den diese Begriffe transportieren, entspringt einer kitischigen habermasschen Wunschfantasie. Die (reflexive) Identität bezeichnet angeblich „ jene eigentümliche Fähigkeit sprach- und handlungsfähiger Subjekte, auch noch in tiefgreifenden Veränderungen der Persönlichkeitsstruktur, mit denen sie auf widersprüchliche Situationen antwortet, mit sich identisch zu bleiben.” Hier lässt Habermas sämtliche Erkenntnisse der Traumaforschung außen vor, und erntet bei allen kritischen freudschen Psychoanalytiker/innen nur erratisches Kopfschütteln. Außerdem hätte er sich mit Menschen unterhalten oder befragen können, die lange schwere chronische oder psychische Erkrankungen öfters an den Rand des Todes oder zur Verzweiflung brachten, ob sie mit sich "identisch" geblieben sind ?
Die reflexiv/naiv/modern gewendeten Ex-68er wichen nicht von dem allgemeinen postmodernen, populär-pseudowissenschaftlichen Habitus ab, indem auch sie ihre Leser /Student/innen auf die "Suche nach der verlorenen Identität" schickten. Gerade in der Postmoderne wäre diese zu finden wie anschließend zu verwirklichen. Aber wenn die Identität zu suchen ist, dann kann sie kaum als die positive Heilsquelle firmieren, als die sie von den Reflexiv/naiv/modernen auguriert wird. Fraglich ist nicht nur, ob sie überhaupt zu finden, sondern auch, falls jemand wähnt sie gefunden zu haben, ob er sie überhaupt verwirklichen kann. Denn die Postmoderne ist, anders als ihre Apologeten imaginierten, zu einem austeren finanzpolitischen Verhinderungssystem mutiert.
Zum anderen, einmal auf der Suche nach der "verlorenen Identität", könnte man/frau schon in den typisch postmodernen Verblendungszusammenhang verstrickt sein. Wenn ich wähne so etwas Seltsames wie eine "Identität", (was immer es auch sei ?), gefunden zu haben, bestimmt sie mich dann noch ? Oder ist das Ziel durch den labyrinthischen Weg unscharf geworden, gar verschwunden ? Wie weiß ich überhaupt, dass ich jetzt an meinem ultimativen "Identitätspunkt" oder an eine "Identität" gelangt bin, handelt es sich hier wirklich um eine Wahrheit oder eine krasse Illusion, gar Fata Morgana ? Öffnet sich hier nicht ein unendlicher Raum für erkenntnistheoretische Spekulationen, die alle von der Unmöglichkeit des Identitätsdenkens und des Identitätsbegriffs Zeugnis ablegen ?
Selbst wenn man die Schutzbehauptungen und Verteidigungen der reflexivmodernen "Identitätsforschung" genauer beleuchtet, führen sie noch tiefer ins Dilemma. So stellen die Reflexivmodernen des Öfteren fest, dass sich ein Teil ihrer Forschung um typisch postmoderne, ephemere, flüchtige "Identitäten" drehe. Aber offenbart sich hier nicht die postmoderne Problematik und Widersprüchlichkeit in extenso ? Wieso wurde viel Geld für eine Forschung bereitgestellt, die nur kurzfristige "Identitäten" beleuchtet ? Ist das den ganzen Aufwand überhaupt wert ? Wenn es sich angeblich um flüchtige, punktuelle Identitäten handelt, ist dann der Begriff der "Identität" hier nicht gänzlich unangebracht ? Wäre es nicht angemessener von vorübergehenden Projekten zu sprechen ? Dies ist bei Leibe keine Spitzfindigkeit. Zeigt eine kritische Reflexion/Befragung nicht, dass es sich hier gar nicht um "Identitäten" handeln kann, und der Begriff vorübergehende "Identität" per se krass widersprüchlich ist? Ist der Begriff "Identität" hier überhaupt passend ? Offenbart nicht eine immanente Kritik des Begriffs der passageren Identität seine Unmöglichkeit ? Bei der oft mehr der Wunsch nach Identität als ideologisches Konstrukt schon in die Begrifflichkeit eingebaut ist, eben weil es sie überhaupt nicht (mehr) gibt. Impliziert das Fragen oder gar das Forschen nach Identität nicht etwas unheimlich Prätentiöses, Ideologisches, Krampfhaftes, Tic-haftes ?
Der akademische Betrieb und speziell die Sozialwissenschaften beziehen ihr Selbstverständnis aus neuen Forschungen und vor allem neuen Begriffsbildungen, oder, vermutlich treffender formuliert: Begriffsungetümen. Sie kreieren am laufenden Band Neologismen. Aber offenbart die Mehrheit dieser Neologismen vermittels einer genauen kritischen Begriffsanalyse nicht nur ihre Widersprüchlichkeit und Unmöglichkeit, sondern auch ihre Aufgeblasenheit ?
Das ganze Dilemma der reflexiven Sozialpsychologie zeigt sich speziell in ihrem auf die Postmoderne zielenden Aufrufen zur Identitätskonstruktion und zur Identitätsarbeit. Zwar gaben die Reflexivmodernen vor die zweitmoderne “Identität“ zu erforschen. Es blieb jedoch ziemlich unklar, ob sie diese wirklich erforschten oder nur durch ziemlich prätentiöse Präskripte in die Subjekte über Identitätsfragestellungen hineinphantasierten/projizierten, die unmöglich zu befolgen, geschweige denn "selbst herzustellen" waren .
Es ist die reinste Ideologie, Überforderung und ein schwerer verhängnisvoller Irrglaube vom postmodern zerrissenen Subjekt zu fordern, seine Identität selbst herzustellen. Die reflexiv/naiv/modernen Begriffe der "Identitätskonstruktion" und gar, (der schlimmste), "Identitätsarbeit" sind letztlich krasse Neologismen, die zu entlarven wären. Denn wenn ich mir "Identität" erst konstruieren oder erarbeiten muss, dann kann sie nicht mehr das Authentizitätsversprechen beinhalten, das die angeblich "echte, authentische" bereithält. Dann wäre sie leere, entfremdete Konstruktion und kann nicht mehr die "erlösungsverheißende Identität" sein, die die Ideologie des Begriffs suggeriert.
Aber nicht allein an diesen postmodernen Widersprüchen ist zu ermessen, warum Adorno gegen den Identitätsbegriff Sturm lief. Für ihn nahm der Kampf gegen "Identität" jedoch viel existentiellere Bedeutung an, sowohl individuell als auch gesellschaftspolitisch wie staatstheoretisch. Mit den Opfern des NS ging es ihm dezidiert um ein Bewusstsein der mehr oder weniger latenten Kriminalität des Identitätsdenkens, das sie von heute auf morgen aus betrachtet wegen den absurdesten "Identitätskonstruktionen" und falschen regressiven Projektionen zu flüchtenden Verfolgten machte, denen nach ihren Leben getrachtet wurde. Deshalb ist es auch heute völlig unangebracht solche höchst beunruhigenden gesellschaftlichen Entwicklungen wie die AFD zu verharmlosen oder forschungstechnisch zu ignorieren.
Ich weiß nicht was ich bin
(Sogar König Ludwig II bewies mehr Affinität zur Psychologie des Unbewussten, als auch mehr Sachverstand als manch postmoderner Psychologe, indem er seiner Erzieherin in einen Brief mitteilte: Ein ewig Rätsel will ich bleiben mir und anderen.)
Die Problematik die die reflexive Identitätsforschung generell aufwirft, kann neben einer NKT heute am treffendsten gleichermaßen im Anschluss an Foucault diskutiert werden. In einem Interview im Journal do Brasil vom Nov. 1974 weist er darauf hin, dass neben der reinen Psychiatrie und der Psychoanalyse als Psychotherapie, die Psychotherapie und vor allem die Gemeindepsychiatrie, eine Untersuchung "all dieser Kontrollinstitutionen, der gesamten geistigen Orthopädie" von großer Bedeutung wäre. Frappierend stellt sich dar, dass Foucault schon 1974 die Gemeindepsychiatrie explizit als Kontrollinstitution erwähnt. Denn damals galt die Gemeindepsychiatrie wie die Gemeindepsychologie als die fortgeschrittenste emanzipatorische Praxis bezüglich ihres Umgangs mit "Psychiatrisierten", psychisch "Lädierten", "Kranken" und gesellschaftlich Marginalisierten. Ihre Vertreter/innen kamen ausnahmslos aus der 68er Studentenbewegung und verstanden sich explizit nicht als geistige Orthopäden. Sie sahen sich vielmehr als Befreier und rebellische Emanzipator/innen, die das Gesundheitssystem revolutionieren wollten. Foucault hat sich davon nicht blenden lassen und ihre damalige Praxis mit großer Skepsis analysiert. Schon damals sprach er davon,
"die Geschichte der vielen kleinen Machtausübungen, denen wir unterworfen sind, die unsere Körper, unsere Sprache und unsere Gewohnheiten domestizieren, die Geschichte all der Kontrollmechanismen, die auf die Individuen einwirken, bleibt noch zu schreiben.
An der aktuellen Form der Kontrolle scheint mir die Tatsache charakteristisch, dass sie über jedes Individuum ausgeübt wird: eine Kontrolle, die uns eine Identität verfertigt, indem sie uns eine Individualität aufzwingt. Jeder von uns hat eine Biographie, eine durchweg dokumentierte Vergangenheit und irgendeinen Platz, den er einnimmt, eine Schulakte, einen Personalausweis, einen Pass. Immer gibt es eine Behörde, die jederzeit sagen kann, wer jeder von uns ist, und der Staat kann sich, wann immer er will, unsere gesamte Vergangenheit ansehen.
Ich glaube, die Individualität ist heute vollständig von der Macht kontrolliert, und ich glaube, dass wir im Grunde durch die Macht selbst individualisiert sind. Anders gesagt glaube ich ganz und gar nicht, dass die Individualisierung in einem Gegensatz zur Macht steht; ich würde vielmehr im Gegenteil sagen, dass unsere Individualität, die vorgeschriebene Identität eines jeden, Effekt und Instrument der Macht ist, und was die Macht am meisten fürchtet, ist die Kraft und Gewalt von Gruppen. Sie versucht, sie durch Techniken der Individualisierung zu neutralisieren, die bereits im 17. Jahrhundert mit der Hierarchisierung in den Schulen und im 18.Jahrhundert durch Register von Personenbeschreibungen und Anschriftenänderungen aufkommen. In diesem Jahrhundert kommt auch in den Fabriken die gefürchtete Figur des Vorarbeiters auf, der die Arbeitsabläufe kontrolliert. Er sagt jedem, was er wie und wann zu tun hat, und diese individuelle Kontrolle der Arbeit gehört zu einer Technik, die mit der Entstehung der Arbeitsteilung und der Hierarchisierung verknüpft ist, die auch ein individuelles Kontrollinstrument derjenigen, die oben auf der Leiter stehen, über die ist, die weiter unten stehen." 59h
Deshalb nimmt es sich wesentlich sinnvoller aus Becks Individualisierungstheorie mit Foucault zu beobachten. Beck hat zwar in der Risikogesellschaft ein Kapitel zur Individualisierung sozialer Ungleichheit geschrieben, das mal wieder nebulös anmutete. Individualisierung wurde als neuer Vergesellschaftungsmodus vorgestellt. Als 68er Soziologe hätte man gerade von ihm mehr erwarten können. Anstatt auf eine Art von verkappter Systemtheorie zu setzen, hätte er sich an die Machtkritik der frühen 68er halten sollen. Viel interessanter und produktiver wäre Individualisierung demnach als neuen gesellschaftlichen Vermachtungs- respektive Verohnmachtungsmodus zu beschreiben, was er vermied. Es wäre in der fortgeschrittenen Postmoderne, der liquid modernitiy, vor allem danach zu fragen, wie die Macht in den verschiedenen Schichten/ Klassen "individualisiert". Hier wären sehr interessante empirische Untersuchungen angesagt. Aber man muss kein Teiresias sein um zu orakeln, dass die Macht ein Derivat des individuellen finanziellen Vermögens, des individuellen Finanzkapitals ist. Deshalb individualisiert "die Macht", dem Begriff nach, eher in der Bourgeoisie und der Upper Middle Class. In den darunter liegenden Klassen/Schichten atomisiert und verohnmächtigt sie überwiegend, indem sie Individualisierung nur vorgaukelt, nämlich als systemisch atomisierende Zwangspseudoindividualisierung. "Individualisierung" wirkt sich hier besonders als Verohnmächtigung durch universelle (Individual)/Atomisierung aus. Sie erzeugt viel Frust in aktuellen Gesellschaften, sowohl in Trumps Amerika, im Frankreich der Gelbwesten, wie im Osten Deutschlands, die alle vermittels einer autoritären Rebellion meinen das Problem "abschaffen" zu können. (Diese Zusammenhänge wären allerdings noch viel gründlicher als auch komplexer zu erforschen, zu thematisieren und zu theoretisieren).
Inzwischen haben eine Reihe von kritischen Sozialwissenschaftler/innen und Sozialtheoretiker/innen die systemischen Atomisierungs- und Vereinsamungstendenzen betont, die sich dialektisch aus solchen Konstrukten wie der Individualisierungstheorie als auch der reflexiven Identitätsforschung ableiten, als Ausdruck avancierter gouvernementaler, kapitalistischer Herrschaftsformen. Das ist der Grund warum Beck als auch Keupp in mehreren Veröffentlichungen, vor aber auch nach ihrer Emeritierung, darauf verwiesen, dass Individualisierung und Identitätsforschung dies auf jeden Fall "nicht meint". Aber wird daran nicht nur offensichtlich, wie sehr sie dialektisches Denken, mit dem sie als Studenten sozialisiert, mehr noch identifiziert waren, inzwischen massiv verdrängten ? Die Verdrängung sich in der zweiten Hälfte ihres Lebens gar zu einer heftigen Abwehr, gepaart mit Realitätsverleugnung verhärtete ? Wie kommt so eine massive Verdrängung zustande ?
Das Problem besteht aber keinesfalls "nur" auf der Ebene der Sozialwissenschaften. Mit falschen respektive unlauteren Begriffen zu operieren hat weitreichendere Konsequenzen. Camus ein Meister des nicht nur literarischen Begriffs, vertrat die Auffassung, angewandte Begrifflichkeiten nicht wirklich gründlich auszuloten, führt dazu Phänomene falsch zu benennen. Falsche Benennung von Phänomenen heißt jedoch das Unheil zu vermehren.
Dialektik der 68er, Identitäts/Mythos, Protestantismus, Nationalsozialismus
Die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug (H)
Besonders unter 68ern war es zurecht in den 70ern bis Mitte der 80er des 20 Jhs. ziemlich verpönt über eine positive Identität, sei sie kollektiv oder individuell, zu schwurbeln. Dies beeinflusste zudem große Teile der Bevölkerung, was zu einem befreienden gesellschaftlichen Klima beitrug. Vor allem die kritischen Sozialwissenschaften und die Kritische Theorie hatten nicht nur in der Negativen Dialektik (1966) die tiefreichende Problematik aufgezeigt, die mit dem positiven Sprechen über Identität einhergeht. Ua. indem sie nachwies, dass die "Identität die Urform der Ideologie ist" und zwar nicht nur im Nationalsozialismus. Zugleich war diese Erkenntnis eine Warnung an alle zukünftigen Sozialwissenschaftler/innen in Deutschland, nicht in diesen vergifteten, verblendenden Apfel der Pseudoerkenntnis zu beißen.
Die zu Reflexiv/naiv/modernen konvertierten Ex-68er meinten ganz problemlos, vermittels der Kategorie der Individualisierung wie des positiven Schwätzens über Identität, auf den Zug der postmodernen Sozialpsychologie aufspringen zu können. Aber dieser Sprung war selbst schon äußerst fragwürdig, denn er war gleichermaßen erheblich finanziellen Motiven und Karrieregründen geschuldet wie dem protestantischen Glauben. Die Selbstverständlichkeit des Vollzugs wirkte auf die wenigen verbliebenen kritischen Sozialwissenschaftler/innen unheimlich befremdlich. Gerade weil die Kritische Theorie sowohl eine tiefe Leidensgeschichte als auch eine dementsprechende Passionsgeschichte verkörperte, die selbstverständlich keiner Karriere oder religiösen Dogmen zu opfern war. Außer um den Preis völliger Unglaubwürdigkeit oder Schlimmeren. Gewisse Themen und Begriffe sind seit dem NS für unabsehbare Zeit in Deutschland buchstäblich verbrannt. Adorno/Horkheimer waren sich vollends im Klaren, dass in Deutschland nichts derart zur Faschisierung des Subjekts, zur Fetischisierung des Geistes als auch zur Psycho-sierung (Norman Bates) beiträgt, wie das beharrliche Fragen nach Identität.
Aber die KT war nicht nur unter kritischen Sozialwissenschftler/innen en vogue. Es bestimmte das intellektuelle Klima bis Ende der 70er Jahre nicht nur in Deutschland massiv, dass an Universitäten und Gymnasien die Mehrheit der 68er Dozent/innen respektive Lehrer/innen Neo/Marx und Kritische Theorie lehrte. Die frühe Generation X und Boomer(1960-1970), besonders diejenigen, die sich für Sozialwissenschaften, Wirtschaft, (Recht), Geschichte interessierten und diese (nicht nur) in Lehrberufen vertraten, kam praktisch nicht am Kapital, der Kritischen Theorie und der Dialektik der Aufklärung vorbei. Speziell von 68er Profs/ Dozent/innen/ Lehrer/innen wurden sie fast ausschließlich unheimlich passioniert wie ambitioniert kommunikativ behandelt und gelehrt. Ihr pädagogisches Engagement wirkte, als ob es sich bei diesen kritischen Theorien nicht nur um eine Frage auf Leben und Tod drehte. Eine Annahme die, von heute aus betrachtet, sich als ziemlich hellsichtig erwies. Mehr noch wollten sie mit Adorno, Reich und Freud die Gesellschaft und die Welt paradiesisch verändern. Die frühen 68er strichen aus Zivilcourage ministerielle Vorgaben, ergänzten auf eigene Faust amtlich vorgegebene Lehrinhalte, um meist nur kritische Theorien zu lehren. Als Folge war neben den 68ern die bildungsnahen Boomer und die frühe X-Generation in diesen Theoriekomplexen gut bewandert. Die frühen 68er fokussierten besonders die Unterscheidung der verschiedenen Kritiktypen, die an vielen Beispielen studiert wurden. Gelehrt wurde die Analyse von konformistischer, neoliberaler Kritik, die die Stabilisierung des Neoliberalismus intendiert, obwohl sie sich kritisch bemäntelt. Viel Zeit wurde auch auf den Typus der reaktionären, faschistoiden Kritik gewendet, die sich oft als vermeintliche Systemkritik ausgibt. Sehr intensiv wurde auch die Differenz der kritischen Kritik a la Adorno/Horkheimer im Vergleich zur orthodoxen marxistische Kritik, die beide auf eine allgemein befreite Gesellschaft zielen, herausgearbeitet. Hier drehte es sich ua. um den Geschichtspessimismus der KT/ Negativen Dialektik versus den Geschichtsoptimismus des Marxismus.
Anfänglich zehrte die "reflexivmoderne" Sozialpsychologie noch von der Ambivalenz, dass der Begriff reflexiv auch die Assoziation von "Reflexion" zulässt, derart suggerierend, dass sie auch eine Form der reflektierten Moderne beschreiben könnte. Nur in wenigen Veröffentlichungen wiesen die Reflexivmodernen darauf hin, dass das Adjektiv reflexiv nur auf sich selbst bezogen bedeutet. Zu hinterfragen ist, ob es eine gründliche reflexive Modernisierung überhaupt geben kann, sowohl gesellschaftlich als auch subjektiv ? Denn wie in dem Kapitel, Kann man/frau sich selbst erkennen ?, oben ausgeführt, ist sie weder gesellschaftlich noch subjektiv kaum möglich. So schienen sich auch die Reflexiv/naiv/modernen am wenigsten reflexiv zu kennen.
Heinz Gess schliesst sich der Kritischen Theorie an, indem er zu bedenken gibt, dass das "positive Sprechen von 'Identität', ohne dass die Bediener des Diskurses, also die Menschen dies beabsichtigen müssen, die Hunde von der Leine lässt." Gerade das neue, neoprotestantische, postmoderne, positive Sprechen von Identität schleppt eine unheimlich tragische, schlimme Geschichte mit sich, die die Reformer gerade ausschließen wollten. Adorno/Horkheimer formulierten dementsprechend erkenntniserheischend: "Es gehört zum heillosen Zustand, daß auch der ehrlichste Reformer, der in abgegriffener Sprache die Neuerung empfiehlt, durch Übernahme des eingeschliffenen Kategorienapparates und der dahinter stehenden schlechten Philosophie die Macht des Bestehenden verstärkt, die er brechen möchte. Die falsche Klarheit ist nur ein anderer Ausdruck für den Mythos. Er war immer dunkel und einleuchtend zugleich. Seit je hat er durch Vertrautheit und Enthebung von der Arbeit des Begriffs sich ausgewiesen." (DdA, Adorno, GS, BD3,1997, S.14, Vorrede, Suhrkamp, F.)
Die Übernahme des eingeschliffenen Kategorienapparats wird mit dem vermeintlich reflexivmodernen Begriff der Identität vollzogen. Es ist schon erwähnt worden, dass gerade die Reflexivmodernen durch die Art ihrer Nutzung des Begriffs Identität besser als die Naivmodernen zu bezeichnen wären. Aber selbst dies beschreibt ihren Gebrauch nicht ausreichend. Die Aus- und Anrufung einer hypostasierten Identität entlarvt sie vor allem als (Reflexiv/Regressiv)/Antiquierte/ Mythologen, die buchstäblich alles mit Identität schlagen.
Fairerweise wäre der Studiengang/FB Reflexive Modernisierung nicht nur Regressive Modernisierung zu bezeichnen (gewesen). Besonders ihre Identitätsforschung müsste eigentlich, wenn nicht protestantische Theologie oder sudetendeutsche Psychologie, dann zumindest protestantische (Pastoral)/Psychologie/Ideologie, oder noch treffender, postmoderne Mythologie getauft werden. Im Falle der protestantischen Pastoral/Psychologie/Ideologie wären aber definitiv deutlich weniger Student/innen anzusprechen (gewesen). Nämlich nur diejenigen, die eine ausgeprägte protestantische Sozialisation "genossen". In kirchlichen Gruppen oder Elternhäusern nicht vollends davon abgeschreckt wurden, sondern sie als einigermaßen positiv erfuhren. Auch das soll es geben.
Eine Neue Kritische Theorie würde den Studiengang Reflexive Modernisierung als protestantische postmoderne Mythologie "entlarven". Eine solche NKT zeichnet sich gerade ob ihrer Reflektiertheit und kritischen Reflexivität aus. Ihre kritische Reflexivität produziert eine gewissen Wahrheit und Redlichkeit, die gerade die reflexivmoderne Identitätsforschung vortäuschte, aber nie hatte. Denn die reflexive Identitätsforschung propagiert tatsächlich sowohl ein protestantisches Identitätsdenken, wie sie in der letzten Konsequenz eine protestantische Identität hervorbringen will, an der/dem sie alle Individuen "ernsthaft" psychometrisch misst. Wirklich kritisch betrachtet wäre dieses Begehren nicht nur als postmoderne protestantische Mythologie sondern vor allem auch als krasse protestantische Folklore zu fokussieren. Dieser protestantische Kokolores könnte unbeabsichtigt durchaus zu schrägen Konstellationen führen, die freilich nur ob ihres bizarren, skurrilen, outrierten Identitätskitsches evtl. ein wenig interessant erschienen. Ihre vermeintlich aktuelle Postmodernität ist jedoch zugleich gefährlich vorgestrig.
Die Gefährlichkeit der Reflexivmodernen besteht darin, den Begriff der Identität als Ontologie aufzufassen und damit einen Mythos wissenschaftlich positivistisch begründen zu wollen, als eine Art Selbstverständlichkeit und gar Entwicklungsziel, was realiter ein Regressionsziel.
Der Begriff und die Semantik der Identität zeugt vor allem vom Mythos einer vermeintlichen Einheit, sei sie kollektiv oder individuell. Besonders wenn die Student/innen zu einer Identitätsarbeit aufgefordert werden. Der Identitätsbegriff, wie die Aufforderung zur Identitätsarbeit, schleifen deshalb einen Identitätsmythos mit, als auch die Gewalt des Mythos' generell, was jedoch niemals harmlos. Beide versuchen "Identität" gleichermaßen pseudowissenschaftlich zu begründen, hervorzubringen als auch zuzurichten.
Die heftigen mythischen, religiösen Zurichtungsmechanismen zeichnen vor allem die Religionen aus. Der Protestantismus spielt hier und vor allem für die Reflexivmodernen die entscheidenste Rolle.
Carol Diethe erschloß in Nietzsches Schwester und der Wille zur Macht(59k) die mentalen äußeren wie inneren protestantischen Zurichtungsmechanismen, Martin Greifenhagen die geistig kulturellen in das Protestantische Pfarrhaus. Die Dynamik des Mythos wie seine mentalen, protestantischen Zurichtungsmechanismen traten schon in Luthers Schriften zu Tage. Um eine neue Religion zu formen bedarf es starker kollektiver und individueller Identitätsmythen als auch "Identitätsekstasen", die gegen andere, die man nicht dazurechnet, ins Feld geführt werden. Sie sollen verhindern vom "rechten Glauben" abzufallen. In Luthers Chor-Gebet und vielen weiteren Schriften treten sie unverhohlen zu Tage:
“Eine feste Burg ist unser Gott eine gute Wehr und Waffen..., das Reich muss uns doch bleiben”60 usw..
Gemeint ist sowohl das Himmelsreich, als auch das territoriale, wie das innere Reich.
Wer solche Zeilen wie im Chor-Gebet formuliert, will, dass sich seine Gläubigen nicht nur daran orientieren, sondern sie, der Logik des Identitären gemäß, verinnerlichen. Verinnerlichung von protestantischen Glaubensinhalten und ihr unbeirrbares innerliches Herunterbeten entwickelte sich zu ihrem Markenkern als auch Identifikationsmerkmal. In unzähligen Gottesdiensten repetiert, aus tausenden Kehlen geschmettert, vor allem im NS, in gnadenlosen Schlachten, in Stahlgewittern als auch heute noch, seit damals, unzählige stille Gebete bestimmend.
Zerstörung ihrer Häuser und Zwangsunterbringung, Aufhebung der Wegefreiheit, Verbrennen der Synagogen oder ihrer Schulen, Konfiszierung ihrer religiösen Bücher, Lehrverbot für Rabbiner bei Androhung der Todesstrafe, Zwangsarbeit, Zwangsenteignung.
Was in diesen Hetzschriften noch bitterst aufstößt ist die Markierung speziell einer weiteren Ethnie neben den Juden, die bis zum NS schon Repressalien ausgesetzt war und im NS zu einer weiteren Hauptopfergruppe stigmatisiert wurde. Nämlich "Zigeuner", respektive Sinti und Roma. In keiner mir bekannten katholischen theologischen Schrift vor Luther sind Juden und "Zigeuner" in einem Atemzug benannt. Luther vollbrachte dieses "Kunststück" als Ausdruck seines Repressionsprogramms, das sich jedoch zugleich als ein protestantisch deutsches "Identitätsprojekt" durch forcierte Feindbildprojektion und Opfergruppenkonstruktion entpuppte. Die Nazis erweiterten es zu einem kleinbürgerlichen, protestantischen Terrorprogramm, das darauf in verschiedenfarbigen Wimpeln auf Häftlingskleidungen in Konzentrationslagern zu beobachten war.
Aufgrund dieser langen infamen Geschichte nimmt sich nicht verwunderlich aus, dass gerade die protestantischen Milieus in einem weit höheren Maße zum Wahlerfolg, Reüssieren und Formation des Nationalsozialismus beitrugen als die katholischen. (Obwohl auch die einflussreiche katholische Zentrumspartei, trotz anfänglicher Widerstände, nach der Verhaftung der KPD-Abgeordneten, die Todsünde beging dem Ermächtigungsgesetz und damit Hitler zur formalen Zwei-Drittel-Mehrheit zuzustimmen.) Nicht nur dass den deutschen Protestanten seit Luthers eliminatorischen, antisemitischen Tiraden eine Affinität zu "Wehrkörpern", damit letztlich zu einer "Wehrmacht" inhärierte. Es handelt sich um Begrifflichkeiten, die erst mit dem Vokabular Luthers in seiner Bibelübersetzung und den Hetzschriften als ausgesprochen deutsch markiert und affin zur Sprache des Nationalsozialismus, der LTI, waren. Nicht nur der aggressive, fordernde, geifernde Ton der Verdammungsrhetorik in Luthers Hetz/Schriften sondern auch die Dehumanisierung, Entmenschlichung und Anstiftung zum Pogrom war das Expose für das NS-Regime und seine totalitäre Propaganda (Siegfried Kracauer).
Was zudem ziemlich entlarvend sich darstellte, war, wie selbstverständlich sie davon ausgingen, dass jeder ihrer "Volksgenossen" die Hauptwerke und damit die Hetzschriften Luthers seit Generationen kannte. Ihr Handeln deshalb moralisch gerechtfertigt wäre.
Der Hauptanklagepunkt der Alliierten hieß daraufhin nicht, wie oft falsch und verharmlosend in deutschen Nachkriegsmedien bis heute kolportiert wird: Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Verschwiegen wurde meist, dass die Anklage auf Verbrechen gegen die Menschheit lautete.
Nach dem NS waren die deutschen Protestanten nach wie vor vom Identitätsdenken beherrscht. Denn als die Gründe der Entstehung des Protestantismus u.a. der Ablasshandel, sich im Laufe der Zeit peu a peu in Luft auflösten, stellte der Protestantismus sich zwei Fragen immer wieder aufs Neue, ablesbar an den zahlreichen protestantischen Sekten und evangelikalen Gemeinden: Was ist die spezifische Identität des Protestantismus und wie ist es mit der privaten, subjektiven seiner Schafe bestellt ? Mit der permanenten Fragerei nach bzw. Reflexion über seine Identität brachte der Protestantismus sein Lieblingssujet hervor, an dem er sich bis heute autosuggestiv, libidinös auflädt und das letztlich nichts anderes als eine verschobene, schräge, männliche Sexualprojektion. Auf die er anschließend maximal zugreift, plus inquisitorisch übergreift. Diese Fragen verstand er auf das Bürgertum zu übertragen, welches sich nun verstärkt von Neuem nach seiner ökonomischen und individuellen Identität zu fragen begann.
Atomised
Eine Gesellschaft, die auf den von Diethe oder Greifenhagen gezeichneten, respektive unkritisch von Luther selbst geforderten Methoden beruht, begegnet ihren Alp nicht nur in Orwells Visionen. Als Pink Floyd, kurz vor dem Sturz der Berliner Mauer, direkt davor, ihr Megaspektakel abzogen, wurde dies als Menetekel, als Grabmal der Nomenklatura verstanden. Im Grunde aber justierten Waters / Gilmour ihr Opus Magnum von Anfang an inhaltlich wie formalästhetisch auf die westliche Postmoderne. Ende der 70er auf dem Markt kommend zeichnete es eine schwarze Vision der nahen Zukunft. Ihr inhärierten zwei Stoßrichtungen- bzw. Beobachtungstopoi. Beängstigend nahmen sich in den Zeichentrickanimationen der Musikvideos nicht nur die vereinzelten, kulturindustriell atomisiert zugerichteten Zombies aus, die einstigen Menschen, sondern absolut erschreckend waren die Einblendungen der sie formierenden, monströsen, sich armeehaft bewegenden Workfareregimes, die sie zu marschierenden Hämmern und Werkzeugbatallionen mutieren ließ. Zudem geriet es zu einer absoluten Dystopie der massenmediale Zurichtungsmaschinerie des inzwischen globalisierten Westens. Auf jene wahrgewordene, riesige The Wall, die sich zwischen jedem medial wie neoprotestantisch, identitästechnisch zugerichteten Individuum aufbaut. Denn die Individualisierungs- und Identitätsanstrengungen/-forderungen hinterlassen ihre Spuren. Der/dieSingle kann sich nun nach der Arbeit seine/ihre individuellen TV-Spartenprogramme zusammenstellen oder einfach nur Kitsch konsumieren, um sich zum einen vom Alltagsstress zum anderen von seinem pseudohybriden Selbst abzulenken. Die Titel der Wall-Zyklen sind Legende, weil sie das Zurichtungsspektrum der reflexiven Postmoderne, zuzüglich ihrer hybriden Kulturindustrie und ihre Atomisierungseffekte auf die Subjekte noch besser als jede Theorie erfassen:
Nobody Home61
A distant ship, smoke on the horizon.
You are only coming through in waves.
Your lips move but I can't hear what you're saying.
When I was a child I had a fever
My hands felt just like two balloons.
Now I've got that feeling once again
I can't explain, you would not understand
This is not how I am.
I have become comfortably numb.
Die positivistische Wissenschaft konstruiert instrumentelle medizinsoziologische Methoden, die die Reflexivmodernen gleich übernahmen. Mit dem sense of coherence legen sie ein idealisiertes Raster über ihre Probanden, tasten und scannen sie nach ihm ab. Es liegt auf der Hand, dass im Mantel einer stromlinienförmigen Wissenschaft nicht nur ein postmoderner Big Brother sein Unwesen treibt. Vermittels der individuellen Sinnfrage zuzüglich ihrer anschließenden positivistischen Evaluierung vermag er seine Student/innen erheblich unter Druck zu setzen und sie derart extrem psychisch zuzurichten wie zu versinglen. Diese Forschungen arbeiten oberflächlich betrachtet scheinbar Sinn orientiert, den zu finden als eigenes Bedürfnis unterstellt wird. Überhaupt wird die Bedürfnisorientierung zur universellen Messlatte. D.h. die Reflexivmodernen befragen ihr Klientel um angeblich nah an ihr operieren zu können. Was sich oberflächlich betrachtet als sinnvoll ausnimmt, erscheint in einer kritisch theoretischen, wie gouvernementalen Perspektive als große Machtinduktion, die sich an die Wunschproduktionen des Subjekts andockt, sie mit ihrer Fragerei womöglich erst autopoietisch hervorbringt. Die Bedürfnisorientierung kann deshalb auf den ersten Blick kaum als das große postmoderne, gouvernementale Steuerungsinstrument wahrgenommen werden, als das man sie beobachten sollte. Auch hier wären intensiverer Forschungen vonnöten um dieses Vorgehen ausführlicher zu analysieren. Bauman konstatiert in seinen Studien über das Leben in der heutigen Konsumgesellschaft, dass die Disziplinargesellschaft sich durch Anreize substituierte. Einst verpflichtende Verhaltensmuster werden nun durch Verführung angepeilt, Verhaltenskontrolle mutiert zu Öffentlichkeitsarbeit und Werbung. Das raffinierteste jedoch, normative Vorschriften kommen im Gewand der Weckung neuer Bedürfnisse, ausgefeilter durch Marktforschung suggerierter Wünsche daher.64 Wer am gründlichsten informiert sein will, dem seien Adornos Thesen über das Bedürfnis in Erinnerung gerufen. Die Bedrürfnisanrufung erhält bei ihm den Zug einer großen Perfidie.
„Furchtbares hat die Menschheit sich antun müssen bis das Selbst, der identische, zweckgerichtete, männliche Charakter des Menschen geschaffen war, und etwas davon wird noch in jeder Kindheit wiederholt. Die Anstrengung das Ich zusammenzuhalten haftet dem Ich auf jeder Stufe an."66
Bis zu Beginn der Postmoderne als das Ich in Folge der 68er Studentenbewegung seiner Anstrengung des zwangshaften Zusammenhalts überdrüssig wurde, d.h. in der magischen Zeit zwischen 1968 und 1986, dem Jahr der Veröffentlichung von Becks Risikogesellschaft, in der er wieder ein forciertes Identitätsforschungsprogramm ankündigte.
Aber Mitte der 80er traten die Agenten der Reflexiven Post/Moderne auf den Plan (nun als Ex-68er) um ausgerechnet ihre Generation, die sich anschickte langsam abzudrehen, und die anderen zu erinnern, dass sie sich wieder eine bürgerliche Identität anzueignen hätten, schlimmer noch, sich identifizieren müssen. Dem aber nicht genug, sie entwickelten ein Humankapitalmanagement flankiert von Leadershipforschung und Peoplemanagement, verbunden mit einer "Identitätsforschung", die sich nicht nur gewaschen hatte, sondern zu einem vernetzten Psy-Komplex avancierte, der letztlich auf ein toughes people broking abzielt. Was sie sich Anfang der 70er Jahren, bevor sie in ihre privilegierten Stellen einrückten, nur in ihren schlimmsten Alpträumen oder auf krassen Horrortrips imaginierten. Als das Deprimierendste kristallisierte sich heraus, dass die Horrorvisionen auf den schlechten LSD-Trips als die Imaginationsfolie für das aktuelle System-, Psy- und Peoplemanagement fungierte.
Jean Eustaches avancierte zu dem überragenden filmischen Seismograph vor allem der 70 er Jahre. Kein anderer Regisseur verstand es die Kamera derart als sozialpsychologisches, mehr noch interaktiv intersubjektives, psychodynamisches Beobachtungsinstrument einzusetzen. Ihm gelangen die hipsten, kommunikativsten, auratischten, legendärsten Pariser Straßencafeszenen seiner Zeit. Allen großen Künstlern ähnlich konnte er die Verstrickung in seine Zeit nicht lösen. Seine Tragödie bestand darin, wie ein Quasar in diesem Zeitsrom zu pulsieren, dass er sich 1981 (siehe auch Fassbinder), als er abrupt kulturell abriss, suizidierte. Nicht zufällig zu einem Zeitpunkt als er keine Möglichkeit mehr sah seine enorme Kreativität, Ideen, Ideale wie die seiner verbliebenen Mitstreiter experimentell zu verwirklichen. Bitter enttäuscht, dass sich viele seiner Generation zombifizierten, d.h. mit dem bürgerlichen Mainstream, dem Kältestrom zu schwimmen begannen, ihn gar selbst produzierend. Nun gleich den Reflexivmodernen argumentierend, weil sich alles verflüchtige, verflüssige müsse sich der Einzelne eine besonders prononcierte Identität konstruieren. Deren besondere Marke von gehärtetem Stahl/beton rührten sie nun in ihren Sonderforschungsbereichen an. Kaum bemerkend, dass die mit ihren Methoden Traktierten zu McKinsey-Zombies oder Frankensteins mutieren, denen ihre Sensibilität vollkommen abhanden kam. Die Frage sei erlaubt, ob die Reichschen Charakterpanzer nach den Humankapital- und Identitätscurricula nicht in der Hyle eines postmodern getarnten reflexiven Morpheuscyborgs/Transformers wiederauferstehen ? Ist ein Schelm wer vermutet, dass die "coolen" XXL Markenfetisch-Sonnenbrillen mit denen sie (nicht nur auf der Leopoldstraße) gesichtet werden können, nur die Eiseskälte ihrer extrem narzisstisch geschminkten Pseudo-Film-noir-Augen verbergen sollen, die ansonsten ihre vollendete moral blindness spiegeln ?
Heute wären in Adornos Analyse der Klassengesellschaft die „Zauberwörter“, d.h. der Begriff des Bedürfnisses nur durch den der reflexiven Identität zu ersetzen, um eine aktuelle Analyse der postmodernen gouvernementalen Identitätsproblematik zu erhalten. Die postmoderne Welt könnte gar sirenenhaft anheben zu singen, weil die Zauberwörter nicht nur getroffen, sondern vor allem in den angemessenen Erkenntniskontext rücken.
Identitätsparanoia als Kern des reflexivmodernen Psy-Komplexes
Noch problematischer verhält es sich mit Keupps Forderung nach einer Identität oder gar Identitätsarbeit. Die Bourgeoisie kann sich aufgrund irren Vermögens viel mehr von Identitätszwängen befreien, ihr Leben nach Gusto bestimmen. Das schrumpfende Mittelklasse-Bürgertum und die Arbeiter müssen sich hingegen mehr denn je auf dem Markt einer forcierten Konkurrenzökonomie verkaufen. Der aktuelle Marktwert richtet sich hauptsächlich nach nachgefragten Berufsprofilen. Nach Berufsprofilen zu forschen ist Usus der herkömmlichen Mainstreamforschung und sie bleibt darin weniger problematisch als die Reflexivmodernen, die nach einer "Identität" fragen. Sobald nach einer Identität gefragt wird, beinhaltet das mehrere Implikationen. Erstens soll aus einer individuellen Subjektivität, die sich oft widersprüchlich, volatil, launisch, liquide, ambivalent bis in sich zerrissen anfühlt, eine reflexivmoderne "Identität" formatiert werden. Daraus ergibt sich schon das erste gravierende Erkenntnisproblem. Es stellt sich sofort die Frage, ob dies überhaupt möglich ? Die Frage nach der Identität wird ja nur gestellt um das Individuum "erkennbar" für bestimmte Arbeitsmarktzwecke zuzurichten und zu überwachen. Am besten im reflexivmodernen Sinne wäre, was zugleich seine Naivität spiegelt, wenn die individuelle Subjektivität mit einem verwertbarem Berufsprofil "identisch". Denn die Identitätsfrage übt derart einen unheimlichen Druck auf eine individuelle Subjektivität aus: Zum einen sich identitär zu formatieren, zum anderen gesellschaftliche, arbeitsmarktrelevante Anerkennung zu finden, d.h. Erfolg zu haben. Ein ungeheuerlicher Anspruch, der im Kapitalismus vermutlich nur von ihren "Funktionseliten" oder einer kleinen etablierten Wissenschafts- / Künstlerelite zu erfüllen ist. Aber selbst ihnen gaukelt die Identität/sforschung eine Chimäre vor....
Die Mittelschicht und die Arbeiter müssen sich in der Konkurrenzökonomie ein Berufsprofil zulegen, welches sie von anderen unterscheidet. Die falschen Entscheidungen bzw. Berufsprofile zu wählen, entpuppt sich nicht nur finanziell als risikoreich. In der liquid Modernity vibrieren die Märkte enorm volatil, die Fließgeschwindigkeiten sind dementsprechend hoch. Entscheidungen die zu einem bestimmten Zeitpunkt getroffen, erweisen sich in nur wenigen Jahren oft als falsch.
Das Problematische der "reflexiven Identitätsforschung", die Keupp betrieb, liegt darin den Subjekten zu suggerieren, dass sie unbedingt eine Identität benötigen. Er setzte sie derart einen straken gesellschaftlichen normativen Druck aus. (Die Becksche Individualisierungstheorie besässe, falls besser gestrickt und justiert, durchaus schichtspezifisches bourgeoises wie Upper Middle Class Erklärungspotenzial. Hingegen ist bei der Identitätsforschung schon fraglich, ob sie für einen engen Kreis etablierter akademischer Sozialwissenschaftler überhaupt noch funktional, die auf der Suche nach einem neuem Projekt/Drittmittelprojekt. Denn eine selbst gewählte "Identität" schränkt das Spektrum möglicher Akquisen all zu sehr ein). Viel fraglicher noch ist, wenn sie außerhalb dieses engen Zirkels als reflexivmoderne Sozialwissenschaft im Freilandversuch auf die Mittelschicht und die "Unterschichten" losgelassen. Verwickelt sie sich hier nicht vollends in die gesellschaftlichen Widersprüche, die sie zu lösen vorgibt ? Gerade in diesen Schichten werden die Menschen kaum etwas mit diesen Fragen anzufangen wissen. Und falls sie den Identitätsforderungen folgen, schnell und massiv an die reale gesellschaftliche Verwirklichungsschranke, die berühmt berüchtigte, notorisch undurchdringliche Glasdecke stoßen. Ob der kapitalistischen Negaitivität befördert die Identitätsforschung zudem die Individualatomisierung mit gesamtgesellschaftlicher Zersplitterung/Fraktalisierung.
Denn die Identitätsforschung geht von der Prämisse aus, dass in jedem Individuum so etwas wie ein Identitätskern schlummert, den es entweder zu entdecken oder zu konstruieren gilt. Aufgrund dieses Vorurteils, das sie inzwischen schon als common sense ausgeben, kreieren sie eine vereinzelnde aufs Individuum zugeschnittene Befragungsmethode, um dieses Nachdenken über Identität und diese selbst zu evozieren. Kritisch beobachtet handelt es sich jedoch um nichts anderes als eine pseudoakademische Verhörsituation, die einem zwanghaft eine Identität einreden will, von der überhaupt nicht klar ob sie tatsächlich mehr nutzt oder schadet; die zudem erkenntnistheoretisch nicht existiert. Besonders in der "Unterschicht" und in Migrantenmilieus dürfte die Frage nach der Identität eines Menschen als skurriler Mumpitz empfunden werden, sofort die Atmosphäre von Kafkas Prozess heraufbeschwörend: "Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet" und verhört.
Keupp hätte sich aus seinem selbstverschuldeten Dilemma retten können, wenn er einen relativ einfachen Kunstgriiff angewendet hätte. Wenn es denn schon darum gehen soll eine persönliche Subjektivität zu erforschen, was noch eine andere Qualität wäre, als eine "Identität" zu "erforschen", dann könnte man bescheiden nach Selbstbildern und Selbsteinschätzungen fragen. Diese werden fast automatisch zu fast jedem Sachverhalt gegeben. Zudem stehen sie nicht unter dem Verdacht objektiv oder richtig sein zu müssen. Selbsteinschätzungen können halb/richtig oder falsch bis ganz falsch sein, ihr großer Vorteil besteht in ihrer relativen Zwanglosigkeit. Wer jedoch nach einer Identität forscht, verrät seinen protestantischen Hintergrund und öffnet die Büchse der Pandora.
Eine 3 sat/arte Sendung der 90er Jahre porträtierte die Lebenswege von DDR-Bürgern, die sich an den Großdemonstrationen gegen das Regime beteiligten und sich künstlerisch engagierten, vor und nach dem Mauerfall. Die beeindruckendste Sequenz eines Interviewten bestand in der Antwort auf die Frage, was sie als stärkste Veränderung wahrnahmen. Erstens wurden sie in der DDR viel häufiger auf Partys oder Treffen eingeladen über Dritte von Leuten die sie zuerst nicht oder kaum kannten. In den meisten Gesprächen ist nicht danach gefragt worden was man/frau beruflich mache und wer sie sind. Diskutiert wurde u.a. über die Lage der DDR und ihre Veränderungsmöglichkeit und über künstlerische Protestformen. Circa. fünf Jahre nach dem Mauerfall war der Osten wirtschaftlich abgewickelt. Der Westen hielt forciert Einzug, gleichzeitig zog fast ein Drittel der Bevölkerung aufgrund hoher Arbeitslosigkeit in den Westen. Milieus und Szenen im Osten differenzierten und diversifizierten sich, dh. aber auch dass sie sich fraktalisierten, binnenspezifisch individualisierten und ausbrannten, erkalteten und letztlich atomisierten und auflösten. Nun bekam man auf Partys die typischen Westfragen zu hören. Wenn überhaupt auf andere zugegangen wurde, waren, wer bist du und was machst du beruflich, die ersten Fragen, die gestellt wurden. Wenn sie für den Frager unbefriedigend ausfielen, versandete das Gespräch. Die einziehende Fraktalisierung und Atomisierung war das Ergebnis einer harschen westlichen wirtschaftlichen Austeritätspolitik, aus der nur wenig später die AfD hervorging. Sie wiederum steht kurz davor auch den Westen der Republik bis zur Unkenntlichkeit zu verändern.
Interesssant stellt sich dar, dass die Identitätsforschung zeitgleich um den Mauerfall entwickelt wurde und in den 90ern Fahrt aufnahm. Aber nicht nur, dass sie die Menschen auf etwas festlegen will, die Fragen nach Identität haben weitreichende Implikationen.
Wird nicht viel subtiler, (fast jenseits der Wahrnehmungsschwelle ?), die Existenz selbst der Fröhlichsten und Unbefangensten, allein durch die Frage der Reflexivmodernen nach ihrer Identität ebenfalls in Frage gestellt ? Werden sie nicht dazu genötigt über etwas Auskunft zu geben, an was sie evtl. nie einen Gedanken verschwendeten, vielleicht deshalb so fröhlich, unbefangen durchs Leben kamen ? Nun aber sollen sie über ihre Identität, also über etwas, was sie zutiefst, bis ins Innerste zu bestimmen scheint, Auskunft geben. Müssen sie sich nicht existentiell schämen, wenn sie dazu nicht in der Lage? Oder, falls überhaupt, nur einen Status ausweisen können, der unter dem des/der akademischen Upper Middle Class Interviewers/in rangiert. Verlieren die Befragten mit der Frage nicht ihre Existenzberechtigung, die sie nur bei bestandener Auskunft, Rede und Antwort in einem längeren kafkaesken Forschungsprozess wiedererlangen oder endgültig verwirken ? Ist die Frage nach ihrer Identität nicht dazu angetan in ihnen eine schichtspezifische PPP-Upper Middle Class Paranoia hervorzukitzeln ?
Das einmalig Bestechende an Kafkas Prozess liegt darin, dass die sich häufenden Verhörsituationen einerseits die bedrückende Befremdlichkeit steigern, andererseits schleichend Geist, Psyche, Gehirn und Denken Ks vollständig absorbieren. Sein Denken verselbständigt sich zu einer einzigen durch die Verhöre hervorgerufenen Paranoia über seine angebliche Schuld, bei der nicht mehr differenzierbar, was von außen induziert respektive von innen generiert .
Analog arbeitet in der Postmoderne das permanente Gequatsche über Identität, das von einer Vielzahl von Identitätsforschungsprojekten unterstützt wird. Sie rufen mit ihren Identitätsfragereien, die eigentlich als getarnte Verhöre funktionieren, im Subjekt ein paranoides Denken über Funktionalität respektive Dysfunktionalität hervor . Die "Schuld" wird so radikal auf die Seite des Subjekts verlagert, obwohl es von der Upper Middle Class abwärts realiter immer weniger Einflussmöglichkeiten auf seine "Identität" hat.
Veridiktion und Geständniszwang
Foucault untersuchte in seinem letzten großen Vorlesungszyklus, der Mut zur Wahrheit (1984!), die von ihm avisierten antiken Veridiktionsmodi, die verschiedenen Formen des Wahrsprechens über sich. Die Logik der Vorlesung legt nahe nach den antiken zu den zeitgenössischen überzugehen, was sein Tod verhinderte. Die antiken Veridiktionsmodi praktizierten wenige Philosophen und Kyniker in einer spätantiken kulturellen Niedergangsphase, die Klarheit und erweitertes Bewusstsein über ihre Existenz wie ihr Verhältnis zur Macht zu erfahren hofften. Das Frühchristentum und das Christentum des Mittelalters modifizierten diese Veridiktionsmodi nicht nur, sondern bogen sie zu einem ziemlich bedenklichen Geständniszwang um.
In dem Vorlesungszyklus die Regierung der Lebenden (1980) entwarf Foucault ein (nahezu) monströses Erkenntnisinstrumentarium. Beeindruckend arbeitet er heraus, dass eine Zeugenaussage oder ein Sachverhalt der beobachtet und wiedergegeben wird seine eigene Evidenz hat. Als Wahrheit inhäriert ihm eine eigene Kraft, die befreiend ihre eigene Dynamis entwickelt. Obwohl es unterschiedliche Perspektiven geben kann, braucht sie weder Wahrheitsregime noch demonstrative Wahrheitsakte. Ganz anders verhält es sich mit religiösen Glaubensinhalten. Sie benötigen Dogmen, Glaubensbekenntnisse, Wahrheitsakte und Rituale, eben weil sie mit den Augen der Vernunft betrachtet offensichtlich nicht stimmen können. Selbst wissenschaftlichen Logiken unterstellt Foucault notwendig bestimmte Wahrheitsakte oder Rituale ohne die sie nicht funktionierten. Er demonstriert relativ einfach, aber bestechend, einen solchen Wahrheitsakt an Descartes, das die Wissenschaftsgeschichte verändernden: "Ich denke also bin ich". Allein dass Descartes beide Feststellungen mit einem "also" verknüpft, kommt sowohl einer Wahrheitsmanifestation als auch einem Wahrheitsakt gleich. Je komplizierter die Logiken umso komplexer die Wahrheitsakte. Mehr oder weniger Chocs löst allerdings aus, dass die Art und Weise in denen wir heute Subjektivität oder Formen von inneren Stimmungen, Selbstbekenntnisse, (angebliche) Wahrheiten über uns selbst ausdrücken, ganz bestimmte Wahrheitsakte, Rituale und sogar Wahrheitsregime benötigen, damit sie als glaubhaft gelten. Eben weil reine Subjektivität, vor aber auch in der Neuzeit, kaum äußerlich verobjektivierbare Evidenz kennzeichnet. Auch die Psychoanalyse glaubte in ihren Anfängen, dass das Abtauchen in die unbewusste Subjektivität, das Bewusstmachen von Unbewusstem, ein Königsweg der Erkenntnis sei und steht noch immer vor demselben Dilemma. Musil wies schon auf das Paradoxon hin, das einem auf dem Weg nach Innen widerfährt, wenn er nicht gar eine einzige Fata Morgana. Seinem Törless stellt er die skeptische Reflexion Maeterlincks voran: "Sobald wir etwas aussprechen entwerten wir es seltsam. Wir glauben in die Tiefe der Abgründe hinabgetaucht zu sein und wenn wir wieder an die Oberfläche kommen, gleicht der Wassertropfen an unseren bleichen Fingerspitzen nicht mehr dem Meere, dem er entstammt. Wir wähnen eine Schatzgrube wunderbarer Schätze entdeckt zu haben, und wenn wir wieder ans Tageslicht kommen, haben wir nur falsche Steine und Glasscherben mitgebracht, und trotzdem schimmert der Schatz im Finstren unverändert."
Gerade in der frühen Postmoderne, der konkreten Aktualität, spricht die reflexive Sozialpsychologie von unserem Ich als einer angeblichen "Authentizität" bzw. toughen, krassen "Identität", die zu konstruieren oder zu entdecken wäre. Muss man diese Sprechakte und Forschungsrichtungen nicht auch unter diese heftigen Formen von Wahrheitsregimen subsumieren ? Müssen sie gar im Gewand einer "sozialpsychologischen Forschung" daherhommen, um von einer angeblich untersuchten "Identität" "wahrzusprechen" ? (Dabei ist die Konnotation mit Wahrsprecherei bzw. Wahrsagerei nicht einmal zufällig sondern könnte ihr Projekt ziemlich treffend beschreiben.) Knüpft diese sozialpsychologische Forschung nicht pseudowissenschaftlich transformiert an den Wahrheitsregimen, dem Wahrsprechen-müssen von sich selbst des Frühchristentums und, später in noch einmal potenzierter Form, des Protestantismus an ?
Foucault führte diesbezüglich aus:
"Weshalb und wieso verlangt in unserer Gesellschaft die Ausübung von Macht, die Ausübung von Macht als Regierung der Menschen, nicht nur Gehorsams- und Unterwerfungsakte, sondern auch Wahrheitsakte, bei denen die Individuen, die in der Machtbeziehung Untertanen (sujets) sind, als Akteure, bezeugende Zuschauer oder Objekte innerhalb der Verfahren der Wahrheitsmanifestation gleichzeitig auch Subjekte (sujets) sind ? Weshalb hat sich in dieser Großökonomie der Machtbeziehungen ein an die Subjektivität gekoppeltes Wahrheitsregime entwickelt ? Weshalb verlangt die Macht und das in unseren Gesellschaften seit Jahrtausenden von den Individuen nicht nur zu sagen, >hier bin ich, hier bin ich, der gehorcht<, sondern verlangt von ihnen außerdem zu sagen, > das bin ich, ich, der gehorcht, das bin ich, das habe ich gesehen, das habe ich getan< ?
So lautet mithin die Frage. Es versteht sich von selbst - die Art und Weise, wie ich das Thema dargelegt habe, deutet, denke ich, zur Genüge darauf hin -, dass ich das historische Problem der Herausbildung einer Verbindung zwischen der Regierung der Menschen und den Wahrheitsakten beziehungsweise den reflektierten Wahrheitsakten vom Christentum und Frühchristentum her etwas enger fassen werde.
Wenn man in Bezug auf das Christentum die Frage der Regierung der Menschen und des Wahrheitsregimes stellt, denkt man im Allgemeinen an den dogmatischen Aufbau des Christentums, das heißt an die Tatsache, dass das Christentum im Vergleich zur alten Welt, im Vergleich zur griechischen, hellenistischen und römischen Welt, tatsächlich ein höchst erstaunliches, höchst neues und zugleich auch höchst paradoxes Wahrheitsregime eingeführt hat. Ein Wahrheitsregime, das natürlich aus einem Korpus von Doktrinen besteht, das sich [einerseits] auf die ständige Bezugnahme auf einen Text stützt und das sich andererseits auf eine ebenfalls beständige Institution beruft und das sich verändert und etwas so Rätselhaftes wie die Tradition gewährleistet. Ein Korpus von Doktrinen folglich, aber auch Wahrheitsakte, die den Gläubigen abverlangt werden, unreflektierte Wahrheitsakte, Wahrheitsakte in Form des Glaubens, Akte des Glaubens, des Glaubensbekenntnisses. Wenn man über die Regierung der Menschen und das Wahrheitsregime im Christentum spricht, denkt man in der Regel an diese Seite, das System von Dogma und Glaube, Dogma und Gläubigkeit. Wenn man diese Seite bevorzugt, so aus Gründen, die ich soeben genannt habe, nämlich die Präferenz, die man der Analyse in den [Begriffen] der Ideologie stets einräumt, dies bedeutet nämlich exakt, bei der Durchführung der Analyse nicht so sehr von den Wahrheitsakten (also von der Seite der Akte der Glaubwürdigkeit) auszugehen, sondern vielmehr vom Inhalt des Dogmas und des Glaubens als ideologischem Gehalt.
Mit Blick auf die Perspektive, die ich einnehme, werden Sie nun erstens verstehen, dass ich beim Wahrheitsregime nicht dem Glaubensinhalt den Vorzug geben werde, sondern vielmehr dem Wahrheitsakt selbst, und [zweitens] dass ich nicht so sehr die Wahrheitsakte in Form von Glaubensakten untersuchen möchte, sondern andere Akte, die, denke ich, ein anderes im Christentum vorhandenes Wahrheitsregime definieren, skandieren, artikulieren, das sich weniger durch den Glaubensakt oder das Glaubensbekenntnis mit einem dogmatischen Inhalt bestimmt, der einem Text entnommen und innerhalb einer institutionalisierten Tradition verfolgt wird. Ich möchte über ein anderes Wahrheitssystem sprechen: ein Regime, das durch die Pflicht der Individuen definiert ist, zu sich selbst permanent eine Erkenntnisbeziehung aufzubauen, durch die Pflicht, in ihrem Innersten Geheimnisse aufzudecken, die sich ihnen entziehen, schließlich durch die Pflicht, die geheimen und individuellen Wahrheiten durch Akte zum Ausdruck zu bringen, die bestimmte Effekte haben, Effekte, die weit über Erkenntniseffekte hinausgehen, befreiende Effekte. Anders gesagt, gibt es im Christentum ein Wahrheitsregime, das sich nicht so sehr um den Wahrheitsakt als Glaubensakt herum aufbaut als vielmehr um den Wahrheitsakt als Geständnisakt.
Die Regime des Glaubens und des Geständnisses sind sehr verschieden, da es sich im Falle des Glaubens um das Bekenntnis zu einer unantastbaren und offenbarten Wahrheit handelt, bei der die Rolle des Individuums, damit der Wahrheitsakt, der Punkt der Subjektivierung im Wesentlichen in der Akzeptanz dieses Inhalts besteht und in der Akzeptanz, zum Ausdruck zu bringen, dass man diesen Inhalt akzeptiert - dies ist der Sinn des Glaubensbekenntnisses, des Akts des Glaubensbekenntnisses, während es in dem anderen Fall, im Fall des Geständnisses, überhaupt nicht darum geht, sich zu einer inhaltlichen Wahrheit zu bekennen, sondern darum, die individuellen Geheimnisse zu erforschen, unablässig zu erforschen. Man kann sagen, das Christentum war, zumindest in der Hinsicht, in der es uns hier interessiert, ständig von einer außerordentlichen Spannung zwischen diesen beiden Wahrheitsregimen, dem Regime des Glaubens und dem Regime des Geständnisses, durchzogen.
Große Spannung soll nicht heißen, dass es zwei heterogene Systeme ohne Verbindung waren. Letztendlich darf man nicht vergessen, dass der Begriff der Beichte und die Bedeutung des Wortes ››Beichte« in der römisch-katholischen Kirche gewissermaßen genau in der Gabelung dieser beiden Regime liegt, da im Latein der Kirchenväter der Bekenner, der Begriff ››confessor«, sich praktisch noch bis ins 7. und 8. Jahrhundert auf jemanden bezieht, der es auf sich genommen hat, das Glaubensbekenntnis bis zum bitteren Ende abzulegen, das heißt auch auf die Gefahr des Todes hin? Und kurz darauf hat sich in diese Bedeutung des Wortes ››confessor« die andere Bedeutung des Wortes >Beichte< eingeschoben, nämlich die, die das Geständnis strukturiert, reglementiert, ritualisiert und daraus Wirkungen abgeleitet, die sehr viel später, ab dem 12. Jahrhundert, einfach zu sakramentalen Wirkungen werden sollten. Mithin ist das Christentum im Grunde, im Wesentlichen die Religion der Beichte, insofern diese sich an der Nahtstelle des Regimes des Glaubens und des Regimes des Geständnisses befindet, und diese beiden Wahrheitsregime bilden - unter diesem Blickwinkel - die Grundlage des Christentums.
Zweitens findet man in der Tatsache, dass praktisch jede Entwicklung eines der beiden Regime von einer Weiterentwicklung oder Neuordnung des anderen Regimes begleitet war, einen anderen Beweis dafür, dass die beiden Wahrheitsregime, das des Glaubens und das des Geständnisses, keine zwei heterogene und unvereinbare Komponenten sind, sondern dass es zwischen ihnen tiefe und grundlegende Verbindungen gibt. Wenn sich die Praktik des Geständnisses, der Beichte im Sinne des Geständnisses, des Bußbekenntnisses Ende des 2. bis zum 5. Jahrhundert so stark entwickelt hat, dann letztlich insofern es gerade ein Problem gab - das der Häresie, das heißt der Definition dessen, worin der dogmatische Inhalt des Glaubensaktes bestehen muss, und genau im Rahmen dieser Auseinandersetzung mit der Häresie (auch ein Begriff, der der griechisch-römischen Welt völlig fremd war), also im Rahmen der Definition des dogmatischen Glaubensinhalts, haben sich die Geständnispraktiken entwickelt. [...]
Wenn sich die Praktik des Bußbekenntnisses, des Bußgeständnisses dann in höchst juristischer Form kodifiziert, und das über mehrere Jahrhunderte, so genau, als das Christentum erneut mit der Häresie konfrontiert ist - der Häresie der Katharer -, und im Kampf gegen diese Häresie hat sich auch die Praktik der Beichte entwickelt. Sie sehen also, es gibt einen fortwährenden Zusammenhang zwischen den beiden Bedeutungen des Wortes ››Bekenntnis« und dem Wandel, dem die eine wie die andere unterliegt.Und schließlich kann man sagen, dass sich der Bruch im Christentum in der Renaissance, das heißt die Teilung in Katholizismus und Protestantismus, im Großen und Ganzen noch rund um dieses Grundproblem vollzogen hat. Was war der Protestantismus am Ende, wenn nicht eine bestimmte Art der Wiederaufnahme des Glaubensaktes als Bekenntnis zu einem dogmatischen Inhalt in Form einer Subjektivität, die es dem Individuum erlaubt, in sich selbst, in seinem Innersten, gemäß dem Gesetz und dem Zeugnis seines Bewusstseins, diesen Inhalt zu entdecken? Anders gesagt, wird das Individuum als Operator der Wahrheit, als Zeuge und Objekt des Wahrheitsakts in seinem Innersten das entdecken, was das Gesetz und die Regel seines Glaubens und seines Glaubensakts sein muss.
Man hat hier im Protestantismus* (Fußnote: eine neue Art, das eine an das andere zu knüpfen, auf eine Art und Weise, die sich jedenfalls von der früheren unterscheidet, die Verbindung... letztendlich sind die Protestanten gar nicht so anders als das Frühere, doch lassen wir das...) eine bestimmte Art und Weise, das Geständnisregime mit dem Wahrheitsregime zu verbinden, und genau das gestattet es dem Protestantismus die institutionelle und sakramentale Praktik des Bußgeständnisses bis zu seiner Aufhebung abzubauen, da das Geständnis und der Glaube in einer Form des Wahrheitsakts zusammentreffen, bei der das Bekenntnis zum dogmatischen Inhalt dieselbe Form hat wie der Selbstbezug bei der sich selbst erforschenden Subjektivität." 71b
Foucault verschob mit dieser Vorlesung (1980) seine bisherige Optik komplett. Die Frage wie sich die Diskurse mit bestimmten Praxen verknüpfen, veränderte sich grundlegend. Jetzt geriet in den Fokus auf welche Art und Weise, durch welchen dynamischen Prozess, zu welchen Zielen und Zwecken "sich ein Subjekt an eine Wahrheitsmanifestation bindet". Der Begriff Wahrheitsregime fand in diesen Zusammenhang Eingang
Um zu verstehen, warum der Protestantismus forciert auf eine individuelle Subjektivität zielt, die ihr eigenes Wahrsprechen hervorbringt, wäre Foucaults Studie frühchristlicher Theoretiker weiterzuschreiben. Aber nun mit dem speziellen Fokus, wie die Protestanten Subjektivität oder das was sie dafür halten, mit einem spezifischen forcierten Selbstbezug verkoppeln, der trotz allem an eine protestantische moralische Tugendhaftigkeit geknüpft ist. Zwar bildet Foucaults Studie das Vorspiel zu jener Fragestellung, leider stellte Foucaults Tod eine bis heute existierende Schranke das Thema gründlich zu erforschen.
Tertullian, einer der frühesten christlichen Theoretiker, thematisierte, dass es in seinem Verständnis umfangreicher geistiger Vorbereitung bedarf, um zur Taufe zugelassen zu werden. Er konstruiert eine erstaunliche Beziehung zwischen der Reinigung der Seele und dem Zugang zur Wahrheit. Es ist kaum bekannt, dass Tertullian einige der folgenreichsten Hypothesen für die christliche Theologie und das abendländische Denken bis zur Moderne einführte. Die Idee der Erbsünde entwickelte sich zu einem umfassenden Machtinstrument.
Da der Mensch mit der Erbsünde befleckt sei, gibt es Bereiche in der Seele die unter dem Einfluss des Bösen, des Satans stünden. Die Taufe soll nun das Böse aus dem Inneren der Seele verscheuchen. Je näher die Taufe rückt umso mehr wütet Satan. Als Christ riskiert man/frau sehr viel, auf Grund der ständigen Heimsuchung von Versuchung und Sünde. Der Christ muss ständig um sich, die Reinheit seiner Seele und um sein Seelenheil besorgt sein. Wenn man den Glauben und die Gnade Gottes erlangen will, "darf man sich dessen was man selbst ist, niemals sicher sein."
Tertullian führte aus, dass die Taufe in zwei Stufen zu vollziehen ist. Nämlich in einer ersten der Vorbereitung auf die Taufe, der monatelangen Buße und Askese. Der Konzentration auf sich selbst, einer "Übung und Ausarbeitung seiner selbst" in Bezug auf Entsagung des Satans und der Meditation über das christliche Glaubensbekenntnis. Und In einer zweiten der eigentlichen Taufe, die im Vollzug der Metanoia, der Seelenwandlung, der Konversion, die während der Taufe eintritt, den Christen vom Schatten seiner Vergangenheit ins Licht führt um von Gottes Wahrhaftigkeit gereinigt und erleuchtet zu werden. "Die Übung seiner selbst muss der Auftakt zu der Bewegung sein, durch die man im Zuge der Erleuchtung, die uns die ewigen Wahrheiten eröffnet, zum Erkenntnissubjekt wird."
Das Christentum verlangt zu einem ziemlich umfassenden Erkenntnissubjekt hinsichtlich seines intensiven Glaubensbezugs, seiner moralischen Reinheit, seiner Gottesfurcht, seiner Initiation und Bewährung als Christ zu werden. Dieser Prozess wird gekreuzt und unterstützt von der Exomologese. Sie war ein durchgehender stabiler Topos in der Pastoraltheologie des Christentums. Anfangs war sie nur eine wenig verbalisierte publicatio sui, dass man/frau den Büßerstatus annimmt, der weitreichende sozial isolierende Konsequenzen bedingte. Ab dem 7/8. Jahrh. mündet sie über das Selbstgeständnis in die Selbsterforschung. Sie mutiert zu einer intensiven "masochistische" Prüfung der Seele durch sie selbst, einem Hervorbringen der definitiven Wahrheit der Seele über sie selbst oder "der Manifestation der Wahrheit der Seele durch sie selbst." Die Seele soll sich nun selbst offenbaren indem sie zum penibel zu prüfenden Objekt ihrer selbst wird.
Aber seit der Aufklärung stellte sich immer drängender die Frage, ob sich die Seele respektive das Selbst wirklich selbst erkennen kann. Spätestens seit der Psychoanalyse wurde diese Frage erkenntnistheoretisch immer skeptischer beurteilt.
Den Protestantismus der Aufklärung focht dies nicht an. Er radikalisierte die Intentionen des Frühchristentums einerseits vermittels seiner verweltlichten Selbstprüfung andererseits eines theologischen Prüfungprozesses ob jemand in der Gnade Gottes steht oder verworfen ist. Buße wechselt von einem Mittel des katholischen Sündenablasses zu einem Instrument der protestantischen Selbsterforschung, die vor allem über einen intensiven Selbstbezug funktioniert. Selbsterforschung, Selbstbeobachtung, Selbsteingeständnisse respektive Selbstgeständnisse nehmen einen Großteil der Psyche ein, wenn sie nicht gar neurotisch obsessiv davon in Besitz genommen wird. Sie münden in den unermüdlichen Stress einer forcierten moralischen Selbstoptimierung.
Deshalb wird im Protestantismus ziemlich viel Wert auf eine individuelle Buße gelegt.
Es kommt nicht von Ungfähr, dass sich Luthers 95 Thesen am Ablasshandel entzünden, sich theologisch auf eine vehemente Kritik des traditionellen, kirchlichen Bußverständnisses einschießen. Luther beklagt, wütet gegen, die katholische Ritualisierung und Formalisierung der Buße, die sich während des Mittelalters entwickelte. In „De captivitate babylonica“ verwirft er die katholische Buße wegen nur noch „äußerlicher Zeremonien“. Er spricht ihr den Status als Sakrament ab. Er führt jetzt eine entscheidende Differenz ein, die er, angeblich dem Evangelium besser entsprechend, würdigt/ propagiert: Die freiwillige Sündenbeichte. Beim frühen Luther steht noch der Glaube des Einzelnen und wie er/sie sich darin entfalten kann im Fokus. Beim späten Luther, vor allem aber dem Protestantismus der Aufklärer, der Puritaner und Calvinisten kommt die gründliche, selbtpeinigende, moralische Selbsterforschung und Selbstprüfung hinzu. Schon Luther betont, dass die Buße sich nicht auf etwaige Verirrungen konzentriert, die durch Schuldbekenntnisse oder Satisfaktionsriten Absolution finden. Vielmehr, so die eigentlich unerbittliche berühmte erste These, sei die tiefe Intention der Verkündigung Jesu, „dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sei.“
Kaum sozialwissenschaftliche Fantasie ist notwendig um zu folgern, dass diese Form der Selbstprüfung und Subjektivierung eine/n vereinzelte/n Einzelne/n hervorbringt, dem/die in seiner/ihrer individuellen Motivik kaum mehr etwas mit seinen/ihren Glaubensbrüdern/-schwestern und Mitbürger/inne/n verbindet. Die Säkularisierung scheint die christlichen, protestantischen Wurzeln längere Zeit verwischt zu haben, jedoch standen sie in einer postmodernen verstärkten reflexiven Identitätspsychologie und -forschung wieder auf. Sie legte es darauf an den Individualisierungsprozess vermittels einer toughen Identitätsforschung wie -prüfung zu radikalisieren und registrierte nicht, dass Gesellschaften mit diesen Konzepten eine vollendete Atomisierung droht.
Kein Geheimnis der Foucaultforschung ist, dass jener berüchtigte vierte Band seiner Untersuchungen zur „Sexualität und Wahrheit“ sich topisch dem Frühchristentum widmet. Der vielsagende Titel „Die Geständnisse des Fleisches“ (Les Aveux de la chair) enthält Studien zu den frühchristlichen Geständnisverfahren, die im Protestantismus später wieder modifiziert aufgegriffen wurden. Der Band wurde nie abgeschlossen obwohl Foucault bis zu seinem Tod daran arbeitete. Forscher sehen diesen letzten Band als "wichtigsten Teil" an, der eine Art Schlüssel auch zu den anderen Bänden verspricht. Er besteht aus ausführlichen transkribierten Manuskripten und Foucault reflektierte in Interviews über einen „umfassenden Entwurf“ zu einem Buch „über sexuelle Ethik im 16. Jahrhundert", in dem gerade die Komplexe der Selbstprüfung, der Seelsorge und Selbsttechniken mehr in der protestantischen als in der katholischen Kirche zu behandeln wären. Aber gerade diese zusätzliche äußerst spannende Untersuchung wurde durch seinen Tod verhindert.
Haben die User/ Klienten die Fragen nach Identität nicht hysterisch aufgegriffen und durch enorm rückkoppelnde, selbstreferentielle Bullshit-Schleifen sich gleichermaßen hybridisiert wie atomisiert ? Haben nicht Meta/facebook, die reflexive und andere Mainstream Sozial/Psychologien durch diese sich monströs selbst potenzierenden Bubbles in den Köpfen vermeintlich selbstbehauptende, letztlich jedoch vollends gouvernementale Überwachungs-, wie Steuerungselemente /Mächte implementiert ? Üben sie, falls die Individuen sie schlucken, verinnerlichen, nicht on- und offline einen maximalen, perennierenden, protestantischen Rechtfertigungsdruck auf sie aus, der sie permanent dazu zwingt über ihre selbst intimste Existenz oder gar vermeintlichen "Identität" Rechenschaft abzulegen ? Schon in die Ordnung der Dinge und durch sein Studium des Christentums und des Protestantismus kam Foucault zu dem Schluß: "Der Mensch ist ein Geständnistier". Implementieren die neuen Medien und die reflexiven Identitätspsychologien in ihnen nicht eine selbsttechnologische, protestantische Überwachungs- wie Selbstgeständnisprüfung, obwohl oft der Glauben vorherrscht alles freiwillig zu posten ?
In der Upper Middle Class bewirkt die Identitätsforschung noch einen potenzierteren Spin, der sich andersgelagert in den unteren wiederfindet. Die Befragten sollen von etwas "wahrsprechen" mit dem sie voll "identisch". Wenn sie sich dessen als unfähig erweisen, diagnostiziert die Identitätsforschung normativ einen Mangel, der sie als defizitär erscheinen lässt und einer Optimierung bedarf. Sie verlangt vom Subjekt nicht nur von seinen Defiziten wahrsprechen zu müssen, sondern von sich als Subjekt einer selbst zu formenden, performenden, effektiv funktionierenden "Identität". Diese immer mitgemeinte Funktionalität einer "Identität" wirkt nun doppelt zombiefizierend. Zum einen lässt der Geständniszwang, von sich in Form einer zu kreierenden "Identität" zu sprechen, das Subjekt im größeren Ausmaß (paranoid) versteinern. Es betritt sozusagen die erste Stufe der Zombiefizierung. Die noch größere tritt mit der Realität bzw. der Erfahrung ihrer Unbrauchbarkeit oder Überflüssigkeit am Arbeitsmarkt ein. Dann könnte eine einstmals selbst erwünschte im reflexivmodernen Sinne "erarbeitete Identität" vollends ins Untoten/Zombiestadium kippen. Kaum outriert ist es zu behaupten, dass Zombieidentitäten inzwischen die Mehrzahl der im Arbeitsmarkt integrierten, aber auch von ihm Abgelehnten stellen. Besonders die einst akademisch geistes- sozialwissenschaftlich, künstlerisch Ausgebildeten, all die Fein- und Schöngeister, könnten, wenn sie gezwungen sind ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen, eine Art traumatischen, nachhaltigen Erkenntnischoc erleiden. Vor allem falls sich herauskristallisiert, dass sich kein Ausweg aus einer anstrengenden, monotonen Arbeitsexistenz abzeichnet. Die Gesellschaft sich schon seit längerem wieder als jenes von Weber beschriebene stahlharte Gehäuse des Vorgesetztentums präsentiert. Leider hat sich noch keine Sozialwissenschaft mit Dynamik, Verlauf, dem vermutlich skurrilen, bizarren, abgründigen Afterlife und auch Destruktionsdynamik jener enttäuschten "Zombie-Identitäten" beschäftigt. Ebenfalls nicht übertrieben zu vermuten, dass sie sich ab der Mittelschicht abwärts vor allem im Niedriglohnsektor finden und im unterdurchschnittlich bezahlten der Mittelschicht. Sie stellen die Basis für reaktionäre gesellschaftliche Radikalisierungsprozesse.
Tückisch stellt sich kritisch betrachtet dar, dass eine Identität vom Begriff her und im reflexivmodernen Sinne vor allem Spaß machen und möglichst "gesund" sein sollte. Allein wer nach einer "Identität" fragt, fragt an sich nach einer sozialen Erwünschtheit/Norm. Die Identitätsforschung setzt die Menschen deshalb eigentlich unter einem Geständnisdruck, der mehr oder weniger explizit an einer starken bürgerlichen Norm ausgerichtet ist, die das Bürgertum selbst nur noch zu einem sehr geringen Prozentsatz erfüllen kann, mit allen beschriebenen und noch zu erforschenden "negativen" Konsequenzen. Sie setzt es einem Geständnisdruck/-zwang aus, der nach ihrer identitären Logik, einen eben solch starken Handlungsdruck nach sich ziehen soll. Er nötigt das Individuum mit Fragen wie, bist du überhaupt mit dir identisch ? Wenn nicht, denke über deine Identität nach! Bemühe dich um Identität ! Warum machst du etwas, was dir keinen Spaß bereitet ? Kannst du nicht etwas machen mit dem du dich wirklich identifizierst, was dich erfreut ? Und wenn nicht, warum nicht ? Offenbarend, dass die Postmoderne nur sehr bedingt das Reich der Freiheit, welches ihre Ideologen postulieren. Vielmehr sollte man im Auge behalten, gerade weil sie ideologisch als die große Freiheit konstruiert wird, inhäriert ihr eher vorbewusst ein raffinierter neoprotestantisch virulenter Selbstbekenntnis/zwang mit angeschlossener Selbstverwirklichungsnormativität, die jedoch großteils an der gesellschaftlichen Realität scheitert.
Jouissance/terreur, le visage noire du jouissance, People Broken
Freud gab der Psychoanalyse eine bescheidene Genußfähigkeit als oft nicht erreichtes Minimalziel vor. Später war er bereits zufrieden, wenn sich hartes neurotisches Elend in gewöhnliches Unglück wandelt. Bei Adorno, der viel von der Theorie, aber nichts von der gängigen Anpassungs/Praxis der bürgerlich inkorporierten Psychoanalyse hielt, schrillten alle Alarmglocken. Ihn regte schon allein der Begriff auf, "als ob nicht das bloße Wort Genussfähigkeit genügte, diese, wenn es so etwas gibt, aufs empfindlichste herabzusetzen. Als ob nicht ein Glück, das sich der Spekulation auf Glück verdankt, das Gegenteil von Glück wäre, ein weiterer Einbruch institutionell geplanter Verhaltensweisen ins immer mehr schrumpfende Bereich der Erfahrungen." Sein großes Unbehagen bestand darin, dass der Genuss, einmal vollständig in die Regie der Kulturindustrie genommen, verschwindet. Aber die 68er hatten, entgegen ihren Intentionen, daran großen Anteil.
Es stellt sich generell die Frage ob Keupp, der in den 70er Jahren mit seiner Gemeindepsychologie am selben gesellschaftlichen Aufbruch arbeitete wie Beckers Reformpädagogik, der richtige "Aufarbeiter" sein kann. Ist er die richtige Person um einen 68er Generationsgenossen zu beurteilen, zu dessen Themen und dem daraus ergebenden gesellschaftlichen Klima er selbst beigetragen hat ? Der unambitionierte Ton seiner Untersuchung beantwortet diese Frage mit Nein. Die 68er Reformpädagogik steht auch bei Keupp hoch im Kurs. Nur hätte im Fall der Odenwaldschule besser herausgearbeitet werden müssen, dass sie als Legitimation für alle möglichen Formen des übergriffigen Macht- und realen sexuellen Missbrauchs diente.
Obwohl Keupps Untersuchung der Odenwaldschule teils auf psychoanalytische Konzepte zurückgreift, analysiert sie die diagnostizierten „Ringe des Schweigens", die dem Missbrauch folgen, nicht gründlich genug.
Dabei hätte geholfen einen Blick auf Freuds eigene Entdeckung und weitere Bearbeitung des Missbrauchsthema zu werfen. Freud fand durch die Analyse der damals weit verbreiteten Hysterie heraus, dass ihr meist ein realer gewalttätiger Missbrauch von jungen oder jugendlichen Frauen respektive Kindern zugrunde liegt. (Siehe Marianne Krüll, Freud und sein Vater, Die Entstehung der Psychoanalyse..., Fischer, 1992) Jeffrey Mason rekonstruierte in seinem Buch: Was hat man dir, du armes Kind getan. (oder: was Freud nicht wahrhaben wollte, 1995, Kore), die Geschichte, die zu dem damals bahnbrechenden Vortrag und Aufsatz von 1896, Zur Ätiologie der Hysterie, führte. Der Vortrag ist ziemlich antizipierend, denn er nimmt all die Argumente und den den Widerstand vorweg, die dem Aufdecken des Missbrauchs entgegengebracht werden. Er hat sozusagen die volle Abwehr des psychiatrischen als auch gesellschaftlichen Establishment im Visier, deshalb implementiert er eine argumentative Vorwärtsverteidigung. In den Wochen danach ist in verschiedenen Briefwechseln vermerkt, wie erbärmlich, dumm und heimtückisch Freud die Abwehr des Establishments auf seinen Vortrag beurteilte. Tatsächlich nahm er schon das betretene Schweigen, mehr noch Entsetzen der Fakultätshonoratioren während seines Vortrags zur Kenntnis. Kurz danach stellte er fest, dass ihm Fakultätsmitglieder und ansonsten kollegiale Mediziner aus dem Weg gingen, kaum mehr Gespräche und Briefwechsel stattfanden. Ihm wurde geraten, wie damals üblich, die Beteiligung der Frauen an ihrer Hysterie auf Grund unerfüllten sexuellen Verlangens in Betracht zu ziehen. Freud hielt dem Druck fast ein Jahr stand, bis die Berichterstattung der Presse eskalierte. Dann musste er erkennen, dass er in eine wissenschaftliche als auch persönliche Isolation geriet, die sich zu einem irreparablen Reputationsschaden auszuwachsen drohte. Damit stand seine zukünftige Existenz als Arzt auf dem Spiel. Er sah sich gezwungen, seine “Verführungstheorie” fallen zu lassen, indem er seine Aufmerksamkeit nun auf die angebliche infantile Sexualität lenkte. Sie geriet nun verstärkt in den Fokus, das transgressive Begehren (Ödipus/Elektra/komplex) lag wieder beim Kind oder den Jugendlichen. Die missbrauchenden Erwachsenen, das Establishment konnte sich wieder beruhigt zurücklehnen, alles seinen Lauf lassend.
Wie man heute an den hohen kirchlichen Missbrauchsfällen ablesen kann, ist das Missbrauchsthema immer noch ein Versagen sowohl der Gesellschaft, vor allem aber des gesamten Establishments, das die entscheidenden privilegierten Stellen besetzt. Es lässt nämlich zu, dass es weiterhin viel Missbrauch gibt. Es handelt sich um eine Art von Staatsversagen an dem sämtliche etablierten Behörden beteiligt sind. Polizei, Justiz, Verwaltung, die Schul- und Bildungsinstitutionen, die Kitas, die Medizin, die Kirchen, ihre Institutionen und ihre Gremien, der Katholizismus, der Protestantismus, der Islam...
Das gesellschaftliche Klima und der Zeitgeist der 70er (und 80er) Jahre wird in Keupps Untersuchung nirgends thematisiert. Die vermeintliche sexuelle Befreiung der 68er, die Distanzlosigkeit der Hippies, die 68er Hippie-Lehrer/innen mit ihren Illusionen über die Welt und das Lehrer-Schüler/innen Verhältnis sind nirgends vorhanden. Ohne aber diesen 68er Zeitgeist zu beschreiben kann man keine Studie über den massenhaften sexuellen Missbrauch nicht nur an der Odenwaldschule schreiben. Die enormen blinden Flecken in Keupps Studie haben alle mit seiner Biografie und dem Selbstverständnis als 68er zu tun.
Da für die 68er in den 60/70er Jahren die angebliche sexuelle Befreiung groß auf ihren Fahnen prangte, wurde der Missbrauch von Schüler/innen respektive Studentinnen gar nicht als solcher gesehen, sondern öffentlich eine "offene Sexualität" propagiert. Frauen gehörten demnach nicht zur "sexuellen Avantgarde", eine perfide Form zusätzlich Druck auf sie auszuüben, wenn sie sich verweigerten. Der unambitionierte, schleppende Ton in Keupps Untersuchung der Odenwaldschule, ist auch der Tatsache geschuldet, dass sie jemand leitete, der gesamtgesellschaftlich betrachtet an dieser Entwicklung keinen geringen Anteil hat.
Hinter dem Jouissanceimperativ stand immer auch die Forderung des Produktiv-sein- müssens. Du musst dein Leben und folglich deine Arbeit genießen können, ein unheimlicher Anspruch. Zum einen weil die Realität eines durchschnittlichen monotonen Arbeitsplatzes null Genuss verspricht, eher das Gegenteil: Frust. Zum anderen, weil die Fährnisse und Risiken einer hedonistischen Existenz nicht auf dem Reißbrett planblar oder einzufordern. Es gleicht an eine antike, dionysische Schicksalsmacht zu appellieren, die man/frau überhaupt nicht mehr im Griff haben, geschweige denn kontrollieren kann. Ein letztlich in seiner Monstrosität zerstörerischer Anspruch. Denn "genießen war noch nie ein leichtes Spiel. Vom Genießen bekommt man oft nie genug." (KW. Wenn der Sommer nicht mehr weit ist und der Himmel ein Opal.)
[Tatsächlich war eine Multioptionsgesellschaft mit propagierter DIY-Strategie in der Breite nur für die 68er Generation möglich. Keine Generation, weder vorher noch nachher, hatte deratig viele Selbstverwirklichungs- und Jouissance-chancen. Die 68er konnten ihre "Identitäten", Jouissancen und Optionen in einem niemals zuvor und danach gekannten Ausmaß wählen und gestalten. Für sie war es sogar möglich mehrere Leben respektive Lebensprojekte in einem als Protestler/in, Rebell/in, Hippie, Öko/Kommunard/in, Feministin, Terrorexperte, Jouissance-connaisseur, Lehrer/in, Professor/in, Dozent/in, Unternehmer/in, Manager/in Forscher/in, Redakteur/in, Politiker/in, Institutionsleiter/in ua. zu führen. Dabei krempelten sie in den 70ern nicht nur den Bildungsbereich ästhetisch, stilistisch wie inhaltlich kräftig um.
(Das Beste am (metropolitanen), gymnasialen 68er Lehrer/innen Typ waren ihre mehrheitlich skurrilen, schrägen, wunderlichen Hippie/Hipster/Klamotten. Ein großer Teil (eher ♂) bestand aus den provokanten Anti-Stylisten, der Drop out/ Pseudopenner very used Jeansfraktion (bevor der Begriff hardcore Vintage überhaupt existierte). Latzhosen in allen un/möglichen Varianten. Manche muteten auch diese Alptraum Cordhosen mit ziemlich breiten Rillen zu. Ihr Motto stimmte mit dem des ehemaligen amerikanisch-irischen Psychologieprofessors (Harvard), LSD- und Meta-Mind-Transformationsforschers Timothy Leary überein: „Turn on, tune in, drop out." Der andere Teil (eher narzisstisch♀) trug ua. Pyjamas, Kimonos, Africans, Bademäntel, teils wirklich abgefahrene Eigenkreationen, die einige als verhinderte Chefcouturiers a la Alexander McQueen outeten. Es gab auch diejenigen, die sich nicht eindeutig für Pyjamas oder Bademäntel entscheiden konnten, aber nicht hinter ihren 68er Lehrerkolleg/innen zurückstecken wollten. Sie erschienen dann in Pseudopyjamas oder Pseudobademänteln, alles noch verwirrender und erratischer gestaltend. Der ganze Zauber lenkte einen als Schüler/in ab, inspirierte aber auch. Man fragte sich insgeheim, OMG, ist die Welt wirklich so wie die ? Die Auftritte boten andererseits Stoff für Jahrzehnte anhaltende Nachschuldiskussionen. So konnte bis heute nicht eindeutig geklärt werden, ob einige Outfits tatsächlich Pyjamas, billige Schlafanzüge, Bademäntel, raffinierte Eigenkreationen oder doch nur die Pseudovarianten waren. Es ist aber sofort inoffizielle Diskussion ganzer Schulklassen, in denen fast jede/r darauf fixiert ist herauszufinden, was das jetzt sein soll, oder ob die "Lehrkraft" einfach keine Zeit mehr hatte sich rechtzeitig umzuziehen ? Einige vorwitzige Schüler/innen wurden einige Tage später in ähnlich eigenwilligen Kreationen gesichtet, darauf diskutierten die Schüler/innen der gesamten Schule ewig, ob die nachgeahmten Kreationen, Bademäntel, Pyjamas, Joggingoutfits, Schlafanzüge jetzt noch besonders originell wären, oder doch nur billige, uninspirierte Imitationen. Es löste eine nachhaltige Irritation des eigenen Selbstverständnisses aus, wenn die eigene, ziemlich avancierte jugendliche Rebellion und kreative Verrücktheit praktisch von der des 68er Lehrpersonals, (das keines sein wollte), permanent überboten wurde. Man war meist damit beschäftigt ihre Bizarrerien irgendwie geistig zu verarbeiten, was damals nicht befriedigend gelang und teils lebenslänglich durch Flashbacks psychisch nachwirkte. Fast hätte man vergessen, dass es ihnen zumindest Anfangs mehrheitlich um eine andere Gesellschaft ging. Boltanski (Der neue Geist des Kapitalismus /2006) würde ihren Auftritt und Habitus als eine Form der "Künstlerkritik" an überkommenen traditionellen Verhältnissen interpretieren, was aber nur auf die 70er Jahre zutraf. Der späte Foucault allerdings hätte die 68er Performance in Blick auf die nachfolgenden, unterrichteten Generationen Boomer & XY(Z) als eine Form des Disempowerments, der Entmutigung ihres Widerstandes gegen die 68er Lehrergeneration gedeutet. Eine Art 68er Verwirrspiel, das ua. verschleiern sollte, dass die 68er auf dem Weg waren das Establishment zu bilden, alle privilegierten Stellen besetzten und eine sie schützende, undurchschaubare, opake Macht ausübten. Die krasse Opazität lag in der Verwirrung, die sie hervorriefen, indem sie sich seit 1968 bis ins hohe Alter, in absoluter narzisstischer Verblendung, weiter als Rebellen inszenierten. Obwohl sie spätestens seit Anfang der 80er de facto alle privilegierten Stellen besetzten und das Establishment stellten. Was die nachfolgenden Generationen als krasse Abstiegsgesellschaft oder frei nach Sartre als für sie ziemlich geschlossene Privilegien/Gesellschaft am eigenen Leib erfuhren.
Die zu Reflexiv/naiv/modernen mutierten Ex-68er fragten aus einer distanzierten Beobachterperspektive alle anderen wieder nach ihrer "Identität", ohne dass sie daraus Konsequenzen zogen und rieten ihnen ihr Leben zu genießen.
Was die Naivmodernen als identitäre Individualisierungsstrategie wähnen, respektive als Identität im Individuum zu installieren versuchen, entpuppte sich, gekoppelt an den Jouissanceterreur, als Versuch eines krassen, postmodernen, gouvernementalen, ökonomischen people processing. Obwohl sie vom späten Adorno eindringlich gewarnt wurden Identitätsforschungen zu betreiben, stiegen sie 20 Jahre später mit Becks Risikogesellschaft massiv in das Identitätsforschungsgeschäft ein. Adornos Negative Dialektik(1966) brachte gegen die Ideologie der Identität bzw. des Identitätsdenkens das Nichtidentische in Anschlag. Es würde die Individuen viel kreativer und handlungsfähiger gegen die herrschenden wie zukünftigen Identitätszwänge agieren lassen, die die Ex-68er nun selbst neu auflegten.
Um die Reichweite und illusionäre Dynamik des mittlerweile postmodernen Identitäts- Jouissance- Power Processing genauer zu beobachten, bedarf es einer Neuen Kritischen Theorie verbunden mit neuen Gouvernementalitätstudien. Waren schon beim Bedürfnis und der Identität vermeintliche Menschlichkeit und Repressionsdynamik kaum mehr vernünftig zu differenzieren, so bei der Jouissance überhaupt nicht mehr. Ihre Morphologie, Physiognomie und Verschlungenheit scheint eventuell genauer erst zur Hälfte oder gar Ende des 21. Jahrhundert auf.
Es handelt sich um neue gesellschaftliche, anthropomorphe Hybride/Dispositive, die zu entschlüsseln, nicht nur ob ihrer Vernetztheit, Flexibiliät, Plastizität und Liquidität, sich als ziemlich komplex präsentieren dürfte. Deren vollständige Entschlüsselung vermutlich auch nicht möglich ist. Dennoch müssten die reflexivmodernen und Leadersphip Curricula als Protagonisten dieser Phänomene beobachtet werden, als Vorboten von neuen Formen des People Broking. Das Menschen wie Aktien hinsichtlich ihrer Potentiale beurteilt, analysiert ob sie genußfähig, konsumorientiert, multipel intelligent, sozial kompetent, leistungs-, lernfähig, kreativ, produktiv, stabil, gesund sind. Wonach sich ihr Kurswert richtet, aufaddiert werden Diplome. Es wird durch Big Data deren Kursdynamik ermittelt , dh. gefragt wird nach ihrer Verwertbarkeit oder ob sie dem Staat nur Geld kosten. (Evtl. wird man Wetten auf ihre Entwicklung abschließen können.) Den Stock Brokern und ihren Big Data Minern/Analysten/Verwertern gleich, könnten sich Studiengänge entwickeln, die ein neues transhumanes Big Data People Broking anbieten. People Broker könnte ähnlich selbstverständlich wie Stock Broker oder Data Miner werden.
Die meisten an Selbsthilfe orientierten Gruppen praktizieren einen persönlichen, individuell-kurativen, prophylaktischen Ansatz. Sobald sie jedoch dazu übergehen ihren Mitgliedern eindimensional die Frage nach ihrer Identität zu stellen, mutieren sie heute schon zu Agenten eines toughen People Broking, gekoppelt an eine hardcore Gouvernementalität. Was für sie durchaus gesundheitsgefährdend sein kann.
Die reflexivmoderne Frage nach der Identität impliziert, dass komplett übergriffig ein angeblich absolutes Wissen über eine Psyche produziert werden könnte. Dass ein Subjekt vermittels der "reflexiven Erforschung" "seiner Patchwork/Identität" komplett transparent zu durchschauen oder zu definieren wäre. Diese Orwellsche Vision, die auf einer Allmachtsphantasie basiert, wird jedoch der dynamischen, nicht positivistisch erforschbaren, psychoanalytischen Komplexität, der unmöglichen vollständigen Operationalisierbarkeit, als auch der Immaterialität wie der Unfassbarkeit der Psyche überhaupt nicht gerecht. Sie zwingt ihr etwas auf, das ihre Immaterialität, Plastizität, Geschmeidigkeit, Sensibilität, ihr Unbewusstes und unberechenbare (traumatische) Wandelbarkeit verdrängt. Die Frage nach Identität basiert auf einem ziemlich antiquierten protestantischen Verständnis der Psyche. Die Psyche vollbringt jedoch permanent krasse, nicht positivistisch erforschbare, unberechenbare Transformationen: Von Bewusstem ins Unbewusste, von Individuellem ins Soziale, von der Psyche auf die Ökologie und die Genetik und vice versa, die Reihe ist fortsetzbar... . Die Frage nach ihrer Identität jedoch beschränkt zudem die Fähigkeit massiv soziale Beziehungen, Interaktionen, Begegnungen einzugehen oder zu erfahren. Ganz zu schweigen von der Möglichkeit in Kollektiven zu leben.
Das Skandalöse besteht vor allem darin, dass Sozialwissenschaftler die aus absolut gesicherten, privilegiertesten 68er Professor Lebenszeitstellen oder Assistenten mit guten Pensionen, Personen befrag(t)en, deren Lebenswelt sich in der liquid modernity vor allem durch eine forcierte Unsicherheit, wie materiellen als auch universellen Ungleichheit auszeichnet. Die Befragten müssen permanent in Verunsicherungen und Deklassierungen leben, die ihnen die Frage nach einer Identität per se als absurd erscheinen lassen muss. Wenn sie nicht sofort aufgrund ihrer Lebensverhältnisse diese schräge Frage zurückweisen, zwingen die Reflexivmodernen sie praktisch über einen krassen Fakepopanz nachzudenken, was sie weiter verunsichert. Denn ihre Lebensrealität/Lebenswelt hat/te im Gegensatz zu der der arrivierten Akademiker-68er nicht im Entferntesten etwas damit zu tun, was sie über eine "Identität", die es sowieso nicht gibt, reflektieren lassen könnte. Hier potenzier(t)en sich die dreisten Unmöglichkeiten.
Obwohl Keupp 2013 im vermeintlich besten protestantischen Sinne aufrief "heraus aus der Ohnmachtsfalle" zukommen, entwickelten er und seine Helfer vermittels seiner reflexiven Sozialpsychologie und Identitätsforschung die gouvernementalen Instrumente, die uns als kollektiv politische Subjekte ohnmächtig machten. Die Inhalte von Selbsthilfegruppe wären um eine kollektive Politisierung und Sozialpolitik zu ersetzen. Nicht nur als gesundheitspolitische Alternative sondern weil sie den Blick auf den Horizont und die Möglichkeit einer umfassenden gesellschaftlichen Kommunität, die in letzter Zeit Zizek, Badiou und noch ein paar andere französische Philosophen fordern, freigeben.
Wie eine gesundheitspolitisch Perspektive sich gestaltet, der ihre utopischen kollektiven Energien nicht abhanden kamen. Aus diesem Quell schöpften, dem das Kollektiv, die Kommune, (Kampf-) Mittel und Selbstzweck, hätten die Reflexivmodernen nicht nur an der Pariser Kommune72c, oder dem Monte Verita sondern vor allem am Sozialistischen Patienten Kollektiv studieren können. Als das deprimierendste blitzt auf, dass Keupp einst ein profunder Kenner und Beobachter dessen Geschichte und Theorie war. In seinem 1978 erschienen Suhrkampband „die gesellschaftliche Organisierung psychischen Leidens”73, in der er die Gemeindepsychologie als Widerstandsanalyse des professionellen Selbstverständnisses entwarf, geht er noch ziemlich kritisch mit den professionellen Anbietern psychotherapeutischer Dienstleistungen respektive psychosozialer Dienste um. Sie stülpen ihre eigene Problemdefinition der des Klienten über, werden damit den prekarisierten Klienten nicht gerecht, wenn überhaupt erreicht. Bevor ein Klient eine psychososoziale Beratungsstelle aufsuche greifen institutionsspezifische Filter, die nur eine Minderheit kompatibel erscheinen lässt. Nämlich die die ihr Problem schon schichtspezifisch, psychosozial bzw. psychologisch bearbeitbar präsentierten und dabei handelt es sich meist um Mittelschichtklientel. In seiner frühen Vision von Gemeindepsychologie ging es viel um die Bedürfnisse der “Unterschicht” und „wie man an sie herankommt.”
Bei mir löste seine Abwehr auch Entsetzten aus, denn sie zeigte, wie weit nicht nur die persönliche Befangenheit der Ex-68 ging, sondern auch wie tough sie von verwaltungstechnischen, pseudowissenschaftlichen Zwängen bestimmt, die keine kritische Kritik mehr zuließen. Alles Topoi, die sie als frühe 68er bei "ihren Ordinarien" selbst klar sahen, vehement thematisierten, als auch dagegen Sturm liefen.
Genuine Aufgabe der Universität wäre, Aufklärung zu fördern, die gegen den aufkeimenden Nationalismus Stellung bezieht. Seine autoritären, selbstdestruktiven Tendenzen fokussiert, beleuchtet wie er die enttäuschten, marginalisierten Subjekte in seinem Bann schlägt und ihre Leidenschaften affiziert. All dies verhinderten aber 2002 Ex-68er und zeigte ihre mittlerweile eigene Verstrickung an. Gerade als Außenstehender, Betroffener sieht man diese Situation besonders klar und ist umso mehr schockiert, ob ihrer krassen Unabwendbarkeit. Bei Leibe kein Einzelfall, er zeigt schlaglichtartig die letztlich für sie selbst ruinöse Wissensblockade 75a der deutschen Universität. Forschende könnten ziemlich austicken, wenn sie beobachten wie viel Gelder für positivistische Forschung, bei der eigentlich schon im Voraus klar, was hinten rauskommt, bereitgestellt werden. Oft können gar nicht so viele positivistische Forschungsanträge gestellt werden, wie Gelder vorhanden. Dazu bedarf es noch der üblich verdächtigen "renommierten" Gutachter respektive Antragsteller und schon ist der Kuchen gebacken. Man/Frau sollte allerdings nicht auf unbekannte Gutachter setzen, um sein/ihr Projekt nicht zu gefährden. Zudem sollten nicht allzu kritische Fragen gestellt werden. Die deutsche Universität kann, getrieben durch ihre positivistischen Exzellenzinitiativen, kaum mehr antithetische, kritische Forschungen oder Theorien zulassen. Genau davon lebt/e aber die Evolution der Wissenschaften ganz besonders. These und Antithese, die sich seit der antiken griechischen Philosophie, radikalisiert durch Hegel, gegenseitig dialektisch antreiben, definierte den wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt bis ins 20 Jahrhundert, von Horkheimer/ Adorno einen dynamisierten zeitgenössischen "Megaupload" erfahrend. Wenn die zuständigen Wissenschaftsgremien meinen, heute nur mehr den Positivismus fördern zu können, dann schalten sie die Erkenntnisdynamik der Wissensevolution generell ab. Die deutschen Unis krebsen ob des Verlusts an dialektischem Denken, den ausgerechnet arrivierte 68er vollstreckten, schon länger im internationalen Vergleich im hinteren Mittelfeld.76. Durch die krasse Exklusion der Negation, der kritischen Kritik, setzen sie alles dran sich selbst möglichst weit abzuhängen, chapeau, chapeau. Exzellent ist nur mehr die Beschneidung, die Kastration von kreativen Denkansätzen.
Am absurdesten präsentiert sich, dass er in dem schon enorm widersprüchlichen Zugänge zum Subjekt78 (1993, Suhrkamp) ua. vermeintlich für eine „Wiedergewinnung von kritischer Reflexivität“ eintritt, sich nicht scheut Adorno zu zitieren, indem er scheinbar „für eine Dekonstruktion von Identitätskonstruktionen“ plädiert, um nebenbei in anderen Publikationen seit 1988 respektive (1999-2008) in „Identitätskonstruktionen79, das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne“, genau das Gegenteil zu betreiben. Wer soll das noch ernst nehmen ???? Das argumentative Chaos in diesen Texten ist durch die Problematik verursacht, dass sich neoliberale, protestantische "Identitätspsychologie" nicht mit einer kritischen Reflexivität und schon gar nicht mit einer kritischen Kritik vereinbaren lässt. Abgesehen davon, dass der Titel Patchwork der Identitäten den reinsten Euphemismus transportiert. Denn wenn man die Logik der "Identität/en" genau fokussiert und durchdenkt, dispatchen (abfertigen, absenden, Raketen ins All schießen) und atomisieren sie sich aufgrund ihrer extremen Selbstbezogenheit vielmehr, als das sie patchworken. Viel realitätsgerechter müsste der Titel das Dispatchwork der Identitäten in der Postmoderne heißen, dies wäre zudem ein angemessenes kritisches Forschungsprogramm für die Postpostmodernen.
Keupp listete 1978 die Gefahren des therapeutischen Staats auf, die in einer Präventionsorientierung der Gemeindepsychologie liegen. Nur um von 2004-2023 eine krasse Form von Gesundheitspsychologie zu betreiben, die nur positivistisch präventionsorientiert funktioniert. Die wissenschaftliche Präventionsorientierung sitzt selbst einer Art technizistischem Fortschritts-/Machbarkeitsglauben auf, vor dessen ihm inhärenten Wende in die technizistische Allmachtsphantasie er damals explizit warnte.
Als Kultusminister Hahn (CDU) ein neues Hochschulgesetz einführen wollte, kandidierte Huber, inzwischen 2. Poliklinikleiter in der Psychiatrie, auf „Liste Demos” mit den Stimmen von 90 Kollegen dagegen. Er hatte die Poliklinik längst zur Bevölkerung hin geöffnet – und die Patienten immer wieder mit folgender Ansage zum denken und handeln angeregt: Diskutiert, reflektiert, streitet, aber auch „Vertragt und unterstützt Euch untereinander, vor allem draußen. Wenn es sein muss, auch gegen mich und die anderen Ärzte."81- und „die Studierenden unter den Patienten, zahlenmäßig eine Minderheit, waren einbezogen in diese Dynamik aus Dialogik -> Dialektik -> Kollektivität, noch längst nicht Agitation, aber schon therapiewidrig - !!"82
Wenn man die Flugblätter und Verlautbarungen des SPK liest, könnte man meinen, dass der Krankheitsbegriff des SPKs nicht weit von gnostischen Vorstellung entfernt sei, nach denen das Leben per se eine einzige Krankheit83, ohne die dazugehörige Metaphysik. Aber Krankheit deutete das SPK, im Gegensatz zu den Gnostikern, konsequent gesellschaftlich bedingt. Die krankmachenden Strukturen bedürfen der Umwälzung: „Im Sinne der Kranken kann es nur eine zweckmäßige bzw. kausale Bekämpfung ihrer Krankheit geben, nämlich die Abschaffung der krankmachenden privatwirtschaftlichen-patriarchalischen Gesellschaft.”84
Die Chronisten des SPK waren der Meinung:
Der Rektor Rolf Rentdorf trifft im frühen Januar 1970 den Patienten gegenüber (s.o.: Meinungsumfrage, Feldforschung) eine interessante Aussage: ,,Er sei im Blick auf die drohende Katastrophe weder zuständig noch kompetent." Es ist eine Aussage die typisch ist für Funktionsträger in hierarchischen Systemen. Bei größeren Problemen versuchen sich die verschiedenen Instanzen die Schuld gegenseitig zuzuschieben oder erklären sich für nicht zuständig. Wenn offen thematisiert wird, dass die meisten Probleme der Patienten durch die individualatomisierenden Hierarchien in der Gesellschaft, Krankenhäusern bzw. Psychiatrien mitverursacht sind und versuchen sie abzuschaffen, prallen sie meist an der Hierarchie ab. Das SPK hingegen fokussierte die Hierarchie als einen großen Krankheitsverursacher und wollte sie abschaffen. Da ist es nicht verwunderlich, dass sich Rentdorf als übliches hierarchisches Mittel seinerseits als nicht zuständig erklärte, anstatt auf die Forderungen des SPKs einzugehen oder zu versuchen mit dem SPK die Hierarchie und damit sich selbst zu verändern, d.h. ua. zu enthierarchisieren.
Das SPK zog nun Anfang März in die erkämpften Räume an der Universität in der Rohrbachstraße.
24.03.70
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Go-In von 30 SPK-Patienten von insgesamt ca. 500 beim Rektor der Universität gegen die Rezepturblockade, verfügt durch die Medizinische Gesamtfakultät.
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25.03.70
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Besetzung des Dienstzimmers von Prof. von BAEYER. Die Patienten fordern Blankorezepte. Klinikchef von Baeyer läßt statt einer Antwort die von ihm bereitgestellte Polizei auf diese Patienten los. Personalienfeststellung und Hausverbot.
Zuvor (alles im März) hatten Universität und Klinikverwaltung gezielt für sämtliche SPK-Räume tagelang Strom und Telefon abstellen lassen und durch Begehung der SPK-Räume während der Mittagszeit und mit Nachschlüsseln mehreren Chefsekretärinnen die SPK-Räume zum nächsten Ersten (April 1970!) feilgeboten ("Die und der Plunder [Patienten] sind bald rausgeräumt, dann kann sofort neu eingerichtet werden."). Da haben wir nichts draus werden lassen.
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03.06.70
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Das sogenannte Studentenparlament faßt einen Ablehnungsbescheid gegen das SPK. Es will statt des SPK(H) eine "psychotherapeutische Beratungsstelle" an der Universität Heidelberg.
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Erstes.PATIENTEN-INFO:
Das SPK(H) nimmt gegen das Verbot des SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund) Stellung und macht seine eigene Position kenntlich: "Verscharren wir ein für alle Mal die läppische Hoffnung auf Gesundheit! ...Es darf keine therapeutische Tat geben, die nicht zuvor klar und eindeutig als revolutionäre Tat ausgewiesen worden ist." |
6.-10.7.70
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Besetzung des Rektorats der Universität durch das SPK(H).
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09.07.70
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Beschluß des Verwaltungsrats der Universität, das SPK(H) an der Universität zu institutionalisieren.
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Juli '70
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Die Medizinische Fakultät versucht, den rechtmäßigen Beschluß zu Fall zu bringen. Unter anderem Prof. HÄFNER: Im SPK(H) stecke "mehr Sektierer- oder mittelalterliche Kreuzzugsmentalität als moderne Psychiatrie". Resultat der Hetze der Medizinischen Gesamtfakultät: der Kultusminister von Baden-Württemberg Prof. Wilhelm HAHN verkündet: Der Vertrag zwischen Universität und SPK sei "in höchstem Maße rechtswidrig".
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Juli '70
bis
Okt. '70
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Die drei von der Universität angeforderten Gutachten befürworten die Institutionalisierung des SPK(H) als autonome Universitätseinrichtung:
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20.07.70
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Wissenschaftliche Selbstdarstellung des SPK(H)
(angefordert vom Verwaltungsrat der Universität). |
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Die Medizinische Fakultät fordert am 1.9.70 bei Kollegen Ablehnungs-Stellungnahmen gegen das SPK(H) an.
Die Ärztekollegen geben erwartungsgemäß diese Gefälligkeitsgutachten ab:
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18.09.70
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Erlaß des Kultusministers, Prof. Wilhelm Hahn, das SPK zu liquidieren.
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30.09.70
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Drohender Polizeiüberfall. Präventive Gegenschläge vorbereitet und z.T. durchgeführt.
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04.11.70
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Erstes, einstweilig vollstreckbares Räumungsurteil gegen das SPK.
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07.11.70
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Rundfunkinterview mit 5 vom SPK(H).
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09.11.70
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Da das Räumungsverfahren formal allein gegen Dr. HUBER gerichtet war, verläßt Dr. HUBER mit Zustimmung der Patienten die Räume des SPK.
4 vom SPK suchen am gleichen Tag um 17 Uhr Kultus-Minister HAHN in seiner Sprechstunde auf, um die Rücknahme des Erlasses vom 18.9.70 zu fordern. HAHN bezeichnet das SPK als "Wildwuchs, der nicht länger geduldet werden kann und schleunigst beseitigt werden muß".
Am Abend desselben Tages sucht Rektor RENDTORFF das SPK auf.
Der Rektor willigt vor Zeugen schriftlich in die Minimalbedingungen des SPK zur Fortführung des SPK(H) an der Universität ein: wieder ein Vertrag, den er, wie alle anderen vorherigen, gleich wieder gebrochen hat. |
16.11.70
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Antrag des SPK auf einstweilige Verfügung gegen die Pogromhetze des Kultus-Ministers HAHN und Klage des SPK(H) gegen das Kultusministerium.
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19.11.70
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Teach-In des SPK(H) im überfüllten Hörsaal 13 der Universität (1200 Personen).
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23.11.70
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Dr. HUBER kommt, durch Beschluß des SPK gerufen, wieder in die Räume der Rohrbacherstraße.
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24.11.70
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Geheime-Senatssitzung
Antrag der medizinischen Fakultät auf Abtrennung des SPK(H) von der Universität. Beschluß des Senats, "daß das SPK keine Einrichtung in und an der Universität werden kann." |
09.12.70
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Räumungsurteil gegen das SPK
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PATIENTEN-INFO Nr. 35-36
... Selbstmord = Mord / Aushungerung = Mord Zu dem von der Presse so genannten "Selbst"mord einer SPK(H)-Patientin am 8.4.71. | |
06./18.5.71
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Berlin für SPK, Heidelberg (Philosophie-Professor Theunissen "Gnadentod unter Wissenschaft!") gegen SPK.
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13.05.71
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Die Berufung des SPK(H) gegen das Räumungsurteil wird durch das Landgericht Heidelberg abgewiesen.
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12.-13.6.71
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SPK(H) präsent an der Univ. Berlin (Wochenend-Agitationsveranstaltung)
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18.-20.6.71
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Aktion des SPK auf einer Arbeitstagung der Evangelischen Akademie in Arnoldshain:
Die Tagungsteilnehmer verabschieden eine Resolution für die Fortsetzung des SPK(H). Hunderte evangelische Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmer, angereist aus Europa und dem sogenannten Ostblock, haben zugunsten des SPK damals nicht nur gegen die iatro-kapitalistische Ärzteklasse gestimmt und unterschrieben, sondern den Kollaborateuren der patientenfeindlichen Ärzteklasse, den Herren Kultusminister Hahn und Universitätsrektor Rendtorff, beide evangelische Theologen und somit ihre Glaubensbrüder, eine scharfe Absage erteilt. Einige der Teilnehmer sind nach der Tagung sogar zum SPK übergetreten und dortgeblieben. Sektenmobilität, gibt es das? |
24.06.71
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Unter einem Vorwand wird die Wohnung von Dr. HUBER durchsucht. Während einer Razzia am 25./26.6. 71 werden acht vom SPK festgenommen. Dr. Wolfgang HUBER und 2 weitere SPK(H)-Zugehörige bleiben widerrechtlich eingesperrt. HUBER schon tags darauf bedingungslos aus dem Gefängnis entlassen. Die anderen beiden werden (erfolglos!) erpreßt, gegen ihn auszusagen.
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26/28.6.71
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Zwei Agitationsveranstaltungen des SPK(H) und jeweils darauffolgend Agitation und Sprechchöre vor dem Gefängnis. HUBER mitanwesend. Flugblatt AUS DER KRANKHEIT EINE WAFFE MACHEN.
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27.06.71
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Presse-Erklärung des Rechtsanwalts von Dr. HUBER. Am gleichen Tag im TAGEBLATT: "... Bundesanwalt bestritt gestern, daß sich Kontakte zur Baader-Meinhof-Gruppe ergeben hätten."
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30.06.71
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PATIENTEN-INFO Nr. 47 - GORILLAS IN HEIDELBERG
"... fordern wir 500 Waffenscheine für Patienten, damit sie ihr oftmals gefordertes Recht auf Selbstverteidigung gegen den losgebrochenen maßlosen Polizeiterror durch diese Mittel unterstreichen können." |
02.07.71
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Patienten-Info aktuell - AN DIE BEVÖLKERUNG
Über die gewaltsame Beendigung der Agitation vor dem Faulen Pelz (Gefängnis) durch Polizeiknüppel am 1.7.71. TAGEBLATT: Das SPK hat Strafanzeige gegen den Chefredakteur der RNZ-Lokalzeitung wegen Volksverhetzung (§ 130 StGB) gestell |
05.07.71
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12.07.71
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13.07.71
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Selbstauflösung des SPK(H) zum Schutz der Patienten (Strategischer Rückzug).
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16.07.71
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Gründung des Informationszentrum Rote Volksuniversität - IZRU.
Entwurf und Organisation: Huber WD. |
19.-20.7.71
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Haftbefehle gegen 11 SPK(H)-Patienten, Hausdurchsuchungen und Verhaftungen.
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Beginn des Prozesses gegen Dres. Wolfgang und Ursel HUBER u.a.
Teach-In zu den SPK(H)-Prozessen unter anderem mit Prof. BRÜCKNER. | |
Nov. '72
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Enquête europäischer Patienten auf einer vom IZRU organisierten Zusammenkunft in Heidelberg der Internationalen Informationsgruppe der Gegenermittlungen zum SPK(H)-Prozeß, befürwortet unter anderen von J.-P. Sartre.
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19.12.72
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Dr. Wolfgang HUBER und Dr. Ursel HUBER werden zu je 4 1/2 Jahren Gefängnis verurteilt. Dies war nicht das einzige Urteil gegen SPK(H)-Zugehörige: SPK/PF(H): "Staat und Regierung haben in zahlreichen Gerichtsbeschlüssen und Urteilsbegründungen insbesondere unseren Befund, daß Revolution Therapie ist und Therapie Revolution und nichts anderes sein darf, mit insgesamt mehr als 22 Jahren Gefängnis honoriert".
Das SPK selbst ist nie verurteilt, geschweige denn verboten worden
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1973
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6.11.75
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Beginn des bedingungslosen und unbefristeten Hungerstreik von Dr. Wolfgang HUBER und Dr. Ursel HUBER, beide noch im Gefängnis. Nicht für Freilassung, sondern zwecks Konfrontation gegen die Ärzte und deren Verantwortung für Gefängnis und Folter.
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12.11.75
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Beginn der Zwangsernährungsfolter gegen Dr. HUBER:
82 mal in 71 Tagen. Bald auch gegen Dr.med. Ursel HUBER. |
25-28.11.75
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13.12.75
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Presseerklärung, unterschrieben u.a. von Jean-Paul SARTRE, Simone DE BEAUVOIR, Maître DE FELICE, Mouvement d'action judiciaire, Robert CASTEL, Félix GUATTARI, David COOPER, Franco BASAGLIA, Mony ELKAIM, Roger GENTIS, Jean-Claude POLACK, Michel FOUCAULT und 74 Unterschriften von Mitgliedern des RESEAU INTERNATIONAL.
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221.1.76
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Entlassung von Dres. Wolfgang und Ursel HUBER. Geblieben ist lebenslanger Approbationsentzug. Dies nicht zuletzt deshalb, weil Dres. Wolfgang und Ursel HUBER durch das SPK(H) und die PATIENTEN-FRONT den Ärzten in theoretischer wie in praktischer Hinsicht die Existenzberechtigung entzogen haben und sich nach wie vor weigern, mit Ärzten wie den Auschwitz-MENGELEs und T4-Patienten-Euthanasie-HEYDEs auch nur die Approbation gemeinsam zu haben.
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NKT oder Freiheit für wen ?
Stattdessen bringen sie fast zeitgleich im selben Atemzug ihre neuesten Ideologeme mit dem ältesten Gassenhauer der Bourgeoisie und des Bürgertums an die Frau, den Mann. Sie lauten „Freiheit und Selbstbestimmung.“93 Wir vernehmen, dass für ein selbstbestimmtes Leben der „Eigensinn“ zentral sein soll, „im Eigensinn erfahre ich mich und zeige mich in meiner Unverwechselbarkeit,“94 fraglich bleibt nur, wer sich hier erfährt. Es wird so getan als ob es ein Bedürfnis von jedermann/frau sei und vor allem von Jugendlichen unverwechselbar zu sein. Irrtum!! Schon länger nicht mehr, eher ist das Gegenteil en vogue, die Suche nach Gemeinsamkeiten, die Problematisierung der Individualisierung und des Eigensinns als seltsamer Abhub des Systems der Zwangs-pseudoindividualisierung. Adorno konnte noch die Idiosynkrasie als interessanten psychoanalytischen Mechanismus thematisieren. Im postmoderne System der Zwangs-pseudoindividualisierung, das die Reflexivmodernen miterrichteten, fordern sie, entgegen der Wünsche eines Großteils der Jugendlichen, weiterhin einen verstärkten Eigensinn, der aktuell im Individuum zu überdrehen beginnt. Dh. dass die forcierte "Vereinzelung des Einzelnen" jetzt eine kaum mehr verstehbare, geschweige denn nachvollziehbare, Pseudo-Unverwechselbarkeit hervorbringt, die, ob dieser überdrehten Forcierung, jetzt oft genug in die Seltsamkeit, die Strangeness kippt.
Für Keupp, der alles durch seine rosarote Friede-Freude-Eierkuchen-Brille sah, war es schon komplett schleierhaft, dass jemand aus meiner Generation eine Dialektik der Digitalisierung, justiert auf die postmoderne Tekknisierung/ Algorithmisierung/ Big Data zu schreiben beabsichtigte. Die Aspekte einer bis heute noch nicht voll abzusehenden liquiden orwellschen digitalen Totalüberwachung avisierend. Obwohl der größte Teil meiner Generation als auch alle nachfolgenden davon betroffen wie vollends darauf hinaus laufend. Am Anfang hoffte ich noch auf eine produktive, spannende, inhaltsreiche Diskussion, die sich allerdings schnell verfüchtigte. Ich konnte ihm nicht vermitteln, dass eine dialektische Theorie sich auch kritisch mit einer empirischen Methodik auseinandersetzt und sie diese nicht vernachlässigt, obwohl die sozialwissenschaftlichen 68er in ihrer akademischen Sozialisation diese Problematik exzessiv wälzten. Im Gegenteil vertrat die Kritische Theorie sehr wohl anspruchsvolle, differenzierte methodischen Konzepte, die sich allerdings vom positivistischen Mainstream unterschieden als auch teils qualitativ angelegt waren, derart die vollendete Machtimprägnierung und die krasse Anpassungsdynamik seiner Wissensproduktion gerade in den Sozialwissenschaften fokussierend. Vor meiner Diss keimte noch die Hoffnung, dass eine gewisse kritische Wissensproduktion, Interpretation und Perspektive selbstbefreien, vielleicht sogar "erlösen" könnte. Nach dieser Form von zunehmend scheiternder Kommunikation war sie beschädigt, gepaart mit sich verstärkender Rechthaberei, hinter der eine große Befangenheit stand. Sie fungierten als Abwehr der möglichen Wiederkehr des Verdrängten. Denn zu diesem Zeitpunkt war die Kritische Theorie in der Psyche des Ex-68er Keupp zu einem unknown known (Zizek), unbewusstem Wissen herabgesunken, im Unbewußtem der akademischen, arrivierten Ex-68er als Fremdkörper umherwandelnd. Von Außen angesprochen oder angeregt, versucht ihre Kognition erst einmal alles um ihn nicht bewusst werden zu lassen und provoziert eine starke Abwehr. Im Nachhinein entpuppte sich die Keuppsche Abwehr als Versuch einer kritischen Subjektivitätsauslöschung. Meine Skepsis gegenüber der Produktion positivistischem akademischem Wissens mutierte solchermaßen in eine forcierte Kritik. Seine Abwehr verdeutlichte, dass die Akademien krasse Normen- bzw. Machtsysteme, besonders auch Biomächte verkörpern, die buchstäblich ihre Mitglieder Student/innen, befristete Lehrkörper, Forscher in prekären Beschäftigungsverhältnissen "leben machen, genauso wie sterben lassen" können. Bildung ist hier kaum Selbstzweck, Anregung zum selbst- und weiterdenken, kaum Sprungbrett zu neuen unbekannten Ufern, sondern Mittel für Selektion, Allokation und Anpassung. Positivistische empirische Wissenschaft wird gefördert, kritische, empiriokritizistische und negativ dialektische blockiert, verhindert, nicht unterstützt.
Die Befangenheit und Blockade Keupps gegenüber einer kritischen Wissenschaft bzw. einer NKT, als auch seine Identitätsforschung ließen mich nach der Promotion den Entschluss fassen eine Dialektik der 68er zu verfassen, die im Ansatz in verschiedenen Artikeln im www.Kritiknetz.de veröffentlicht ist. Für mich liegt auf der Hand, dass der aktuelle Zustand der Mainstreamwissenschaften als auch die aktuelle Kulturpolitik mit ihren Rechtstendenzen definitiv mit der Dialektik der 68er verbunden ist. Meine Erfahrungen dieses Thema als ein Forschungsprojekt oder in Form einer Professur gründlicher zu erforschen sind allerdings ziemlich negativ. Obwohl es die kulturpolitische als auch wissenschaftsparadigmatische Wende der 68er von einer kritischen Aufklärungswissenschaft zu einer bürgerlichen Mainstreamwissenschaft fokussiert, war kein 68er Prof bereit dieses Thema zu befürworten. Hier scheint ein Corpsgeist zu herrschen, der über das wichtigste Wissenschafts- und Kulturthema der Postmoderne ein krasses Tabu bis heute breitet. Selbst Professoren die nicht der 68er Generation angehören, sondern der Nachfolge-X bzw. neueren Generation Y, waren bisher nicht bereit dieses Thema auf die Forschungsagenda zu nehmen. Bei den 68er Professoren könnte man verstehen, dass sie praktisch nicht mehr gegen ihre Establishmentwissenschaft denken wollten bzw. konnten. Die nachfolgenden Professorengenerationen könnte eigentlich freier im Denken sein, möchte man meinen. Sie sind es aber bisher nicht aufgrund ihrer Mainstreamfixierung, auch weil sie von 68er Professoren berufen wurden, zu denen sie nun eine gewisse Loyalität empfinden. Das Problem ist, dass dadurch die bedeutendste kultur- und wissenschaftstheoretische Regressionsdynamik der aktuellen Postmoderne, nämlich die Dialektik der 68er, nicht erforscht werden kann. Dadurch wird die Wissenschaft und die Kulturtheorie ihrer Aufgabe nicht gerecht.
Meine Erfahrung ist, im selben Maße wie die alten Ordinarien die frühen 68er vehement abwehrten, weil sie ihren geschichtlichen "Muff von 1000 Jahren unter den Talaren" thematisierten, so wehrten die 68er als Profs nun all jene in den Nachfolgegenerationen XY ab, die es wagten das 68er Narrativmonopol über ihre Geschichte zu hinterfragen. Oder diejenigen, die versuchten eine alternative respektive kritische Perspektive auf das 68er Rebellionsnarrativ aufgrund eigenen Erfahrungen mit ihnen zu entwerfen. Es war schon verwunderlich, dass die 68er Profs keine solch andere Interpretation auf sich als Diplom- oder Forschungsarbeiten zuließen. Obwohl oder gerade weil sie als arrivierte 68er nun zum Establishment gehörten und seit Becks Individualisierungstheorie und Keupps Identitätsforschung Herrschafts- und Anpassungsdiskurse am laufenden Band produzierten. Die, die als frühe 68er alle anderen vehement kritisierten, konnten als arrivierte plötzlich keine Kritik mehr aus den Nachfolgegenerationen ertragen. Schon gar keine kritische Perspektive in Form von Forschungen, die diesen Zusammenhang thematisierten. Wer ihrem Interpretationsmonopol aus den Nachfolgegenerationen XY eine andere Perspektive entgegenhielt, fiel in Ungnade. Obwohl ca. die Hälfte der Generation-X Student/innen die Identitätsforschung zumindest fragwürdig hielten, wurden diejenigen, die sie offen kritisierten, arg geschnitten. Dh. ihnen wurde von den 68er Profs die Kommunikation verweigert, sie wurden totgeschwiegen, uns gegenüber waren sie beleidigt in alle Ewigkeit. Denn es lag auf der Hand, dass ihre Geschichte nach 1986 nur als die Dialektik der 68er angemessen zu beschreiben war. Diese Sicht war jedoch schon ab Mitte der 80er ihr vorbewusster Alptraum und musste deshalb abgewehrt werden.
Schmerzhaft bewahrheitete sich einmal mehr die Kuhnsche Wissenschaftstheorie, wonach sich neue Paradigmen, wenn überhaupt, erst durchsetzen, wenn eine Professorengeneration emeretiert an Einfluss verliert, d.h. erst mit einer Verspätung von 15-25 Jahren, oder aber bezogen auf Deutschland evtl. überhaupt nicht. Das erklärt die Provinzialität der BRD im Wissenschaftssektor mit ihren im internationalen Vergleich nur wenigen Professuren, die sich immer nachhaltiger auf den sogenannten Mainstream versteifen.
Nur auf die Identitäts-Befragungsmethodik zu beharren, die auch noch die falschen krassen ideologischen Verhörfragen stellte, erschien mir nicht nur als ein Instrument jener verknöcherten, akademischen Macht sondern auch als Abwehr sich inhaltlich mit der Dialektik der postmodernen Modernisierung respektive der Tekkno-Digitalisierung als auch mit der Generationenproblematik auseinanderzusetzen. Als Reflexiv/naiv/moderne versuchten sie eine Methodik durchzusetzen, die schon vermittels der Identitätsfrage einen problematischen Zugang zu den untersuchten Generationen eröffnet. Gerade weil Keupp auch vor einigen Jahren die Kinder- und Jugendsurveys der Bundesregierung betreute, ist kaum vorstellbar, dass diese Generationen mit Identitäts- Fragestellungen überhaupt etwas anfangen können, ohne sofort die Krise zu bekommen. Mindestens ebenso absurd mutet es an die Identitätsfragen Migranten in staatlichen Heimen und Unterkünften zu stellen, deren Aufenthaltstitel oft auf Duldungen oder ähnlich prekäre Stati hinauslaufen. Wie würden sie diese Fragereien empfinden ?
Seiner eigenen Methodik aufsitzend, spricht eher der Eigensinn Keupps aus ihr, der seine Individualprojektionen nach außen wirft. Abgesehen davon, dass der Eigensinn auf eine gewisse problematische frühkindliche Entwicklungsphase schließen lässt, oder andere missliche Kalamitäten, soll er für den Reflexivmodernen eine gesteigerte Individualität garantieren. Hartnäckig, entsprechend einer Neurose oder Schuppenflechte, die auch nach jahrelanger Behandlung keine Besserung zeigt. Von seinem Erfinder als das ganz eigen Eigene eingeführt, verselbständigte sich dieses einstige Ideal und wird inzwischen als Anspruchsdruck die eigene Subjektivität unbedingt (zwanghaft ?) zu formen erlebt.95 Heute ist er zu einer System-Norm geronnen als auch zu einem ausdifferenzierten Normensystem auf das die Versingleten psychosomatisch reagieren. Auch hier wäre ihm mit einem antiquierten Apercu Goethes, vor allem dem zweiten Teil, zu begegnen: Kultiviere die Eigenschaften, nicht die Eigenheit.
Die Reflexivmodernen postulieren gerne "Freiheit und Selbstbestimmung" oder die "Kinder der Freiheit" im krassen ideologischen Sinne, d.h. ohne auf die sozioökonomischen Klassenlagen zu reflektieren.
Am entäuschendsten an Keupps Texten103 stößt nach längerer Reflexion der Sachverhalt auf, dass er Solidarität, oder wie er es nennt, Alltagssolidarität nur als Mittel, als Instrument sieht und einsetzt, welches den Einzelnen wieder stärken, gesunden lassen soll. Aber nur so lange sie als Trostpflaster im Heilungsprozess dient, um den Vereinzelten in einem engen gesundheitspolitischen public health Korsett wieder fit zu machen. Weiter begründet er dies, dass Habermas schon 1985 postulierte, dass die utopischen Energien am verlöschen sind und es nun darum gehe indivduell zugeschnittene gesundheitspolitische Perspektiven zu entwickeln. Übrigens zu dem Zeitpunkt als die Reflexivmodernen zu ihren Identitätsforschungsparadigmen übergingen. Aber hier gilt es genauestens zu präzisieren. Es waren die sich etablierenden, arrivierenden 68 er, denen just zu dem Zeitpunkt als Habermas seine Diagnose stellte, die utopischen Energien ausgingen. Es ließen sich trefflichst Thesen aufstellen, die eine eigene größere Arbeit wert wären, und sich um die gesellschaftlichen Gründe drehten. Aber es bedarf keiner größeren Reflexion um festzustellen, dass die materiell arrivierte, gesicherte Stellung der etablierten und nun pensionierten 68er, sie auf gar keine utopischen Gedanken mehr kommen ließ, wozu denn auch ? Ihr gesellschaftliches Sein als arrivierte, satte Fische bestimmte so definitiv, so unmittelbar ihr Bewusstsein, dass ihr Bestreben sich nun darum drehte, nachdem sie in ihre privilegierten Stellen eingerückt sind, sie auszubauen oder zu behalten. Dem nicht genug, wollen sie den anderen jetzt mittels ihrer Identitätsforschung, die selbe atomisierende Formierung des Denkens aufprägen, wie sie von ihnen längst Besitz ergriffen. Nun bemerkten sie aber auf Grund ihrer privilegierten, abgehobenen Stellung nicht mehr, dass ihre Identitätsfoschungsparadigmen für die Meisten, die heute auf einen extrem flexibilisierten Arbeitsmarkt verwiesen sind, überhaupt keinen Sinn mehr ergeben. Weder systemimmanent und schon gar nicht in Bezug auf eine entschiedene Gesellschaftskritik, vielleicht höchstens noch in Bezug auf einen antiquierten Protestantismus.
Das Chocierende der 68er offenbart sich darin, dass wohl keine Generation derart vehement gegen das System protestierte. Es mit all ihrem Verve, ihrer Energie in Richtung einer humanen (utopischen ?) Räterepublik transformieren wollte, ("vorbei, verweht, nie wieder."?) Die radikalen Protagonisten sogar noch in den 80ern an einen Marsch durch die Institutionen glaubten. Nur um letztlich zu umgedreht radikalen Systemapologeten zu mutieren, zu jenen kapitalen Rackets, die sie zuvor vehement bekämpften. Sobald sie den süßen Nektar des Privilegs schlürften, betrieben sie das Systemmanagement zuzüglich seiner extremen Forcierung vermittels krasser Anpassungs- und positivistischer Leadershipwissenschaften. Für die Mehrheit ihrer Student/inn/en der Generationen X/Y/Z wartete jedoch nur die prekäre unqualifizierte Beschäftigung. Ihre Leadershipausbildung bereitete aktuell einer nur wenigen Privilegierten dienenden One-Man-Up Show den Weg, die alle Anderen ob ihrer Privilegierung degoutieren und letztlich auf ihren Sturz hoffen.
Was sollen die 68er noch für ein Beispiel für zukünftige Generationen abgeben, wenn schon sie, die absoluten Widerstand predigte und übte, eine derartige atemraubende, verrückte Transformation erfuhr oder vielmehr an sich selbst vollzog ???
Fußnoten
1Karl Marx, Die Frühschriften, Das Kommunistische Manifest, Krömer, Stuttgart,1971,S.528
2 Heiner Keupp 2006 Internet www. Engagiert Leben, Das Eigene Finden, Sich Einmischen, Zur Bedeutung Bürgerschaftlichen Engagements für Jugendliche und die Gesellschaft. Und Bürgerschaftliches Engagement
3www.Monster.de übrigens nicht nur ein witziger Firmenname einer Karriereplattform im Internet, hier ist vor allem die Beziehung zur unverblümten Wahrheit interessant
4Platon, Apologie des Sokrates 31c, Stuttgart 1987
5Henaff, M (2009) Der Preis der Wahrheit, Gabe Geld und Philosophie, S.11, Suhrkamp, Frankfurt
6Albrecht von Lucke,(2008), 68 oder neues Biedermeier, Der Kampf um die Deutungsmacht, Wagenbach, Berlin.
7Heiner Keupp (2004) Vortrag vor dem paritätischen Wohlfahrtsverband in Bremen
Bürger lasst glotzen sein, kommt runter reiht euch ein.
8Ottmar Mareis, (2009) die Dialektik der 68er- mit den frühen gegen die arrivierten 68er , wwwKritiknetz.de
9Porträtiert in einer ARTE-Sendung 2011/12 über die Wissenschaftsevolution in Europa
10 In der revolutionären Hitze kam es zu einem anti-intellektueller Radikalismus. Der öffentliche Ankläger Fouquier-Tinville sprach im Moment des Todesurteils gegen Lavoisier den für heutige Verhältnisse doch merkwürdigen Satz: „Die Republik braucht keine Wissenschaftler“. Alain Badiou (2011) Die kommunistische Hypothese, S. 89, Merve, Berlin.
11 Hardt Negri, Common Wealth, Campus, Frankfurt, 2009
12 Hannah Arendt (2010) Über die Revolution rororo
14 Foucault, 1973 Wahnsinn und Gesellschaft, Suhrkmap Frankfurt S.28 Ibid. S. 29
"Wahnsinn ist seit dieser Zeit mit der Schifispassage der Stultifera Navis und dem Wasser, seines reinigenden aber auch unheilbringenden, unberechenbaren ozeanischen Qualität assoziiert. Der Ritus des Übergangs, in dem sich der Wahnsinnige befindet, ist seit dem im Unbewussten des abendländischen Menschen fest verankert.
15Ibid. S.391
16Ibid. S. 97
17Ibid. S.104
18 Friedrich Engels in Marx Engels Werke (MEW), BD. 2 Berlin, 1977 S.497
19aSiehe auch Max Horkheimer, Egoismus und Freiheitsbewegung (1936), in der er u.a. auf die
Rolle Luthers in den verschiedenen Kämpfen zwischen Bauern , Fürsten und emporkommenden Bürgertum eingeht.S. 130, in Traditionelle und kritische Theorie, Vier Aufsätze, S. Fischer, Frankfurt 1968
19 b,c Foucault,M. (2014) Die Strafgesellschaft, Vorlesungen 1972-1973, S.25 ff Suhrkamp Berlin
20 W. Welsch, Vernunft, Die zeitgenössische Vernunftkritik und das Konzept der transversalen
Vernunft,Suhrkamp, Frankfurt 1996, S 175
21J. Bentham zit nach Miller, J-Alain (1996), Jeremy Benthams panoptische Maschinerie in: Utilitarismus; Wien
22 Foucault M. (1973) Wahnsinn und Gesellschaft S.68 , Suhrkamp, Frankfurt; Überwachen und Strafen, (1976) Suhrkamp, Frankfurt; Die Anormalen (2007), Suhrkamp Frankf.; Dits et Ecrits (2000- 2005) Bd. 1-4, Suhrkamp Frankfurt
22 b Foucault,M (2015) Die Strafgesellschaft, Vorlesungen 1972-73, S.41, Suhrkamp, Berlin
22 c Ibid. S.53
22 d Ibid. S.57 ff
22 e Ibid. S.278 ff
23Was aber zwanghaft verleugnet werden muss, behauptet letztlich seine Faktizität: die Gesellschaft
24Louis Althusser, Ideologie und ideologische Staatsapparate, 2010, Hg. Frieder Otto Wolf, VSA
24 b Louis Althusser, Die Zukunft hat Zeit, Die Tatsachen, Zwei autobiographische Texte, Fischer 1993, Spiegel online, Hölle zu zweit, 4.5.1992
25Michel Foucault, Was ist Kritik? Merve-Verlag, Berlin 1992.
26 Über die Implementierung der aktuellen europäischen und amerikanischen Workfareregimes informiert ausführlich Loic Wacquants Bestrafen der Armen, zur neoliberalen Regierung der sozialen Unsicherheit. B.Budrich, Opladen 2009
27Michel Foucault, Von der Subversion des Wissens, Hg, Walter Seiter, Hanser, München, 1974, Klappentext
27a Wylie Christopher, (2020), Mindf*ck, Wie die Demokratie durch Social Media untergraben wird, Dumont, Köln
https://www.dasmagazin.ch/2016/12/03/ich-habe-nur-gezeigt-dass-es-die-bombe-gibt/
Der digitale Spiegel. 9/2017. Netzpolitik: Wie Facebook die Bundestagswahl revolutioniert.
Gläserne Wähler.
"Im Wahlkampf geht es allerdings auch darum, neue Anhänger zu überzeugen und Gegner davon abzuhalten, ihre Stimme abzugeben. Die Trump-Kampagne in den USA setzte offenbar auf die Demobilisierung von Clinton-Anhängern. So sprachen Trumps Digitalstrategen, wie Bloomberg berichtete, im Wahlkampf via Facebook gezielt junge Frauen mit Botschaften über Bill Clintons sexuelle Verfehlungen an und Afroamerikaner mit einem alten Video von Hillary Clinton über die angebliche Aggressivität junger schwarzer Männer ("super predators"). Es ging nicht darum, diese Wählergruppen für Trump zu gewinnen. Sie sollten nur nicht für seine Gegenkandidatin stimmen.
Es waren diese digitalen Anzeigen, die nach Ansicht vieler Experten den US-Wahlkampf 2016 von allen vorangegangenen unterscheiden – schon wegen der dafür eingesetzten Budgets. Die Trump-Kampagne hat horrende Millionenbeträge allein für digitale Wahlwerbung ausgegeben, das Gros davon bei Facebook. Die Organisation glich einem eigenen Tech-Start-up: Allein sein Digitalteam umfasste mehr als hundert Mitarbeiter. Sie entwarfen und testeten Zehntausende Werbemotive für unterschiedliche Zielgruppen. Dazu beschäftigte Trump externe Agenturen und Datenanalysten wie die britische Cambridge Analytica und baute eine umfassende eigene Wählerdatenbank auf."
Der Spiegel Online, 24.3.2018, Nr. 13, Die Falle Facebook, Digitalkonzerne, Außer Kontrolle
28Beck, U. (2007) Weltriskogesellschaft Suhrkamp, ders. (2002 ) Macht und Gegenmacht, Suhrkamp
29 Beck, U. (1986) Risikogesellschaft, S. 217, Suhrkamp, Frankfurt.
Auf sie wäre zu antworten:
Während die bessere Praxis der gesellschaftlichen und individuellen Emanzipation von gesellschaftlicher Herrschaft unauflöslich damit verbunden, dass die Menschen lernen, als enttäuschte, zu Verstande gekommene Menschen zu handeln, die allen Aberglauben an die Vergangenheit, insbesondere jenen an das sich selbst bewegenden narzisstische Geistsubjekt, ablegten. Das einerseits in der alltäglichen Produktion „ordinäres“ arbeitendes Fleisch wird, andererseits in kultischen Massenveranstaltungen zu „erhabenen“ Gurufleisch mutiert und sich in Gestalt religiöser narzisstischer Gurus verehren lässt. Lastet der alte „Alp aller toten Geschlechter“ (Marx) so sehr auf dem Gehirn von Ulrich Beck, dass alle seine Bemühungen um die kritische Reflexion der Moderne immer neu wieder nur zur Auferstehung des Alps in den neuen Kleidern seines anpassungsfähigen, beliebig dehnbaren pseudokritischen Jargons führen.
30Beck, U.,(1986) Risikogesellschaft, Auf dem Weg in eine andere Modene. Suhrkamp, Frankfurt
31 Badiou, A. (2011) Die kommunistische Hypothese, morale provisoire # 2, Merve, Berlin
32 Genazino Wilhelm, (2011) Das Glück in glücksfernen Zeiten, Roman, S.13, dtv München
33Ehrenberg, A. (2012) Das Unbehagen ind er Gesellschaft, S. 34, stw, Suhrkamp, Berlin.
34Meyer, L. (2005) Absoluter Wert und allgemeiner Wille, zur Selbstbegründung dialektischer Gesellschaftsthorie, S.23, ff, transcript Verlag Bielefeld.
35Ibid.
36Beck, U. Schöne neue Arbeitswelt, 1999, Campus Frankfurt.
37Www. Zeit online Manifest für Europa, Beck, Cohn-Bendit und viele mehr
38 Miessen, M. (2011/2012) The Nightmare of Participation, Sternberg Press, Berlin; Albtraum Partizipation Merve Berlin.
39Kohl war selbst das beste “Beispiel” für seine peinlichst peinliche geistig moralische Wende. Nicht nur, dass er der Öffentlichkeit 30 Jahre mit einer selten krassen Kombination aus Bräsigkeit und spießigen Langeweile auf die Nerven ging. Das Bürgertum, das er verkörperte, war nicht nur äußerliche kalte Fassade, sondern von einer Macht- und Korruptionspolitik geprägt, die an die Maffia und Berlusconi heranreicht und ähnlich verhängnisvoll wirkt. In der Jahrzehnte währenden Spendenaffäre verschliß er eine ganze Regierungsriege, was die Kanzlerschaft von Angela Merkel überhaupt erst ermöglichte. Interessantes verspricht seine Familiendynamik mit einem psychoanalytischem Blick zu betrachten. Nicht nur das Buch seines Sohnes Peter ist diesbezüglich aufschlussreich. Hannelore Kohl, gewiss kein unbeschriebenes Blatt und bis zur Spendenaffäre äußerst hart (masochistisch) im Nehmen (Schlucken), konnte und wollte die letzten 10 Jahre ihres Lebens nur mehr Nachts das Haus verlassen. Sie entwickelte eine Lichtallergie, was eigentlich keiner Deutung mehr bedarf, weniger wegen falscher Medikation, sondern weil sie die Leute aufgrund der Spendenaffären ihes Mannes beschimpften oder vor ihr ausspuckten. Als Kohl seine zweite Frau gegen Ende von Hannelores Leben kennenlernte, war das nur der letzte Anlass zum Suizid, anstatt sich produktiv zu trennen und evtl. weiteres über das System Kohl zu publizieren, aufklärerisch tätig zu werden. Geholfen hätte was ihr am fernsten: Zu einer kleinen Medea zu werden, die sich freilich nicht auf ihre Kinder, sondern auf das System Kohl stürzt, nach der Maxime: Mach kaputt was dich kaputt macht. Siehe auch Die Frau an seiner Seite: Leben und Leiden der Hannelore Kohl von Heribert Schwan, Heyne Verlag 2011
40www. Internet, Nur die perverse Phantasie kann uns noch retten. Goethe in den Gesprächen mit Eckermann zugeschriebenes Bonmot
41 Richard Münch,(2011) Akademischer Kapitalismus: Über die politische Ökonomie der Hochschulreform, Suhrkamp Berlin
42Im akademischen Bereich hieße dies, dass für sie eine maximale Autonomie gegeben
sei, die selten vorhanden.
43 In seiner paradoxalen Individualisierungstheorie benutzte Beck den Begriff Employabilitiy zwar nicht , aber er hat eine Einführung in den Begriff und das Forschungsgebiet gegeben als er in der Risikogesellschaft formulierte: „ In der individualisierten Gesellschaft muss der einzelne bei Strafe seiner permanenten Benachteiligung lernen, sich selbst als Handlungszentrum, als Planungsbüro in bezug auf seinen eigenen Lebenslauf, seine Fähigkeiten, Orientierungen, Partnerschaften usw. zu begreifen. … Er fordert - eine Maßnahmenphantasie, die auf den eigenen Handlungsradius bezogen ist..., Gefordert ist ein aktives Handlungsmodell des Alltags, das das Ich zum Zentrum hat, ihm Handlungschancen zuweist und eröffnet und es auf diese Weise erlaubt, die aufbrechenden Gestaltungs- und Enstscheidungsmöglich-keiten (die er nur wenige Seiten zuvor negierte OM) in bezug auf den eigenen Lebenslauf kleinzu-arbeiten,.... für die Zwecke des eigenen Überlebens muss ein ichzentriertes Weltbild entwickelt werden, das das Verhäntnis von Ich und Gesellschaft sozusagen auf den Kopf stellt und für die Zwecke der indivduellen Lebenslaufgestaltung handhabbar denkt und macht. Beck, U. (1986) Risikogesellschaft, S. 217, Suhrkamp, Frankfurt
44 Peoplemanagement und Leadership LMU Sozialpsychologie
44a Agamben Girorgio Was ist ein Dispositiv, 2008, diaphanes
45Fontane: Seinen Neigungen folgen und die Konsequenzen tragen......
46 Die Exzellenzinitiativen an den deutschen Universitäten, die zur Zeit 11 dieses Prädikat
verleihen, verkörpern ihrerseits eine extreme hard-core, sadomaso Governancestrategie. Nicht nur, dass sie der Grundfinanzierung der anderen Unis das Geld entziehen, dadurch Druck auf sie ausübend, sich an diesen Initiativen auszurichten. Das Geld ist aber nur der eine Faktor. Inhaltlich werden dort viele „Führungs-, und Leadershipmodule “ angeboten.. Bleibt nur zu hoffen, dass ihnen auch die einschlägigen Filme von Charlie Chaplin, Der große Dikator oder Ernst Lubitschs, Sein oder Nichtsein- Noch ist Polen nicht verloren, vorgeführt werden. Selbst Wagners, „Hier, wo mein Wähnen Frieden fand, Wahnfried sei diese Haus von mir benannt“ dürfte den Geisteszustand ihres “Führungsanspruchs“ auf den Punkt bringen. Foucault würde ihren Modulen die kritische Theorie liefern. Wo Leader- oder Machtpole angesiedelt werden, gibt es nicht nur Ressourcen verschleißende Machtkämpfe, sondern sie bringen unweigerlich ihre Bekämpfung hervor, mit dem ganzen daraus resultierenden Chaos.
Diejenigen, die in die Exzellenzinitiativen eintreten, werden nicht nur, sondern setzen sich selbst massiv unter Druck gewissen wissenschaftlichen Standards zu entsprechen, die hauptsächlich über Konformismus und Unterwerfung unter positivistische Methoden funktionieren. Das einzige was diese “Exzellenzinitiativen“ garantiert nicht hervorbringen, obwohl sie es überall hinausposaunen, ist, überbordende Kreativität oder Innovation. Die am ehesten über viel Muse, Freiraum und Unangepasstheit zustande kommen, welche diese Initiativen konsequent unterbinden. Was sie allerdings hervorbringen sind Student/inn/en in Hosenanzügen, die ob des Lern- und Leistungsdrucks inzwischen die größte Klientel zwischen den 20-30 Jährigen stellt, welche nach Psychotherapie und Psychopharmaka nachfragen. McKinsey Pennäler, Nieten in Nadelstreifen, haben die Exzellenznummern erfunden. Sie werden hauptsächlich von solchen frequentiert, die meinen ein chicer Hosenanzug wäre die halbe Miete, und wenn sie nur auf irgendwas Exzellenz draufkleben wird schon Exzellenz rauskommen. Was mehr über ihre Art von Bulimie-Studium verrät, das ihnen komplett äußerlich geblieben, als dass es irgendwas mit der Dynamik eines Kreativitäts- oder Innovationsprozesses zu schaffen hätte.
46 a) Martin Mittelmeier, Freiheit und Finsternis, Wie die Dialektik der Aufklärung zum Jahrhundertbuch wurde. S.124, Siedler, München, 2021
Siehe auch Thorsten Fuchshuber,(2019) Rackets, Kritische Theorie der Bandenherrschaft, ca ira Verlag, Freiburg Wien.
46 b) Hesse Jürgen (6.7.2022) Interview, "Mindestens die Hälfte ist leicht irre, es gibt aber auch schwere Fälle" Der digitale Spiegel. Siehe auch: Mein Chef ist irre- ihrer auch ? Warum Psychopathen Führungskräfte werden und wie Sie das überleben. Econ, 2022
46 c) Mary L Trump (2020) Heyne, Zu Viel Und Nie Genug. Wie meine Familie den gefährlichsten Mann der Welt erschuf.) S. 28. Auf dem Backcover der amerikanischen Ausgabe von Simon & Schuster führt sie eine interessante psychologische Charakterisierung von Donald Trump aus:
Today, Donald is much as he was at three years old; incapable of growing, learning or evolving, unable to regulate his emotions, moderate his responses or take in and synthesize information.
Child abuse is , in some sense, a matter of 'too much' or 'not enough'. Donald's mother became ill when he was two and a half, suddenly depriving him of his main source of comfort. His father , Fred, became his only available parent. But Fred firmly believed that dealing with young children was not his duty. From the beginning, Fred's care of his children reflected his own needs, not theirs. He could not empathize with Donald's plight, so his son's fears and longings went unsoothed. Over time, Donald became afraid that asking for comfort or attention would provoke his father's anger or indifference.
That Fred would become the primary source of Donald's solace when he was much more likely to be a source of fear and rejection put Donald into an intolerable position: total dependence on a care-giver who also caused him terror. Donald suffered deprivations that would scar him for life.
47Ehrenberg, A. (2010) Depression: Unbehagen in der Kultur oder neue Formen der Sozialität, S. 54 ff, in: Kreation und Depression. Freiheit im gegenwärtigen Kapitalismus- von Christoph Menke (Hg.) und Juliane Rebentisch (Hg.) von Kulturverlag Kadmos. Alain Ehrenberg (2004) Das erschöpfte Selbst,
Campus, Frankfurt, Ehrenberg A. (2010) Das Unbehagen in der Gesellschaft, Suhrkamp, Berlin,
48Ehrenberg, A. (2010) Depression: Unbehagen in der Kultur oder neue Formen der Sozialität, S. 55, in: Kreation und Depression. Freiheit im gegenwärtigen Kapitalismus- von Christoph Menke (Hg.) und Juliane Rebentisch (Hg.) von Kulturverlag Kadmos
49Honneth, A. (2010) Organisierte Selbstverwirklichung S. 68, in:Kreation und Depression. Freiheit im gegenwärtigen Kapitalismus- von Christoph Menke (Hg.) und Juliane Rebentisch (Hg.) Ibid.
50Honneth, A. (2010) Organisierte Selbstverwirklichung S. 68, in: Ibid.
51Hölderlin, Friedrich (1990) Werke in einem Band, S.163, Carl Hanser Verlag, München Wien
52Keupp, H. (1997) Identitätsarbeit heute, Suhrkamp, Frankfurt S.7
53a Luhmann die Kunst der Gesellschaft S.14f. (1995) Suhrkamp, zit. nach Dirk Baecker Neurosoziologie, ein Versuch, S. 14, Suhrkamp 2014
53 b Nietzsche F. (1887) Zur Genealogie der Moral. Eine Streitschrift. In Colli G. & Montinari, M (Hrsg.)KSA (S. 245-412. München DTV, 1999
53c Nietzsche F. (1873) Unzeitgemäße Betrachtungen. KSA S. 335-427. Münch. DTV 1999
54 Ottmar Mareis, Dialektik der 68er, www. Kritiknetz.de
55Ibid. Große Armut, großer Reichtum S.27
56Ehrenberg, Alain (2012) Das Unbehagen in der Gesellschaft S. 49-53, Suhrkamp, Berlin «.Die innerweltliche Askese ist der bevorzugte Heilsweg, den die Lehre von der doppelten Prädestination hervorgebracht hat. Im 18. Jahrhundert erfährt die Lehre Calvins auf dem europäischen Kontinent durch den Pietismus und in den Vereinigten Staaten durch den Methodismus verschiedene Änderungen. Weber zitiert eine Passage von John Wesley, dem Begründer des Methodismus: " Wir müssen alle Christen ermahnen, zu gewinnen was sie können und zu sparen was sie können, das heißt im Ergebnis: reich zu werden.« Die folgenden Ausführungen präzisieren, daß sie nicht nur sparen, sondern auch geben sollen, was sie nur können. Der Methodismus hat dem Puritanismus ein affektives und fröhliches Element hinzugefügt: Der echte Konvertit konnte auf Erden eine wahrhafte Glückseligkeit im Angesicht Gottes genießen, wodurch der Puritanismus gemildert und eine"Kultur der Affektivität« geboren wird. Im Gegensatz zum Calvinismus ist bei Wesley "die Gewißheit rein empfunden«. Das Empfundene -der Affekt, die Emotion, das Gefühl -zeigt, daß die Versöhnung mit Gott anstelle der Einsamkeit und der Angst möglich wird. Andere Strömungen des Puritanismus kennen keine solche Milderung. Der Bürgerkrieg des Selbst, die Selbstentzweiung, die automachia offenbart sich in der religiösen Schwermut, insbesondere bei den evangelikalen Pietisten. Sie "erzeugt ein extremes Schuldbewußtsein angesichts der Sünde«.Diesen Typ von Schwermut hat Robert Burton in seiner Anatomie der Melancholie (1621) isoliert. Er widmet ihm einen sehr langen Abschnitt im dritten Teil der Abhandlung, der der Liebesarmut gewidmet ist, wobei der Verlust des geliebten Objekts die Analogie zum Verlust Gottes darstellt. Burton schreibt, daß »dieser Typ von Schwermut allen anderen gleicht, von denen ich schon gehandelt habe, daß er wohl noch verbreiteter und daß seine Wirkungen viel überspannter sind, daß er die Menschen mehr abstumpft und beherrscht als alle anderen schon genannten Typen von Schwermut«. Während man sie im 17. und 18. Jahrhundert als eine Gnade Gottes betrachtete, die einer vom Dämon in Versuchung geführten Person gewährt wurde, wird sie im Laufe des 19. Jahrhunderts, und zwar in dem Maße, in dem der Kontext sich säkularisiert, zu einer Nervenkrankheit. Die Puritaner haben auch die Bildung betont und dadurch die Investition in die Leistung bevorzugt.
57a Zizek Slavoj, (2016) Der göttliche Todestrieb, Sigmund Freud Vorlesung 2015, Verlag Turia + Kant, Wien
57b Baudrillard Jean, (2008)Warum ist nicht alles schon verschwunden, Matthes&Seitz Berlin S.16.
58 Dolar, M. (2002) Der Zuschauer der zuviel wusste. S. 133. in Zizek, S. Was Sie immer schon über Lacan wissen wollten und Hitchcock nie zu fragen wagten. Suhrkamp, Frankfurt
59a Bauman, Z. Mazzeo, R. (2016) In Praise of Literature, S. 118, Polity Press, Camb. UK
59b www. Kritiknetz.de zur Kritik des Identitätsbegriffs von Daniel Sanin, siehe auch:
Niethammer Lutz (2000): Kollektive Identität, Heimliche Quellen einer unheimlichen Konjunktur. Rowohlt Tb, S.625
59cAdorno Ibid.
59d , 1968 fand zudem in Frankfurt der 16. Soziologentag mit dem Thema Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft statt. Das Einleitungsreferat hielt Adorno. Es fand auf einer anschließenden Diskussionsveranstaltung eine heftige Auseinandersetzung mit Dahrendorf statt. Adorno, Dahrendorf, Krahl, Brandt und Offe schenkten sich nichts, auch eine spätere Diskussion mit Dutschke geriet außerordentlich stürmisch. (Habermas glänzte durch Abwesenheit wegen "Krankheit", vermutlich wollte er der allzu krassen Diskussion aus dem Weg gehen.) Die damalige linke Avantgarde kritisierte Dahrendorf, der an Adornos Einleitungsreferat bemängelte, dass Totaldiagnosen der Gesellschaft nichts verändern würden, sondern den Status Quo stabilisieren. Die Geschichte der 68er gab ihm nicht recht, zumindest was die 70er Jahre anbetraf, in der durchaus alternative Mentalitäten erkennbar wurden. Nach dieser Geschichte mutet erstaunlich an, dass die reflexivmodernen Ex-68er gegen Ende der 80er die neoliberale Dahrendorsche Diagnostik der posttraditionale Ligaturen und Optionen aufgriffen. In der LMU Vorlesung Sozialpsychologie Reflexive Modernisierung von 2006 (www) übernahm Keupp vollends diese neoliberale Dahrendorfsche Diagnostik. Man traut seinen Ohren kaum. Denn Dahrendorf wird, ohne mit einem Wort auf die vehemente Konfliktgeschichte der frühen 68er mit ihm einzugehen, als unhinterfragte soziologische Autorität zitiert. Man erfährt nur, dass er Rektor der Universität Oxford war und von der Queen die Anrede Sir Ralf Dahrendorf verliehen bekam, "was bisher kaum einen Deutschen gelang." Gehts noch? Offenbart sich darin nicht schlimmstes Talkshowniveau ?
( Es ist auch kein Zufall, dass Beck Sohn eines Marineoffiziers war, was in allen neueren Texten kaum mehr erwähnt wird, und Keupp Kind eines protestantischen Pfarrhauses, denn wenig andere Milieus werden derart stark auf ein Identitätsdenken konditioniert).
59e, Ein großes Problem der heutigen deutschen Bildungsinstitutionen besteht darin, dass sie überhaupt kein Bewusstsein darüber vermitteln, was der Alltag im "Dritten Reich" für Oppositionelle, Andersdenkende, Juden und ethnische Minderheiten bedeutete. Die Geschichte des NS wird höchstens noch als Spezialthema privaten Studieninteressen überlassen. Dabei wäre ziemlich wichtig das Alltagsdenken der Reichsbürger zu lehren wie zu verstehen. Anderweitig wäre die lange NS-Herrschaft und auch die Nachkriegszeit bis in die 60er Jahre nicht zu verstehen. Dieses Alltagsdenken war geprägt von einem forcierten Identitäts- als auch Stammesdenken mit dem selbst einstige vertraute Nachbarn bei den Nazis oder der Gestapo denunziert wurden. Auf Denunziation von Bekannten wie von Blockwarten wurden viele Verhöre bei NSDAP oder Gestapo veranlasst. Misstrauen und Denunziation reichte oft in die eigene Familie.
59f http://www.theguardian.com/books/2015/sep/06/michel-houellebecq-submission-am-i-islamophobic- probably-yes
59g Frankreich haben 2015 und 2016 jeweils ca. 8000 Juden verlassen. Seit 2000 ca 55000. Die weitere Entwicklung bleibt interessant. Siehe auch Spiegel online: Zahl jüdischer Auswanderer auf Rekordhoch. 29.12.2015
59h. Foucault, M.(1974) Wahnsinn, eine Frage der Macht., in Dits et Ecrits Bd.2., S.814f, Schriften, Surhkamp 2002.
59i Michel Foucault,(1987) Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik , hrsg. H.L. Dreyfus, P. Rabinow, Frankfurt a.M, Athenäum Verlag, S. 268.
Mein Ausgangspunkt ist nicht, dass alles böse ist, sondern dass alles gefährlich ist, was nicht dasselbe ist wie böse. Wenn alles gefährlich ist, dann haben wir immer etwas zu tun. Deshalb führt meine Position nicht zur Apathie, sondern zu einem Hyper- und pessimistischen Aktivismus. Ich denke, dass die ethisch-politische Wahl, die wir jeden Tag zu treffen haben, darin besteht zu bestimmen, was die Hauptgefahr ist.
59j Wie sehr den gemeindepsychologischen Diskurs Begriffe bestimmen, welche ein Kontext vorwegnahm, der erkenntniserheischender damit verfuhr, kam mir vollends zu Bewusstsein, als ich Adornos Aufsatz "Aldous Huxley und die Utopie" las. Dort berichtet er von einer Begriffstrias die für die "Brave New World" konstitutiv war. Der letzte Begriff ließe sich heute problemlos mit Patchwork ergänzen, weil ihm die Aufgabe der Synthese und des Stabilisierens von höchst Heterogenem zukommt:
„Anstelle der drei Parolen der französischen Revolution heißt es: Community, Identity
und Stability. Community definiert einen Stand der Gemeinschaft, in dem jedes
Einzelwesen unbedingt dem Funktionieren des Ganzen untergeordnet ist,... .
Die Panazee, welche die gesellschaftliche Statik garantiert, ist das conditioning, ein
schwer übersetzbarer Ausdruck, der von der Biologie und behavioristischen
Psychologie-...–in die amerikanische Alltagssprache drang, das Kennwort für jegliche
Art wissenschaftlicher Kontrolle über Lebensbedingungen; etwa air conditioning für
den maschinellen Temperaturausgleich in geschlossenen Räumen.." 108
Hier sei nur angemerkt, dass die Patchwork-Identität und der Sence of coherence die
aktuellen Varianten des conditioning stellen.
„Der Endeffekt des conditioning, der zu sich selbst gekommenen Anpassung, ist
Verinnerlichung von gesellschaftlichem Druck und Zwang weit über alles
protestantische Maß hinaus: die Menschen resignieren dazu, das zu lieben, was sie
tun müssen, ohne auch nur noch zu wissen, daß sie resignieren."109
Siehe auch Ottmar Mareis, Identity is the very devil, in www. Kritiknetz.de
59k Carol Diethe (2001), Nietzsches Schwester und der Wille zur Macht , Biografie der Elisabeth Förster Nietzsche, Europa Verlag, Hamburg
60Luthers Choral Siehe Wikipedia
Luthers antisemitischen Tiraden, Schriften und Abhandlungen prägten in einem solchen Ausmaß das Verständnis eines reaktionären Deutschtums, dass es eines größeren Forschungsdesigns bedürfte um all ihren kulturellen, historischen und sozialpsychologischen Dimensionen/Verflechtungen nachzuspüren.
61Pink Floyd, The Wall Live 1980-81, 2000 Pink Floyd Music
62 Aus Aufzeichnungen Adornos geht hervor, dass er für die Jahre 1970/71 eine Vorlesungsreihe zur Kulturindustrie heute plante. Sicherlich wären sie ähnlich spannend respektive aufschlußreich wie das Kapitel zur Kulturindusrtrie der Dialektik der Aufklärung. The Wall die gen Ende der 70er erschien, wäre bei Lebzeiten vermutlich in der ein oder anderen Form ihr Material geworden
63Benjamin, W. (2007) Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, S. 50. Suhrkamp, Frankf.
64Bauman,Z. (2009) Leben als Konsum, Hamburger Edition, S.118, Bauman(2012) This is not a diary, Polity Camebr.
65a Adorno (1997) GS Bd. 8 Soziologische Schriften I, Thesen über Bedürfnis, S.393 Suhrkamp, Frankfurt
65b Leon Wurmser, Die Maske der Scham, S.433. Springer Verlag, Berlin Heidelberg,1990
66Adorno (1997) GS Bd. 3, Dialektik der Aufklärung, S.50. Suhrkamp, Frankfurt
67http://menteur.com/Les-amoureux-transis)
71b Foucault. M (2014) Die Regierung der Lebenden, S.121-124 Vorlesungen am College de France (1979-1980), Suhrkamp, Berlin.
71c Foucault. M (2014) Die Regierung der Lebenden, S. 217 Vorlesungen am College de France (1979-1980), Suhrkamp, Berlin.
72a Zu dem Verhältnis der damaligen Rebellen und heute emeretierten 68er ließen sich schon Bände füllen. Noch mehr aber liesse sich zu dem Verhältnis zu ihren Kindern forschen und sogar ganz neue Forschungsfelder eröffnen. Es wäre sehr erkenntniserheischend. Dennoch gibt es darüber so gut wie kein Material, weil die in ihren Forschungsinteressen dieser Thematik gegenüber blinden 68er, es nicht auf die Reihe brachten, ihre eigene Geschichte oder gar ihre eigenen blinden Flecken zu reflektieren, obwohl sie es von allen anderen Generationen verlangten.
72b Adorno (1997) GS Bd. 3, Dialektik der Aufklärung, S.162. Suhrkamp, Frankfurt
72 c Badiou, A. (2011) Die kommunistische Hypothese, morale provisoire # 2, Merve, Berlin
73 Keupp (1978) in Die gesellschaftliche Organisierung psychischen Leidens, Suhrkamp, Frankfurt/M.
74 Keupp (1978) in Die gesellschaftliche Organisierung psychischen Leidens, S.212, Ibid
75 Ibid.
76a Adorno T.W.(1997)GS: Negative Dialektik Bd 6, S.354 Suhrkamp Frankfurt,
Ottmar Mareis, www Kritiknetz (2008), Identity is the very Devil, oder ist Keupp noch zu retten? Der sense of coherence SOC oder theoretisch moralisches Desaster
76b, Gerhard Scheit, www. Kritiknetz.de, Der Todestrieb im Racket, Warum die Kritik der postnazistischen Gesellschaft auf Freuds Spekulation über einen natürlichen Todestrieb nicht verzichten kann
Die LMU, die TUM und noch so einige bayerische Universitäten saßen auf Millionenbeträge, die sie durch Studiengebühren einnahmen. Aber weder wurde entsprechend diesen Unsummen neues Lehrpersonal eingestellt. Die Student/innen, die ja ihr Studium durch ihre Gebühren finanzierten hatten kein Mitspracherecht in den Professoren- und Wissenschaftsgremien, die über die Gelder bestimmen.
Eigentlich müssten die Student/innenen fast hauptsächlich bestimmen können wie und welche Lehre bzw. Forschung sie betreiben wollen. Im Kapitalismus ist normal üblich, dass diejenigen die bezahlen auch anschaffen“. Selbst dieses banale jedoch wesentliche Steuerungsinstrument ist in der aktuellen Bildungsbürokratie vollkommen undemokratisch ausgehebelt. Kafkaeske Zustände durch die das Kapital umso krasser agiert. Inzwischen wurden die Studiengebühren per Volksentscheid wieder aufgehoben.
Selbst in der eigenen auferlegten Exzellenzlogik des Shanghai-Ranking der 500 sichtbarsten, dh. finanzstärksten Universitäten taucht die erste deutsche Uni (LMU) in den letzten Jahren hinter Rang 50 auf. Und unter den ersten hundert auf den hinteren Plätzen liessen sich insgesamt 5 finden.
77 Keupp (1978) Die gesellschaftliche Organisierung psychischen Leidens, Ibid. S. 215
78 Keupp, H. (1993) Zugänge zum Subjekt, Suhrkamp,Frankfurt am Main
79 Keupp, H. (1999-2008) Identitätskonstruktionen, das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne, rororo, Hamburg
80 Keupp, H. (1978) Die gesellschaftliche Organisierung psychischen Leidens, Ibid.
Keupp, H. (2004) Bürger lasst das glotzen sein Vortrag www Internet S. 22.-26, siehe auch
81 Veröffentlichung des SPK www. Internet
82Ibid.
83 Foucault, M. (2012) Der Mut zur Wahrheit, Vorlesugen 1983/84, S.135 ff, Suhrkamp, Berlin
87 Ibid.
88 Ibid. Huber klagte gegen die Kündigung und bekam fünf Jahre spräter Recht zugesprochen. Die Kündigung wurde formaljuristisch fehlerhaft vollzogen, weil das Kündigungsschreiben von einem Verwaltungsbeamten unterschrieben war. Eine Kündigung muss aber gut begründet von dem vorgesetzten Arzt Hubers bzw. dem ärztlichen Leiter der Klinik unterschrieben sein, was nicht zutraf. Seine Approbation wurde ihm trotzdem entzogen, was einem Berufsverbot gleichkam.
89 Kraushaar Wolfgang,(2010) Verena Becker und der Verfassungsschutz, Hamburger Edition, Hamburg
90 Dies trifft auch auf Keupp zu
91 Beck, Poferl (Hg.) (2010) Große Armut, großer Reichtum, S.46 Suhrkamp, Berlin. (große Schafe)
92Ibid.
93Keupp, H. (2012) Freiheit & Selbstbestimmung: Lernprozesse ermöglichen, Centaurus
94 Keupp, H. (2012) Ibid. S.47
95 Honneth, (2010) Organisierte Selbstverwirklichung S. 74, in Kreation und Depression..., Ibid.
96Gauck, J (2012) Freiheit, ein Plädoyer, S.38, Kösel-Verlag, München
97 Schmitt, C. (1921) die Diktatur, (1922) politische Theologie, Duncker & Humblott; Agamben G. Homo Sacer, Suhrkamp, Frankfurt/M
98 Die Konservativen in der Weimarer Republik konnten keine inneren Widerstandspotentiale gegen den NS aufbieten, weil sie selbst an ein Großdeutschland, an das Reich glaubten. Ihre Rhetorik unterschied sich nur minimal von den Monsterpropagandisten des Dritten Reichs. Siehe auch M. Greifenhagens (1971) Dilemma des Konservatismus in Deutschland, Piper, München; oder Ottmar Mareis, (2001) Sog, Profil, München. Oder siehe das Kapitel IdentitätsMythos, Protestantismsus, Nationalsozialismus in diesem Blog
99 Keupp Bürger lasst das glotzen sein..... Vorträge Internet
100 Keupp H.(2013) Selbstsorge, zur Selbsthilfe befähigen, Centaurus,
1 101The Beatles, (1970) Let it be- Album, I, Me; Mine, dessen Text den kritischen Kommentar zur Egomanie der Reflexivmodernen stellt.
1102 Keupp, H (1978) Die gesellschaftliche Organisierung psychischen Leids Ibid.
103 Keupp H.(2013) Selbstsorge, zur Selbsthilfe befähigen, Centaurus
Adorno, T.W. (1997) GS, Bd.8, Soziologische Schriften I, Suhrkamp, Frankfurt
Bauman, Z.; Lyon, D. (2013) Liquid Surveillance, Polity Press, Cambridge
Beatles (1970) Let it be, CD, I, Me, Mine
Gauck, J. (2012) Freiheit, ein Prädoyer, Kösel Verlag, München
Genazino, W. (2011) Das Glück in glücksfernen Zeiten, Roman, dtv München
Honneth, A. (2011) In: Kreation und Depression, Freiheit im gegenwärtgen Kapitalismus, Christoph Menke (Hg.) und Juliane Rebentisch (Hg.) Kulturverlag Kadmos
Keupp, H. (2013) Heraus aus der Ohnmachtsfalle, Psychologische Einmischungen DGVT-V
Lucke v. A.(2008) 68 oder neues Biedermeier, der Kampf um die Deutungsmacht, Wagenb.
Mareis, O. (2009) Dialektik der 68er- Mit den frühen gegen die arrivierten 68er. Kritiknetz.de
Mareis, O.(2008) Identity is the very devil, www. Kriitknetz.de
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